Reis [1]

[763] Reis (Oryza L.), Gattung der Gramineen, einjährige oder ausdauernde Gräser mit meist großer, lockerer Rispe, Zwitterblüten, verkümmerten Hüllspelzen und papierartigen bis lederigen, zusammengefalteten, meist begrannten Deckspelzen; die längliche, stumpfe, seitlich zusammengedrückte Frucht wird von den Spelzen eng umschlossen. Etwa sechs Arten in den Tropen beider Hemisphären. Eine in der nördlichen gemäßigten Zone der Alten Welt, auch in Deutschland an Gräben, Ufern wachsende Art, Wilder R. (O. clandestina A. Br.). wird jetzt zur Gattung Leersia gerechnet. Der gemeine R. (O. sativa L., s. Tafel »Getreide III«, Fig. 1), einjährig, mit 1–1,5 m hohem und höherm Halm, 30–35 cm langen, dunkelgrünen, am Rande rauhen Blättern, zusammengezogener und zuletzt einseitig überhängender Rispe mit 30 bis mehr als 100 Früchten und rauhen, vorspringend fünfnervigen Deckspelzen, wächst an feuchten Orten In diens und des tropischen Australien, eine Varietät in Afrika wild und ist in Brasilien verwildert. Er wird in sehr vielen Varietäten als Getreidepflanze in Asien bis 42°, in Europa bis 46° (Poebene), in Nordamerika bis 36° nördl. Br. und auf der Südhalbkugel bis 26° südl. Br. kultiviert. Als Sumpfpflanze verlangt der R. große Feuchtigkeit des Bodens und außerdem eine Sommertemperatur von 20°. Er braucht zu seiner Entwickelung 5–6 Monate. Man baut ihn meist in niedrigen, feuchten, leicht anhaltend unter Wasser zu setzenden Gegenden und hat in Japan, China, auf Java seit alten Zeiten künstliche Bewässerungsanlagen geschaffen, die größere Unabhängigkeit von der Regenzeit und die Gewinnung von zwei Ernten im Jahr ermöglichen. Am meisten ausgebildet ist die Bewässerung in der Poebene. Vielfach ist der Reisbau noch sehr primitiv, in China, Japan, Java, Nordamerika, Oberitalien erzieht man aber auf Saatbeeten junge Pflanzen, stellt diese in kleinen Gruppen auf die bewässerten Felder und sorgt für Fernhaltung des Unkrautes, reichliche Bewässerung und Düngung. Die anhaltende Bewässerung des Bodens erzeugt leicht Sumpffieber, und die Reiskultur ist daher in Europa in der Nähe von Ortschaften verboten. Eine Varietät, der Bergreis (O. montana), der auch auf trocknem Boden gedeiht, kürzerer Vegetationszeit bedarf und nur bei größerer Trockenheit Bewässerung verlangt, wird in Asien gebaut, ist aber viel weniger geschätzt und hat sich in Europa nicht bewährt. Klebreis (O. glutinosa), dessen Körner beim Kochen eine fest zusammenhängende Masse bilden, wird in Japan und China kultiviert und gedeiht auf nassem und trocknem Boden. Vgl. auch Getreidebau. Die wichtigsten Reisländer sind Japan, Korea, China, Vorder- und Hinterindien, Philippinen und Sundainseln, Ceylon und Madagaskar. In Amerika baut man gegenwärtig R. in Carolina, Georgia, Louisiana, Mississippi, in Mittelamerika, Westindien, Brasilien, Paraguay etc., in Europa in Oberitalien, Sardinien, Spanien, Portugal, in der Türkei, in Griechenland, auch noch in der friaulischen Tiefebene in den Bezirken Cervignano und Monfalcone. Für die Ausfuhr nach Europa kommen in Betracht Vorder- und Hinterindien (Birma, Siam, Kotschinchina), Java, Japan. Bei der Ernte werden die Rispen abgeschnitten und die Frucht durch Dreschen, Walzen oder Austreten gewonnen. Der erhaltene rohe R. (Paddy) wird in Europa (besonders in Hamburg und Bremen), in neuester Zeit aber auch in einigen Ausfuhrländern, in Indien, Birma etc., auf Reismühlen enthülst (geschält). Der geschälte R. (Braß, Bray) wird schließlich auf Poliermaschinen poliert. Letztere bestehen entweder aus einem einfachen Bürstenapparat oder aus einem um die Vertikalachse drehbaren Kegel mit unbeweglichem Mantel, wobei der Kegel mit Schaffell, der Mantel aber mit Drahtnetz ausgeschlagen ist. Um dem geschälten R. eine blendend weiße Farbe zu geben, bläut man ihn wohl auch auf der Poliermaschine mit Indigolösung. Bei Arakanreis rechnet man nach der Bearbeitung gewöhnlich 531/3 Proz. Ganzreis, 262/3 Proz. Bruchreis und 20 Proz. Abfall. Von allen Getreidearten ist R. am ärmsten an eiweißartigen Stoffen, dagegen ist er am reichsten an Stärkemehl. R. enthält:

