Hebung [1]

[31] Hebung, Erhöhung des Niveaus einzelner Teile der Erdkruste, die nicht auf Zufuhr neuen Gesteinsmaterialszurückführbar ist, sondern in einer Verschiebung des vorher in tieferm Niveau schon vorhandenen Materials beruht. Die der H. entgegengesetzte Erscheinung der Senkung ist eine Erniedrigung des Niveaus, die nicht an Fortführung des Gesteinsmaterials durch Erosion und Abtragung geknüpft ist. H. und Senkung treten, und zwar im Gefolge von vulkanischen Ausbrüchen und Erdbeben, als momentane, der Wahrnehmung direkt zugängliche Erscheinungen auf, dann aber nur kleinere Länderstrecken betreffend (instantane Hebungen und Senkungen); oder (und dies ist weit häufiger) sie vollziehen sich äußerst langsam und für kurze Beobachtungsperioden unmerklich (säkulare Hebungen und Senkungen). Die letztern sind fast ausschließlich nur für Küstengegenden, wo der Meeresspiegel ein sicherer Indikator ist, nachweisbar, sind aber gewiß auch im Innern der Kontinente vorhanden. Alte Strandlinien (s. d.), oft mit den Gehäusen verstorbener Meerestiere (Balanen etc.) besetzt, hoch über dem heutigen Meeresniveau (bei Drontheim 145 und 162 m ü. M.), zeigen eine H. oder nach Sueß negative Verschiebung der Strandlinie, Ausdehnung des Meeres über früher kartographisch als Festland fixierte Teile der Erdoberfläche eine Senkung oder positive Verschiebung der Strandlinie an.

Eins der am häufigsten zitierten Beispiele, an dem sich abwechselnde H. und Senkung nachweisen lassen, ist der Serapistempel bei Pozzuoli unfern Neapel. In der nahe am Meeresufer gelegenen Ruine wurden bei der Ausgrabung drei an 12 m hohe, aus je einem Marmorblock gearbeitete Säulen noch aufrecht[31] stehend angetroffen. Sie sind in ihrem obern Teil und unten bis zu 3,6 m über dem Boden noch wohl erhalten, glatt und poliert, aber in einer mittlern, an 3 m breiten Zone angewittert (Fig. 1) und von Bohrmuscheln, die nur im Salzwasser leben, durchlöchert; Schalen derselben wurden früher noch vorgefunden. Dies beweist, daß der Tempel, dessen Fußboden heute etwa im Meeresniveau gelegen ist, sich früher vorübergehend unter der Meeresoberfläche befunden hat, und zwar im Maximum 6,6 m; es muß also der Erbauung des Tempels eine Periode der Senkung und später wieder eine solche der H. gefolgt sein. Über die Zeit der Erbauung weiß man nur, daß der Tempel 105 v. Chr. schon stand; wahrscheinlich hatten sich bereits damals, jedenfalls aber noch während der heidnischen Zeit, Senkungserscheinungen eingestellt, das beweist ein unterhalb des die Säulen tragenden Fußbodens aufgefundenes Mosaikpflaster, offenbar das ursprüngliche, später wegen Überschwemmung durch die Meereswogen verlassene und durch einen höher gelegenen Fußboden ersetzte.

Fig. 1. Säulen des Serapistempels bei Pozzuoli mit den Spuren der Bohrmuscheln.
Fig. 1. Säulen des Serapistempels bei Pozzuoli mit den Spuren der Bohrmuscheln.

Ein Wechsel von Schichten marinen Ursprungs, von Quellabsätzen und von vulkanischen Tuffen und Aschen wurde bei der Ausgrabung innerhalb des Tempels nachgewiesen, sie schützten offenbar den untern Teil der Säulen vor der Einwirkung der Bohrmuscheln (Fig. 2).

