Azteken

[214] Azteken (Azteka, spr. aßtēka, oder Méxica, spr. méschika oder méchika) nannte sich der Zweig des Nahua-Völkerstammes, der an einer flachen Stelle der Salzwasserlagune, welche die Mitte und zugleich die tiefste Stelle des Hochtals von Mexiko bezeichnet, sein Heim sich gründet:, die Stadt, die, nachmals als Mexiko oder Tenochtitlan (spr. tenotschtitlan) bekannt, dem ganzen Lande seinen Namen Mexiko gegeben hat. Der Name A. bedeutet »die aus dem Land Aztlan Stammenden«. Die Bedeutung dieses Wortes ist zweifelhaft. Noch zweifelhafter ist es, wo dieser Ort Aztlan zu suchen ist. In den Überlieferungen der A. erscheint der Ort als eine mythische Verklärung der Stadt Mexiko selbst, des Ortes, in dem in geschichtlicher Zeit der Stamm seinen Wohnsitz hatte. Anfangs hatte ein unbedeutender Stamm, vielleicht aus versprengten Banden erwachsen, von verschiedenen umliegenden Ortschaften her in dem Röhricht der Lagune Zuflucht gesucht. In alter Zeit war der Stamm der Stadt Azcapotzalco, die gegenüber auf dem Seeufer gelegen war, tributpflichtig. Inmitten der Lagune siedelnd, waren die A. für ihren Unterhalt auf den Fischfang, die Jagd auf Wasservögel und auf die Produkte angewiesen, die sie auf den Chinampa, mit Erdreich bedeckten Flößen, kultivierten. Daneben betrieben sie frühzeitig einen ausgedehnten Handel bis nach der atlantischen und pacifischen Küste. Die entscheidende Wendung in der Geschichte des Stammes bildet die Befreiung von der Herrschaft Azcapotzalcos und die Unterwerfung dieser Stadt in der ersten Hälfte des 15. Jahrh. unter dem König Itzcouatl. Unter seinem Nachfolger, dem ältern Motecuhzoma, wurde der Bund zwischen den drei Städten Mexiko, Tetzcoco und Tlacopan geschlossen, der der Stadt Mexiko, als dem Vororte des Bundes, die Führerschaft unter den Städten des Hochtales sicherte und eine schnelle Ausbreitung der aztekischen Herrschaft über weite Teile der südlich und östlich gelegenen Länderstrecken bis an die Ufer beider Meere ermöglichte. Es entstand ein Reich, das allerdings weder eine kompakte Ländermasse noch ein einheitliches Staatswesen darstellte, aber eine Kette von Vasallenstaaten. Dieses Staatswesen fand 1519 durch Cortez und die ihn unterstützenden Bewohner der unabhängig und feindlich gebliebenen Stadt Tlaxcallan sein Ende.