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Die beim Schälen abfallende Kleie, die als Reisfuttermehl in den Handel gebracht und als Viehfutter benutzt wird, enthält im Durchschnitt 12,90 Wasser, 11,20 Stickstoffsubstanz, 7,85 Fett, 62,10 stickstofffreie Extraktstoffe, 1,60 Rohfaser, 4,35 Asche. Beim R. findet also in noch höherm Grad als beim Weizen eine ungleiche Verteilung der einzelnen Bestandteile statt, die Eiweißstoffe sind vorzugsweise in den äußern Schichten abgelagert und werden beim Schälen zum größern Teil in die Kleie übergeführt. Von den verschiedenen Handelssorten gilt der Carolinareis,[763] unter welchem Namen alle im Süden Nordamerikas gebaute Frucht geht, ein länglich-schmales, glattes, hartes, eckiges, mattweißes oder durchscheinendes Korn, als die vorzüglichste. Der Bengalreis, der in größter Menge produziert und in Indien sehr geschätzt wird, ist großkörnig, rötlich, wohlschmeckend, schwer zu enthülsen; der Patnareis, die andre Hauptforte Ostindiens, ist kleinkörnig, langgestreckt und dünn, sehr weiß; der Rangunreis, aus Britisch-Birma oder Pegu, ist eine gute Mittelsorte, der Arakanreis sehr wohlfeil; auch Siam liefert viel R. Die größten Ausfuhrplätze des indischen Reises sind: Rangun, Akyab, Maulmain und Kalkutta. Der Javareis ist meist von guter Qualität, geriefte, lange, durchscheinende Körner, weißer als Carolinareis und nächst diesem am teuersten. Unter Tafelreis verstand man sonst besten Javareis, jetzt aber auch vielfach andre gute Sorten. Der italienische R. hat dicke, rundliche, weiße Körner. Außerdem gelangen nach England levantiner, ägyptischer, brasilischer, westindischer R., R. von Mauritius, Südafrika und Britisch-Guayana. – Der R. dient ganz besonders im Orient und in Asien als mehr oder weniger ausschließliches Nahrungsmittel. Die in kochendem Wasser erweichten Körner sind, fast ohne alle Zutat, als Pilaw im ganzen Orient ein Hauptteil aller Mahlzeiten, ebenso mit Fischen, Hühnern etc., mit Gewürzen vermischt, als Curry ein Lieblingsgericht in ganz Ostasien; aus gemahlenem R. werden in Indien die verschiedensten Speisen, auch Brot, bereitet. Reismehl dient auch als Zusatz zu Schokolade, zu Waschpulvern und als Stärkesurrogat. Bei uns ist Reisgrieß gebräuchlicher. Sehr viel R. wird in der Bierbrauerei und zur Gewinnung von Stärkemehl benutzt. In Japan stellt man das bierähnliche Saké aus R. dar und außerdem einen Branntwein: Schochiu (chines. Samschu). In Ostindien dient R. auch zur Darstellung von Arrak, und dort wie auch in der Türkei und Westindien werden noch andre alkoholische Getränke aus R. bereitet. Die Abfälle vom Polieren des Reises (Schalenreste, zerbrochene Körner etc.) liefern das Reismehl, das viel reicher an Fett ist als der geschälte R. und zum Füttern und Mästen des Viehes benutzt wird. Stengel und Stroh benutzt man zu Geflechten und in der Papierfabrikation.

