Welt

[522] Welt, im allgemeinen Sprachgebrauch die Erde und das sie bewohnende Menschengeschlecht, daher Weltteile, Weltkunde, Weltgeschichte etc.; im philosophischen Sinne der Inbegriff alles Seienden, die existierenden Dinge in ihrer Totalität und daher Gegenstand der Kosmologie (s. d.); auch das Weltgebäude oder Weltall (Universum, Kosmos), die Gesamtheit der Weltkörper, d. h. aller Fixsterne, Planeten, Nebenplaneten und Kometen, die in ihrer Verbindung und Ordnung als ein Ganzes das Weltsystem bilden, unter welcher Bezeichnung man aber auch zugleich die verschiedenen Ansichten über die Anordnung und Verbindung der Weltkörper, namentlich der Körper unsers Sonnensystems, versteht. Der Mehrzahl der Philosophen des klassischen Altertums galt der Kosmos für ein beseeltes Wesen, der ionischen, eleatischen, peripatetischen und stoischen Schule als die höchste Gottheit selbst. Den Platonikern war er dagegen ein erzeugtes Ebenbild des höchsten Gottes, ein Wunderwerk von Schönheit und Harmonie; Anaximander und die Epikureer nahmen eine Vielheit von Welten an. Mit dem Glauben an eine Beseelung des Kosmos hing die Vorstellung zusammen, die Teile und Glieder organischer Wesen in den Teilen und Gliedern des Kosmos wiederzufinden, eine Vorstellungsweise, die in späterer Zeit von Paracelsus u. a. dahin erneuert wurde, daß man die W. für einen menschlichen Organismus im großen (Makrokosmos), den Menschen für eine W. im kleinen (Mikrokosmos) erklärte, womit die Annahme von einem Einfluß der Bewegungen der Gestirne auf das Leben und die Schicksale der Menschen zusammenhing. Um die Bewegungen der Himmelskörper geometrisch zu erklären, dachte sich Eudoxos Sonne, Mond, die Planeten und Fixsterne an selbständig beweglichen hohlen Kugeln befestigt, und aus dieser Theorie der homozentrischen Sphären (s. Eudoxos) entwickelte sich dann im Altertum die Idee, daß die Erde mit konzentrisch-kristallenen Kugelschalen umgeben sei, welche die Gestirne tragen und deren Bewegungen erzeugen. Die Zahl dieser Sphären vermehrte man im Laufe der Jahrhunderte, bis im 16. Jahrh. Fracastoro deren 77 zählte. Tycho Brahe tat dann durch seine Untersuchungen über die Kometen die Unmöglichkeit solider Sphären dar. Im Volksglauben erhielt sich diese Vorstellung sehr lange, trotzdem das Ptolemäische Weltsystem (vgl. Planeten, S. 7) die Himmelskörper frei im Weltraum schweben ließ. Dieses im spätern Altertum und im Mittelalter herrschende System wurde durch Kopernikus gestürzt, der im Altertum in Aristarchos (s. d. 1) einen Vorläufer hatte, dessen heliozentrisches System aber erst nach den Entdeckungen von Kepler, Galilei und Newton allgemein herrschend wurde. Mit dem Siege der neuen Theorie drängten sich zugleich Fragen auf, die das Altertum nur berührt hatte, wie die, ob die W. vielleicht ohne Grenze sei und sich völlig ins Unendliche erstrecke, ob die andern Weltkörper außer unserm Erdball ebenfalls bewohnt seien.

Die Frage nach der Mehrheit der Welten kann aber von der Astronomie nur dahin beantwortet werden, ob auf andern Gestirnen die Bedingungen für organisches Leoen vorhanden sind oder nicht. In andrer Weise ist vielfach von Theologen und Philosophen die individuelle religiöse Anschauung zum Ausgangspunkt gewählt. und je nachdem man die in der Bibel geoffenbarte Religion mit der Bewohnbarkeit andrer Welten als der Erde allein vereinbar fand, ist die Beantwortung der Frage in bejahendem oder verneinendem Sinne ausgefallen. Begeistert durch die Entdeckungen, die mit dem Fernrohr gemacht wurden, haben sich dann viele der bedeutendsten Männer für die Bewohnbarkeit der Sonne, des Mondes und der Planeten ausgesprochen. Solche Ansichten waren zur Zeit der Inquisition sehr gefährlich, da das Dogma von der Erlösung, der Menschwerdung Christi denselben schroff gegenüber zu stehen schien. Je mehr aber die wirkliche Bedeutung der Erde im System bekannt wurde, um so mehr mußten solche Bedenken schwinden. Mit besonderer Wärme trat Fontenelle für die Mehrheit der Welten ein, und Leibniz, Bernoulli, Newton, Lambert, Bailly, Kant, Herder, Laplace u. a. sprachen sich in gleichem Sinne aus. Heute weiß man, daß von der Bewohnbarkeit der Sonne keine Rede sein kann, und daß auch Merkur und Venus keine für die Existenz organischen Wesen geeignete Verhältnisse darbieten. Für den Mars dagegen kann die Möglichkeit der Bewohnbarkeit nicht ohne weiteres geleugnet werden, und wie Gruithuisen in der ersten Hälfte des 19. Jahrh. an die Möglichkeit dachte, mit Bewohnern des Mondes sich zu verständigen, so hat man auch in der neuesten Zeit von einem Verkehr mit den Marsbewohnern gesprochen. Keiner der übrigen Körper des Sonnensystems bietet in ähnlichem Grade Aussicht auf die Bewohnbarkeit; auch auf dem Monde fehlen alle Vorbedingungen für organisches Leben. Die Fixsterne sind Sonnen und als solche unbewohnbar, aber der Gedanke ist berechtigt, daß sie von Planeten umgeben sind, die ähnliche Verhältnisse wie Mars und Erde darbieten und die Bewohnbarkeit als möglich erscheinen lassen. Vgl. Flammarion, Les mondes imaginaires et les mondes réels (20. Aufl, Par. 1887) und La pluralité des mondes habités (34. Aufl., das. 1890; deutsch, Leipz. 1865); Proctor, The orbs around us (neue Ausg., Lond. 1894).

