Küste

[880] Küste (Gestade; hierzu Tafel »Küstenbildungen I und II«), der vom Meer oder einem großen Binnensee bespülte und begrenzte Teil des Festlandes und der Inseln. Die Küsten zeigen hinsichtlich ihrer horizontalen und linearen Erstreckung, ihrer vertikalen Erhebung über das Meer und ihres orographischen Baues mannigfaltige Umrisse und Formen. Die Küstenlänge oder die Linie, auf der ein Land oder ein Erdteil vom Meer bespült wird, ist im Verhältnis zum Flächeninhalt desselben Landes oder Erdteils von größter Wichtigkeit, weil sich danach größtenteils dessen maritime Zugänglichkeit bestimmt, die bei der Frage der Kulturfähigkeit eines Landes und Volkes besonders in Betracht kommt. Über diese charakteristischen Verhältniszahlen vgl. Festland. Nach ihrer vertikalen Bildung zerfallen die Küsten in Flachküsten und Steilküsten (Fig. 1–3 der Tafel II). Wo Flachküsten das Meer begrenzen, senkt sich das Land allmählich bis zum Meer und unter dessen Spiegel hinab; an ihnen setzt das Meer beständig das von ihm fortbewegte Material ab und zwar die gröbern Bestandteile zu oberst, den feinern Sand und Schlick, den die zurücktreibende Welle zum Teil wieder mit fortreißt, zu unterst. Solche flache, sandige Küstenstrecken bilden den sogen. Strand. Besonders wichtig wird die Anschwemmung von Boden da, wo Küstenströmungen vorhanden sind, oder wo zugleich Flüsse aus dem Innern des Landes kommen und die Verlandung begünstigen. Alsdann zeigen sich vor den Buchten oft schmale Landzungen (Fig. 1 u. 2 der Tafel I) oder der K. parallel gerichtete Küstenwälle oder Barren, die bei bogenförmigem Verlauf auch wohl beiderseits an die K. sich anschließen (Fig. 3, Tafel I). Die Buchten werden dadurch zu Lagunen (Lagunenküsten) oder Binnenseen und können durch die Ablagerungen der Flüsse allmählich mit Sand oder Schlamm angefüllt werden. Ein ausgezeichnetes Beispiel solcher Verlandungen sind die Hasse an der Ostseeküste sowie die Lidi von Venedig und die Péressyps. Die Verlandungen, zumal lose Sandanhäufungen, werden, wenn sie nicht durch Dünen, Dämme oder Deiche geschützt sind, auch wohl wieder von dem andringenden Wasser durchbrochen und schließen sich dann wiederum; so ist z. B. der Limfjord in Jütland im Laufe von 1000 Jahren infolge der Eröffnung und Verstopfung westlicher Einfahrten viermal mit süßem und ebensovielmal mit salzigem Wasser angefüllt worden. Zuweilen backt auch das lose Material, woraus die Barren (Fig. 1–3 der Tafel I) bestehen, durch Infiltration von Kalk, vorzüglich aber durch Eisenoxyd zusammen, so daß eine Art Konglomerat (Riffstein, Uferbreccie) entsteht. Dergleichen Gestein findet sich an der K. von Ägypten, Kalabrien, Messina, Elba, Haïti, Guadeloupe, Martinique etc. Kolossal sind oft die allmählichen Zuwüchse des Landes an Flachküsten, wie z. B. in Nordchina, aber auch an den skandinavischen Küsten, den britischen Inseln, Grönland etc., besonders wenn langsame Landhebung (s. Hebung) hinzutritt, wobei oft mehrere Barren hintereinander sich bilden, derart, daß die jüngere stets in tieferm Niveau liegt als die nächst ältere (vgl. Fig. 2 auf Tafel II). Eine ganz andre Wirkung übt das Meer an den Steilküsten aus. Hier arbeiten die brandenden Wellen fort und fort an der Zerstörung und Ablösung des anstehenden Gesteins. Wo festeres Gestein zwischen weicherm gelagert ist, wird jenes dem andringenden Meer noch trotzen, während dieses längst