Fig. 2. Durchschnitt des Serapistempels (nach Lyell). a Altes Mosaikpflaster, b marine Schichten im Tempel, c vulkanischer Tuff und Asche, d Süßwasserkalk im Tempel.
Fig. 2. Durchschnitt des Serapistempels (nach Lyell). a Altes Mosaikpflaster, b marine Schichten im Tempel, c vulkanischer Tuff und Asche, d Süßwasserkalk im Tempel.

Die Epoche dee H. des Tempels und seiner Umgebung wird gewöhnlich, aber ohne zwingenden Beweis, zeitlich mit derjenigen der Eruption, durch die der etwa 3 km entfernte Monte Nuovo 1538 aufgebaut wurde, identifiziert (Fig. 3); die Erhaltung mehrerer Säulen in aufrechttem Zustand läßt viel eher an eine stetige und langsame, also säkulare, als an eine instantane H. denken.

Durch die von Celsius (1743), Playfair (1802) und L. v. Buch (1807) angeregten Untersuchungen ist eine säkulare H. der skandinavischen Küsten, aber an verschiedenen Punkten von verschiedener Stärke, festgestellt worden. Ablagerungen mit marinen Ostseemollusken, die sich an den Küsten finden, sprechen für diese H. Im Mittel beträgt sie etwa 1,86 m in 100 Jahren. Dagegen ist der südlichste Teil von Schweden von Karlskrona bis Landskrona in säkularer Senkung begriffen. Auch in der Umgebung der Hudsonbai ist eine H. des Festlandes nachgewiesen worden. Das ganze Gelände, das die Bai umgibt, ist in fortschreitender H. begriffen, und man muß annehmen, daß die Bucht, die nur in der Mitte die Tiefe von etwas über 200 m besitzt, in wenigen Jahrhunderten verschwinden wird.

Fig. 3. Meerbusen von Bajä.
Fig. 3. Meerbusen von Bajä.

Als Beweis säkularer Senkungen werden unter das Meer gesunkene Torfmoore, Wälder und Gebäude, Landverlust an der Küste und besonders häufig die mitunter mehrere Hunderte von Metern mächtigen Korallenriffe angeführt. Da diese riffbauenden Polypen nur bis etwa 40 m Tiefe unter dem Meeresspiegel lebensfähig sind, so müssen sich einst auch die tiefern, jetzt ausgestorbenen Teile des Stockes in dieser Lebenszone befunden haben, später aber so langsam und stetig der Senkung unterlegen sein, daß die Korallen den Abgang nach unten durch Weiterbau nach oben ersetzen konnten. Vgl. auch Koralleninseln.[32] Eine Gesetzmäßigkeit in der geographischen Verbreitung von Hebungen und Senkungen, eine Abhängigkeit der Richtung und der Stärke dieser Bewegungen von der geographischen Breite hat sich noch nicht nachweisen lassen. Auch in den frühern Erdepochen haben ab und zu bedeutende Niveauschwankungen stattgefunden, wie in dem häufigen Übergreifen der verschiedenalterigen Ablagerungen übereinander, in den sogen. Transgressionen (s. d.), zu erkennen ist.

Die Ursache aller dieser Niveauänderungen, welche die ältern Geologen im Vulkanismus oder auch in der Wasseraufnahme hydratisierungsfähiger Gesteinsgemengteile (Umwandlung von Anhydrit in Gips, Zeolithisierung von Feldspaten) suchten, ist wohl die gleiche, wie die der Dislokationen (s. d.) und der Gebirgsbildung. Sueß unterscheidet horizontale (faltende und schieben de) und vertikale, aber nur senkende Bewegungen und leugnet die Existenz von Hebungen, die für ihn nur lokaler Ausdruck der erstgenannten Bewegung sind (s. Gebirge, S. 409). Vgl. Hahn, Untersuchungen über das Aufsteigen und Sinken der Küsten (Leipz. 1879); Toula, Über die säkularen Hebungen u. Senkungen der Erdoberfläche (Wien 1880); Lehmann, Über ehemalige Strandlinien im anstehenden Fels in Norwegen (Halle 1879); Sueß, Das Antlitz der Erde (Prag 1885–1902, 3 Bde.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 31-33.
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