Über die Entstehung des Weltgebäudes haben Kant und Laplace eine Hypothese aufgestellt (s. Kosmogonie), nach der die ganze Masse des Sonnensystems ursprünglich bei sehr hoher Temperatur in sein verteiltem, gasförmigem Zustand in einem Raum[522] verbreitet war, der weit über die heutigen Bahnen der Planeten hinausging. Unter dem Einfluß der allgemeinen Massenanziehung bildete sich in dieser Dunstmasse ein dichterer Kern, der Embryo unsrer Sonne. Dieser Kern mit der ihn umgebenden Dunsthülle rotierte um eine Achse, und durch die Zentrifugalkraft erhielt die Hülle eine stark abgeplattete, der verlängerten Äquatorebene des Kerns sich anschließende Gestalt. Die Rotation erscheint bei Laplace als gegeben, während Kant versucht, sie als eine notwendige Folge der zwischen den einzelnen Massenteilchen wirkenden Attraktions- und Repulsionskräfte nachzuweisen. So wie nun in dem ursprünglich gleichförmigen Urstoff die Sonne durch Kondensation gebildet wurde, so entstanden nach Kant auch später um gewisse Attraktionszentren Massenanhäufungen, die sich dann loslösten und in derselben Richtung um den Kern laufen, in der dieser selbst rotiert. Laplace aber nimmt an, daß infolge der allmählichen Erkaltung durch Ausstrahlung die platt gedrückte Dunsthülle sich zusammenziehen mußte, und daß sich nun in der Äquatorialebene ringförmige Zonen loslösten, an denen sich an der jeweiligen Grenze der Dunsthülle oder Sonnenatmosphäre Planeten bildeten. Auf diese Weise erklären sich die Erscheinungen, daß alle Planeten in gleicher Richtung um die Sonne laufen, nämlich im Sinne der Sonnenrotation, daß ihre Ebenen nahezu kreisförmig und nur schwach gegen den Sonnenäquator geneigt sind. Daß die Bahnen nicht genaue Kreise sind, findet nach Kant seine Erklärung darin, daß die Teilchen, die sich zu einem Planeten zusammenballen, je nach ihrem ursprünglichen Abstand vom Kern der rotierenden Masse eine verschiedene Geschwindigkeit besitzen, daher die Tangentialgeschwindigkeit des aus diesen Teilchen gebildeten Planeten nicht genau die Größe erhält, die zur Entstehung einer kreisförmigen Bewegung nötig ist. Der Überschuß der Geschwindigkeit der von der Sonne entferntern Teilchen über die der nähern bewirkt auch die Rotation der Planeten um ihre Achse, die daher bei allen in gleicher Richtung erfolgt. Auch die Tatsache, daß die Planeten bahnen nicht genau in einer Ebene liegen, wird dadurch erklärt, daß die abgeplattete Gasmasse eine gewisse Dicke besaß, innerhalb der es dem Zufall überlassen blieb, an welcher Stelle sich die zur Bildung eines Planeten günstigen Umstände vorfanden. Die von der Hauptmasse abgesonderten, um ihre Achsen rotierenden Planeten machten nun einen analogen Prozeß durch wie die ganze Masse; es sonderten sich von ihnen Ringe (beim Saturn) und Monde ab. Auch das Zodiakallicht verdankt nach Kant seine Entstehung einem Ringe, der sich in gleicher Weise von der bereits stark erkalteten und zusammengezogenen Sonnenatmosphäre abgesondert hat. Die Kometen sind nach Kant aus den feinsten und leichtesten Massenteilchen »in der obersten Gegend des Weltgebäudes« gebildet. Eine von Eberhard (»Die Kosmogonie von Kant«, Wien 1893) ausgeführte vergleichende Kritik der von Kant und Laplace aufgestellten Hypothesen hat gezeigt, daß die Laplacesche Darstellung mathematisch-physikalisch richtiger aufgebaut ist als diejenige von Kant, daß sie aber doch in einigen Teilen mit den Gesetzen der Mechanik im Widerspruch steht. Aber auch einige Beobachtungstatsachen, wie die Rückläufigkeit und starke Bahnneigung der Monde des Uranus und Neptun, die kleine Umlaufszeit der innern Marstrabanten, die kleiner ist als die Rotationszeit des Mars, sprechen gegen die volle Gültigkeit der Laplaceschen Hypothese. In neuester Zeit hat Svante Arrhenius (»Das Werden der Welten«, deutsch, Leipz. 1907) die modernen physikalischen Anschauungen, besonders diejenige des Strahlendruckes, zur Erklärung kosmogonischer Vorgänge herangezogen. – Unter W. versteht man endlich noch das Endliche und Kreatürliche im Gegensatze zum Unendlichen, Ewigen, zum Geist.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 522-523.
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