R. wird seit etwa 5000 Jahren in China kultiviert. Der Kaiser Jao ließ 2356 v. Chr. am Jantsekiang Bewässerungswerke anlegen und regelte die Verteilung der Einkünfte von den Reisfeldern. Der Sanskritname des Reises war vrihi, das in den iranischen Sprachen zu brizi wurde, und aus dieser altpersischen Form machten die Griechen oryza, welch letzteres Wort der bei allen neueuropäischen Völkern vorhandenen Benennung zugrunde liegt. Von China gelangte der Reisbau nach Innerasien, Korea und Japan, nach dem östlichen Hinterindien und den Philippinen, von Indien aus nach Ceylon, dem westlichen Hinterindien, den Sundainseln und Persien. Im Abendland wurde der R. wohl erst durch die Feldzüge Alexanders d. Gr. genauer bekannt, als er bereits am obern Oxus und in den untern Euphrat- und Tigrisländern kultiviert wurde. Schon damals wurde er in derselben Zubereitung genossen wie noch heute überall im Orient. Seit der Gründung des ägyptisch-griechischen Reiches tritt der R. als Handelsware auf; die Ärzte benutzten ihn zu einem schleimigen Getränk, aber als Speise diente er zur Zeit des Horaz noch nicht. Erst die Araber versuchten, den Reisbau im Nildelta und mit großem Glück in Spanien einzuführen, wo die kunstvoll bewässerten Felder reiche Ernten lieferten. Um 1530 baute man auch in Italien R., und so groß war der Gewinn, daß die neuen Reisfelder sich von dem Mündungsland der Alpenflüsse bis in die Romagna, nach Piemont etc. ausdehnten. Die dadurch geschaffenen ausgedehnten Sumpfflächen erzeugten aber Fieber und Malaria, und nun begannen die Regierungen, den Reisbau durch Verbote mehr und mehr einzuschränken, und bis in die Gegenwart sind Verordnungen in Kraft geblieben, durch welche die Anlage und der Betrieb von Reisfeldern geregelt wird. Nach Amerika kam der Reisbau erst 1701; durch ein Schiff aus Madagaskar gelangte eine kleine Quantität Saatreis nach Carolina, und bald darauf erhielt man auch R. aus Ostindien. 1724 wurden bereits 18,000 Faß ausgeführt; doch blieb auch später Mais und Weizen das Nahrungskorn der Bevölkerung, während in Asien der R. fast ausschließliches Nahrungsmittel ist. Man kann annehmen, daß über 750 Mill. Menschen in China, Japan, auf dem Malaiischen Archipel, in Indien, Persien, Arabien, in der Türkei, in Nordafrika und Portugal mehr oder weniger ausschließlich von R. leben. Keine andre Getreideart kommt in dieser Beziehung dem R. gleich. Britisch-Ostindien erntet jährlich 25 Mill. Ton. und führt 1,700,000 T. aus. Auf Java beträgt die Produktion etwa 3 Mill. T., Kotschinchina führt 700,000, Siam 500,000 T. aus. Japan erntet ca. 3 Mill. T., die Vereinigten Staaten 64,000, wovon 10,000 T. zur Ausfuhr gelangen.

In Deutschland wurde eingeführt

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und ausgeführt

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Der Verbrauch an R. in Europa hat sich im 19. Jahrh. außerordentlich gesteigert. Es betrug:

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In Deutschland betrug der Verbrauch für den Kopf 1851–55 nur 0,87 kg, in Italien am Beginn der 1880er Jahre 22,8 kg. Der Verbrauch ist wesentlich abhängig vom Preise der landwirtschaftlichen Produkte, so daß bei großer Billigkeit derselben der Reisverbrauch trotz des Preisrückganges des Reises sinkt. Ebenso sind die Zölle von großem Einfluß. Vgl. Oppel, Der Reis (Brem. 1890).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 763-764.
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