Frage

[814] Frage, logisch unvollständiger oder unbestimmter Satz, der durch die Antwort vervollständigt oder näher bestimmt werden soll. Ist die F. ein unvollständiger Satz, so fehlt irgend ein Satzglied (Subjekt, Prädikat, Attribut, Objekt), das durch die Antwort hinzugefügt wird. Ist aber die F. ein unbestimmter Satz, so kann die nähere Bestimmung desselben entweder darin bestehen, daß durch die Antwort der Inhalt der F. bejaht (Affirmativfrage) oder verneint (Negativfrage), oder darin, daß zwischen mehreren gegebenen oder möglichen Fällen gewählt (Disjunktivfrage) werden muß. Alle Fragen, die in Verbindung mit der Antwort ein kategorisches Urteil geben, heißen kategorische; diejenigen, die das Urteil von einer Bedingung abhängig machen, hypothetische. Der grammatischen Form nach ist die F. entweder eine direkte, im Hauptsatz ausgedrückte (Was ist Wahrheit?), oder eine indirekte, abhängige, im Nebensatz stehende (Pilatus fragt, was Wahrheit sei). Ausrufe in Form von Fragen heißen uneigentliche oder rhetorische Fragen (s. unten). Die eigentlichen Fragen haben besondere Bedeutung für Erziehung und Unterricht und zwar gleicherweise die naiven Fragen der Kinder, die dem Erwachsenen das Interesse zeigen, an das er bei seinem Zögling anknüpfen kann, wie die Lehrfragen des Erziehers, durch die dieser den Schüler zum Nachdenken anleitet (Entwickelungsfragen, Leitfragen) oder zur Wiedergabe des Gelernten veranlaßt (Prüfungsfragen). Die Kunst der Fragestellung, besonders im Unterricht, heißt Erotematik (s. Erotema). Vgl. Reinstein, Die F. im Unterricht (neue Ausg., Leipz. 1886). Als rhetorische F. bezeichnet man eine solche, welche die Verwunderung oder den Unwillen des Redenden ausdrücken und bei dem Zuhörer ein Gefühl der Spannung erregen soll, das jedoch in der Regel, da die Antwort selbstverständlich oder naheliegend ist, schnell dem Gefühl der Lösung weicht (s. Figur). In der Politik und in der Wissenschaft hat das Wort auch noch die Bedeutung von Problem. In diesem Sinne redet man von der orientalischen F., der Schul-, Kirchen-, Arbeiterfrage etc.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 814.
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