Altertum

[388] Altertum, im allgemeinen der Zeitraum der Geschichte, der, seinem Anfang nach unbestimmbar, mit dem Untergange des weströmischen Reiches und der Entstehung der christlich-germanischen Staaten 476 endet; insbes. der Zeitraum, der die Geschichte der Griechen und Römer umfaßt, das klassische A. genannt, ein Begriff, in den man in höherm oder geringerm Maß auch das Kulturleben solcher Völker einbezieht, die, wie Ägypter, Babylonier, Phöniker etc., nach Errichtung des römischen Weltreiches zu jenen in engere Beziehungen traten. Im engern Sinne versteht man unter A. auch die Urgeschichte jedes einzelnen Volkes, die ihren Abschluß mit einer Periode findet, in der durch große Ereignisse eine völlige Umwandlung des geistigen und sittlichen Lebens des betreffenden Volkes sich vollzieht. So schließt das A. ab bei Germanen, Kelten u.a. mit der Annahme des Christentums, bei Arabern, Persern, Türken mit der Bekehrung zum Islam, bei Azteken, Inka u.a. mit ihrer Entdeckung und Unterwerfung durch die Europäer und der Annahme christlicher Religion und Kultur. Die aus den bezeichneten Perioden uns überkommenen Denkmäler nennen wir Altertümer oder Antiquitäten, worunter man nicht nur Bau- und Kunstwerke (mit Einschluß von Waffen, Werkzeugen u. dgl.; vgl. Antiquitätenhandel). sondern auch die Nachrichten von den staatlichen, religiösen und sozialen Einrichtungen, dem öffentlichen und privaten Leben der Völker versteht, wie sie in den uns überlieferten Schriften, Denkmälern u.a. enthalten sind. Von diesen Altertümern sind aber in neuerer Zeit die Werke der bildenden Kunst durch eine besondere Wissenschaft, die Archäologie (s. d.), zu einem eignen Gebiet abgegrenzt[388] worden; so versteht man heute unter Altertümern nur noch die Staats-, Religions- u. Privataltertümer. Die Staatsaltertümer umfassen Verfassung, Rechtspflege, Polizei-, Finanz- und Kriegswesen, Kultur und Handel, die Religions- oder Sakralaltertümer den Kultus, die Privataltertümer die physischen und geselligen Verhältnisse, wie Familie, Sklaverei, häusliche Einrichtung, Lebensweise etc. Die wichtigsten Handbücher der klassischen Altertumskunde sind für die griechischen Altertümer: K. F. Hermann (neubearbeitet von Blümner u. Dittenberger, Freiburg 1882 ff., 4 Bde.), Schömann (4. Aufl. von Lipsius, Berl. 1897 bis 1902, 2 Bde.); Busolt, Bauer und Müller (J. Müllers »Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft«, Bd. 4, 2. Aufl., Münch. 1893); für die römischen: Marquardt und Mommsen (3. Aufl., Leipz. 1884 ff., 7 Bde.), Schiller und M. Voigt (bei J. Müller, Bd. 5, 2. Aufl., Münch. 1893), Guhl u. Koner (»Das Leben der Griechen und Römer«, 6. Aufl. von Engelmann, Berl. 1893). Lexikalisch: Pauly-Wissowas »Realenzyklopädie der klassischen Altertumskunde« (neue Bearbeitung, Stuttg. 1894 ff.), Daremberg-Saglios »Dictionnaire des antiquités grecques et latines« (Par. 1877 ff.) und Baumeisters »Denkmäler des klassischen Altertums« (Münch. 1889, 3 Bde.). Das oben angegebene zeitliche Maß ist übrigens bei den heutigen schnell vorwärts schreitenden Kulturvölkern keineswegs festgehalten worden; es erscheint näher an die Gegenwart gerückt und wird im Lauf der Zeit noch weiter vorrücken. So betrachtet man die deutschen Altertümer, nämlich das, was man heute als »altdeutsch« bezeichnet, als bis zur Reformation reichend, eine Grenze, die sich auch Jakob Grimm bei der Darstellung der deutschen Rechtsaltertümer gezogen hat. Die deutsche Altertumskunde wurde besonders von Ludw. Lindenschmit (s. d.) bearbeitet, eine populäre Darstellung gibt Götzingers »Reallexikon der deutschen Altertümer« (2. Aufl., Leipz. 1884). Ein »Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde« veröffentlichte O. Schrader (Straßb. 1901, 2 Bde.). – Weiteres, besonders über die christlichen Altertümer, s. Archäologie; über die biblischen Altertümer vgl. Biblische Archäologie; über die vorgeschichtlichen Altertümer s. Prähistorie.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 388-389.
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