Tanz

[314] Tanz, gewisse, meist von Musik begleitete und in einem bestimmten Zeitmaß (Rhythmus) ausgeführte körperliche Bewegungen, die, ausgeübt in dem schöpferischen Drange nach einem in sich harmonischen Erleben des Weltgeschehens, durch technische Fertigkeit und Geschmack in das Gebiet der Kunst erhoben werden können (Tanzkunst), sowie das begleitende Musikstück selbst (s. Tanzmusik). Die Tanzkunst gehört unter die mimischen Künste; wie aber bei der Pantomime die Bewegungen der Füße den Bewegungen und Gebärden des übrigen Körpers untergeordnet sind, so finden im T. umgekehrt die Bewegungen der Füße eine Begleitung in den Bewegungen des übrigen Körpers. Man teilt den T. in den gesellschaftlichen und den theatralischen. Der gesellschaftliche T. hat das gemeinschaftliche Vergnügen, die Unterhaltung zum Zweck und schließt auch die sogen. Nationaltänze, die als Ausdruck nationaler Eigentümlichkeiten von besonderer Bedeutung sind, in sich. Zu den Nationaltänzen gehören bei den Deutschen namentlich der Walzer (künstlich zur Allemande ausgebildet), bei den Franzosen die Menuett und Française, in England die Anglaise, in Schottland die Ekossäse, bei den Spaniern die Sarabande und der Fandango, bei den Italienern die Tarantella und der Saltarello, in Polen die Polonäse, Mazurka, der Krakowiak etc. Beim theatralischen T., der von künstlerisch gebildeten Tänzern ausgeführt wird, unterscheidet man gewöhnlich die grotesken Tänze, die mehr Ausdruck der Kraft als der Grazie, ungewöhnliche Sprünge und Gebärden erfordern; die komischen Tänze, die, ebenfalls lebhaft, sich mitunter bis zum Mutwillen steigern, und die halben Charaktere, die eine Intrige, eine Liebesaffaire darstellen und besonders Zierlichkeit und Geschmack verlangen; hierzu kommt noch das Ballett (s. d.). –[314] Schon in den frühesten Zeiten des Altertums nahm der T. eine wichtige Stelle ein und zwar vorzugsweise zur Verherrlichung öffentlicher Feste und als Teil des Kultus; namentlich konnte in Asien der sinnliche Götterdienst des Tanzes nicht entbehren. Am meisten wurde aber die Kunst des Tanzes (Orchestik) bei den Griechen ausgebildet, bei denen sie auch das ganze Gebärdenspiel mit in sich schloß und in der innigsten Vereinigung mit Gesang, Poesie und Schauspielkunst stand (vgl. Flach, Der T. bei den Griechen, Berl. 1880; W. Emmanuel, La danse grecque antique, Par. 1896; Kirchhoff, Dramatische Orchestik der Hellenen, Leipz. 1898). Die Römer überkamen Tänze von den Griechen, eigentliche Nationaltänze hatten sie kaum. Die Histrionen (ludii) tanzten auf den Theatern nach dem Flötenspiel, ohne dabei zu singen, und suchten durch Gebärden Ernsthaftes auf lächerliche Weise nachzuahmen. Von der altrömischen Bühne ging der T. auf die italienischen Volkstheater über; die neuere Tanzkunst ist von den Italienern und Franzosen ausgegangen. Die Gesellschaftstänze haben mehrfache Wandlungen durchgemacht. Anfangs wurde bei diesen sogen. niedrigen Tänzen (danses basses) weder gesprungen noch gehüpft, sondern man bewegte sich nur in feierlichem Schritt (pas). Diese Tanzweise fand in Frankreich unter Ludwig XII., Franz I. und Heinrich II. Eingang. Unter Katharina von Medici erhielten die Damen üppigere Kleidung, kurze Röcke etc., und die Tänze selbst wurden lebhafter; auch verband man Maskeraden mit Bällen und tanzte die Nationaltänze der Provinzen. Unter Ludwig XIV. legte Beauchamp den Grund zu dem künstlichen theatralischen T. der Franzosen, den später besonders Noverre ausbildete. In der neuern Zeit machten sich besonders die Familien Vestris und Taglioni im Kunsttanzen berühmt. Außerdem sind als hervorragende Tänzerinnen zu nennen Therese und Fanny Elßler, Fanny Cerrito, Marie Taglioni, Grisi, Lucile Grahn, Adele Granzow, Zucchi, Dell' Era Sandriri (Paris), Otéro, Cléo de Mérode, Saharet, Loïe Fuller und Isadora Duncan, welch letztere durch eignes Auftreten und schulmäßige Ausbildung (Duncansche Tanzschule in Grunewald bei Berlin) nach antiken Vasenbildern und Gemälden die rhythmischen Tanzformen der alten Griechen wieder zu beleben suchte und klassische Musikstücke (Couperin, Gluck, Chopin u. a.) in Tänze übersetzte. Geraume Zeit leistete das Ballett der Großen Oper in Paris das Höchste in dieser Kunst, bis ihm in der neuern Zeit das Ballett des Berliner Opernhauses und später des Wiener Hofoperntheaters ebenbürtig zur Seite traten. Vgl. Czerwinski, T. und Tanzkunst (2. Ausg., Leipz. 1882), Die Tänze des 16. Jahrhunderts (Danz. 1878) und Brevier der Tanzkunst (Leipz. 1879); Voß, Der T. und seine Geschichte (Berl. 1868); Angerstein, Die Volkstänze im deutschen Mittelalter (2. Aufl., das. 1874); Klemm, Katechismus der Tanzkunst (7. Aufl., Leipz. 1901); Böhme, Geschichte des Tanzes in Deutschland (das. 1886, 2 Bde., mit Musikbeilagen); Zorn, Grammatik der Tanzkunst, Atlas und Notenheft (das. 1887); Freising, Leitfaden für den Tanzunterricht (Berl. 1892); Diringer, Die Tanzkunst (4. Aufl., Münch. 1895); Desrat, Dictionnaire de la danse (Par. 1896); Mürich, Neue und alte Tänze. Ein Lehrbuch der modernen Tänze (Erfurt 1900); de Soria,Histoire pittoresque de la danse (Par. 1897); Vuillier, La danse à travers les âges (das. 1897); M. L. Becker, Der T. (Leipz. 1901); Storck, Der T. (Bielefeld 1903); Bie, Der T. (Berl. 1906) und Tanzmusik (das. 1905); Georg Fuchs, Der T. (Stuttg. 1906); Jolizza, Die Schule des Tanzes (Wien 1907). Zeitschrift: »Der Tanzlehrer« (Berl., seit 1892).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 314-315.
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