Erbfolge

[889] Erbfolge (Sukzession) ist der Eintritt einer oder mehrerer Personen, der Erben, in die Gesamtheit der Vermögensverhältnisse, der Rechte und Verpflichtungen eines Erblassers (s. d.). Das Vermögen des Erblassers, die Erbschaft, geht als Ganzes auf den Erben über, der insoweit die Person des Erblassers fortsetzt, sogen. Gesamtnachfolge, Universalsukzession. Die E. beruht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch entweder auf einer letztwilligen Verfügung des Erblassers, die ein Testament (s. d.) oder ein Erbvertrag (s. d.) sein kann, sogen. gewillkürte E., oder unmittelbar auf dem Gesetze, das in Ermangelung einer letztwilligen Verfügung die Erben benennt, sogen. gesetzliche E., ehedem Intestaterbfolge genannt. Die Berufung zur E. durch Erbvertrag geht derjenigen durch Testament, letztere hinwiederum der gesetzlichen E. vor. Als gesetzliche Erben sind berufen die Verwandten des Erblassers, sein Ehegatte und der Fiskus Die Reihenfolge, in der die erbberechtigten Personen zur E. berufen werden, nennt man die Erbfolgeordnung. Die gesetzliche E. des Bürgerlichen Gesetzbuches beruht im Gegensatze zum römischen Erbrecht, das auf dem Gradualsystem beruhte, nach dem innerhalb der einzelnen Klassen, die nacheinander zur E. berufen waren, die Gradesnähe der Verwandtschaft entschied, auf dem Parentelsystem, wonach Verwandte, die mit dem Erblasser die nähern Stammeseltern gemeinsam haben, solche Verwandte ausschließen, die durch entferntere Stammeseltern mit dem Erblasser verbunden sind. Die Verwandten des Erblassers sind hinwiederum in Ordnungen geteilt, von denen eine spätere stets ausgeschlossen ist, wenn ein Mitglied einer frühern Ordnung erbt. Die Zahl der Ordnungen ist eine unbegrenzte; das Bürgerliche Gesetzbuch stellt jedoch nur fünf Ordnungen besonders dar, da weitere danach leicht zu konstruieren sind und überhaupt nur äußerst selten vorkommen. Die erste Ordnung bilden die Abkömmlinge des Erblassers mit Ausschluß der Fernerstehenden durch diejenigen, welche die Verwandtschaft mit dem Erblasser vermitteln; an die Stelle eines zur Zeit des Erbfalles nicht mehr lebenden Abkömmlings treten die durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge (E. nach Stämmen), Kinder erben zu gleichen Teilen. Die zweite Ordnung bilden die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge; leben zur Zeit des Erbfalles beide Eltern, so erben sie allein und zu gleichen Teilen. Ist ein Elternteil verstorben, so treten an dessen Stelle seine Abkömmlinge nach den für die Beerbung in erster Ordnung geltenden Vorschriften, sind Abkömmlinge nicht vorhanden, so erbt der andre Elternteil allein. Sind beide Eltern zur Zeit des Erbfalles verstorben, so erhalten die Abkömmlinge des Vaters und die Abkömmlinge der Mutter je die Hälfte der den Eltern zukommenden Erbschaft, vollbürtige Geschwister nehmen also an beiden Hälften teil, halbbürtige (s. Verwandtschaft) nur an einer Hälfte. Die dritte Ordnung bilden die Großeltern und deren Abkömmlinge Leben alle vier Großeltern, so erhalten sie je ein Viertel. Für einen nicht mehr lebenden Großelternteil treten dessen Abkömmlinge ein, sind solche auch nicht vorhanden, der andre Teil desselben Großelternpaares, dann dessen Abkömmlinge. Lebt ein Großelternpaar nicht mehr und fehlt es an Abkömmlingen desselben, dann erben die andern Großeltern und deren Abkömmlinge allein; der Eintritt von Abkömmlingen erfolgt wie in der ersten Ordnung. Wer in den drei ersten Ordnungen verschiedenen Stämmen angehört, erhält den in jedem dieser Stämme ihm zufallenden Anteil. Die vierte Ordnung wird von des Erblassers Urgroßeltern und deren Abkömmlingen gebildet, wobei in Abweichung vom Parentelsystem, falls zur Zeit des Erbfalles auch nur ein Großelternteil lebt, die Abkömmlinge von der E. ausgeschlossen sind. Sind keine Urgroßeltern vorhanden, so erbt von den Abkömmlingen derjenige, der mit dem Erblasser dem Grade nach am nächsten verwandt ist; mehrere gleich nahe Verwandte erben zu gleichen Teilen. Gesetzliche Erben der fünften Ordnung und der fernern Ordnungen sind die entferntern Voreltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, wobei die für die vierte Ordnung gegebenen Vorschriften Anwendung finden. Der Ehegatte des Erblassers, der nach gemeinem Recht, abgesehen von der Gunst der armen Witwe, allen Verwandten des Erblassers nachstand, hat nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, entsprechend der deutschrechtlichen Auffassung und in Übereinstimmung mit den modernen Kodifikationen, ein weitgehendes gesetzliches Erbrecht. Neben Abkömmlingen erbt er ein Viertel, neben Eltern und deren Abkömmlingen sowie neben Großeltern die Hälfte des Nachlasses; trifft er mit Abkömmlingen[889] von Großeltern und mit fernern Verwandten zusammen, so erhält er die ganze Erbschaft. Daneben hat er, wenn er auf die Hälfte erbberechtigt ist, außerdem noch Anspruch auf die zum ehelichen Haushalt gehörenden Gegenstände, soweit sie nicht Zubehör eines Grundstückes sind, sowie auf die Hochzeitsgeschenke, den sogen. Voraus, der den Regeln des Vermächtnisrechts unterliegt (§ 1931, 1932). Ist zur Zeit des Erbfalles weder ein Verwandter noch ein Ehegatte des Erblassers vorhanden, so ist der Fiskus des Bundesstaates, dem der Erblasser zur Zeit des Todes angehört, gesetzlicher Erbe. Über das Erbrecht der unehelichen Kinder s. d., über das der an Kindes Statt angenommenen s. Annahme an Kindes Statt, über E. gegen den Willen des Erblassers s. Pflichtteil. Über bäuerliche E. s. Höferecht. Vgl. die bei »Erbrecht« angegebenen Werke sowie Heymann, Die Grundzüge des gesetzlichen Verwandtenerbrechts nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (Jena 1896).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 889-890.
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