Das Volk der A. war in alter Weise in Sippen oder Geschlechter (calpulli) gegliedert. Einen besondern Rang nahmen die Angehörigen der königlichen Familie (pilli) ein. Die oberste Gewalt ruhte in den Händen des Königs (tlahtouani), der aus den Mitgliedern der königlichen Familie ohne Rücksicht auf eine bestimmte Erbfolge nur nach Würdigkeit gewählt wurde. Er war der oberste Kriegsherr und verfügte in despotischer Weise über die gesamten Machtmittel des Staates. Ihm zur Seite stand als eine Art Reichskanzler der Cinacouatl. Die Häupter der Geschlechter und die Könige der verbündeten Städte bildeken einen Rat. Das Land war teils Eigentum der Sippe (calpullalli), teils gehorte es dem König und den Vasallenfürsten oder Tempeln. In der Stadt blühten Industrien, namentlich die Steinschleifereien, die Goldschmiedekunst und die Anfertigung von Federarbeiten (Federmosaiken). Einen besondern Stand bildeten die Kaufleute, welche die großen Expeditionen nach den Küstenländern der parisischen und atlantischen Seite leiteten. Zur Landarbeit, zu häuslichen und industriellen Verrichtungen und als Träger bei den Handelskarawanen wurden Sklaven verwendet, die keils Kriegsgefangene, teils Schuldsklaven waren. Als vornehmstes Handwerk aber und als einziges Mittel, wodurch auch der einfache Bürger im Gemeinwesen zu Rang und Würden emporzusteigen vermochte, galt der Krieg, In den Krieg zogen die A. mit einem rohrgeflochtenen Schild und einer Keule, in die auf zwei Seiten scharfe Obsidiansplitter eingekittet waren. Daneben führten sie Wurfspeere, aus einem Rohrschaft bestehend, mit Feuersteinspitze oder gehärteter Holzspitze, die mittels des Wurfbrettes geschleudert wurden. Gegen feindliche Geschosse schützten sich die A. durch ein Hemd aus gesteppter Baumwolle, einen[214] Wattepanzer. Darüber trugen die Vornehmen einen Waffenrock in bunter Federarbeit. Als Abzeichen führten sie fahnenartige Symbole, die an einem Gestell befestigt waren, das sie auf den Rücken geschnallt trugen. Im Kriege selbst kam es darauf an, möglichst viele Feinde lebend in die Hand zu bekommen; denn der im Handgemenge erbeutete Gefangene war das den Göttern genehmste Opfer. Der Stammgott der A. war Huitzilopochtli (spr. uitsilopōtschtli). Daneben hatte jedes Geschlecht oder jede Sippe noch seine besondere Gottheit. Allgemeinere Bedeutung besaßen der alte Feuer- und Himmelsgott Ixcozauhqui (spr. ischkoßáuki), die alte Mutter Erde, Toci (spr. tōßi), »unsre Ahne«, genannt, und Tlaloc, der Gott des Regens und der Berge. Das Jahr teilten die A. in 18 Zeiträume von je 20 Tagen, von denen jeder durch das Fest einer bestimmten Gottheit bezeichnet war. Nur die überschüssigen fünf letzten Tage des Jahres blieben ohne Feste; sie galten als Unglückstage. Durch Tänze und Auszüge, durch Darbringungen und Opfer, insbes. auch durch Menschenopfer, wurden an den Festen die Götter geehrt. Die Menschenopfer wurden unter anderm in der Weise dargebracht, daß der Unglückliche mit dem Rücken über einen Block geworfen und ihm lebend das Herz herausgeschnitten wurde. An bestimmten Tagen war das ganze Volk zu Fasten, Kasteiungen und Blutentziehungen verpflichtet. In erhöhtem Maße war dies die Pflicht der zahlreichen Priester, die zur Keuschheit verbunden waren und in klösterlichen Gemeinschaften lebten. Ähnlich lebten in abgeschlossenen Quartieren die unverheirateten jungen Leute. Die erstern wurden calmecac, die letztern telpochcalli genannt. Beide Gemeinschaften standen unter Vorstehern. In diese Häuser brachten die Eltern ihre Kinder, um sie erziehen zu lassen. Die Sprache der A. war das Nahuatl (s. d.), das im ganzen Hochtale von Mexiko und den angrenzenden Landschaften gesprochen wurde. Die A. besaßen eine reiche Literatur, die durch Tradition fortgepflanzt wurde, unter Zuhilfenahme von Malereien, in denen die Namen hieroglyphisch durch bestimmte konventionelle Bilder bezeichnet waren. Von diesen Bilderschriften ist eine größere Anzahl erhalten geblieben und mit Hilfe der in dem ersten Jahrhundert nach der Eroberung Mexikos ausgezeichneten traditionellen Literatur zu einem erheblichen Teil entziffert worden. Vgl. Amerikanische Altertümer, S. 432 f., und die Geschichtskarten bei »Amerika«.

Literatur. Haebler im 1. Bande von Helmolts »Weltgeschichte« (Leipz. 1899); Torquemada, Monarquia Indiana (Madr. 1723); Clavigero, Storia del Messico (Cesena 1780); Sahagun, Historia general de las cosas de Nueva España (Mexiko 1829; übersetzt von Jourdanet, Par. 1880); Duran, Historia de las Indias de Nueva España (Mexiko 1867); Tezozomoc, Cronica mexicana (das. 1878); Prescott, History ofthe conquest of Mexico (neue Ausg., Lond. 1874); H. Bancroft, Native races of the Pacific States, Bd. 5 (San Francisco 1875); Bastian, Die Kulturländer des alten Amerika (Berl. 1878); Brühl, Die Kulturvölker Altamerikas (Cincinnati 1875–87); Kingsborough, Mexican antiquities (Lond. 1831–48); Buschmann, Über die aztekischen Ortsnamen (Berl. 1852); Derselbe, Über die Spuren der aztekischen Sprache (das. 1871); Seler: Historische Hieroglyphen der A. im Königreiche Neuspanien, gesammelt von A. v. Humboldt (das. 1893), Das Tonalamatl der Aubinschen Sammlung (das. 1900), Altmexikanische Studien (Veröffentlichungen des Museums für Völkerkunde in Berlin, Bd. 1, Heft 4; Bd. 6, Heft 2–4, das. 1890–99); Kohler, Das Recht der A. (Stuttg. 1892).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 214-215.
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