weggewaschen ist, und da, wo feste Gesteine ausschließlich die K. zusammensetzen, entstehen meist wild zerklüftete, zerrissene Küsten, oft mit isolierten, schroffen Felspartien, sogen. Klippenküsten (vgl. Fjorde und Kliff). Von letztern sind wohl zu unterscheiden die Korallenklippenküsten, die durch Korallenbänke (s. Koralleninseln) gebildet werden. Für die Schiffahrt sind die Flachküsten im allgemeinen wenig günstig, indem sie häufig auf weite Strecken selbst für kleinere Fahrzeuge unzugänglich sind, auch selten natürliche Häfen darbieten und kostspielige künstliche Hafenbauten notwendig machen; buchtenreich sind von den Flachküsten nur die Limane, Föhrden (oder Förden) und Bodden. Steilküsten sind in der Regel reich an tiefen, geschützten Buchten und Häfen. Zu fürchten sind an denselben jedoch unterseeische Klippen. Diejenigen Küsten, deren Verlauf durch die Richtung der an der K. auftretenden Gebirgsketten bedingt ist, wie die Nordküste von Spanien und die den Pazifischen Ozean begrenzenden Küsten von Amerika und Asien, haben den sogen. pazifischen Küstentypus und sind in der Regel von Erdbeben und vulkanischen Erscheinungen heimgesucht. Keine solche Abhängigkeit zeigen die mit dem Verlauf der Gebirge nicht zusammenhängenden Küsten des atlantischen Typus, also z. B. die Küsten rings um den Atlantischen Ozean (mit Ausnahme der Nordküste von Spanien). Dagegen sind die fjordähnlichen Riasküsten, wie die der Bretagne, des südwestlichen Irland, des westlichen England und besonders des südöstlichen China, quer zum Gebirgs- und Schichtenstreichen gerichtet; infolgedessen treten die Enden der Gebirgszüge in scharfer Umgrenzung in das Meer hinaus, und dieses greift in die untern Teile der die Bergzüge trennenden Täler tief buchtenartig ein. Die Riasküsten[880] verdanken ihre Entstehung offenbar einer Senkung des Strandes. Philippson (»Über die Typen der Küstenformen«, Richthofen-Festschrift, 1893) unterscheidet zwei mit den oben erwähnten Flachküsten und Steilküsten im wesentlichen übereinstimmende Haupttypen von Küsten, nämlich solche, die küstenfremden Agenzien (tektonischen Vorgängen, der Tätigkeit von Vulkanen und Gletschern etc.) ihre Entstehung verdanken, und deren Verlauf meist einer Niveaulinie des Festlandes entspricht (Isohypsenküste, vgl. Fig. 3 u. 4 auf Tafel II), und solche, die durch litorale Agenzien (Flußmündungen und Brandung) entstanden sind. Zu den durch Flüsse gebildeten (potamogenen) Schwemmlandsküsten gehören die Deltavorbaue einzelner Flüsse (vgl. Fig. 2 auf Tafel II) oder die durch mehrere miteinander verwachsene Deltas entstandenen, oft Deltaseen einschließenden Flachküsten (vgl. auch Liman). Die von den Meereswellen gebildeten (thalassogenen) Küsten sind entweder durch Erosion (Abrasion) infolge der Brandung (Abrasionsküsten, so die K. von Helgoland, von Hinterpommern etc.) oder durch Anspülung (Akkumulation) entstanden (Anschwemmungsküsten, so die Wattenküste im W. von Schleswig-Holstein); diejenigen Küsten, an denen Zufuhr und Wegnahme von Material sich das Gleichgewicht halten, werden Transportküsten genannt. Seen oder Lagunen einschließende Schwemmlandsküsten stellen oft eine Verbindung potamogener und thalassogener Anschwemmungsküsten dar. – Über die sogen. Scherm- und Calaküsten s. Scherm.

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 880-881.
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