Tanz

[362] Tanz (der) ist eine rhythmische Bewegung der Füße und übrigen Gliedmaßen, als Ausdruck lebhafter, gewöhnlich freudiger Empfindungen. Wie sich der Schrei der Freude zum Gesange gestaltet, so wird das Springen und Hüpfen des Fröhlichen zum Tanz und bald finden auch alle andern Empfindungen wie in der Musik, so auch in der Tanzkunst ihren Ausdruck. Musik und Tanzkunst sind schon durch ihren engen Zusammenhang mit den Empfindungen, deren veredelter Ausdruck sie sind, nahe verwandt, aber auch dadurch, daß sie diejenigen Künste sind, welche sich als zeitlich fortschreitend darstellen und daher gemeinschaftlich den Takt (s.d.) zur Grundbedingung der Schönheit haben. Die Musik ist geeigneter, die Empfindung in Andern hervorzurufen, während der Tanz ein unmittelbarer Ausdruck der Empfindung ist, daher pflegt der Tanz fast immer von Musik begleitet zu werden, weil durch letztere sowol im Tänzer als im Zuschauer eine Stimmung erzeugt wird, welche dann ihren weitern Ausdruck im Tanze findet. Der gesellschaftliche Tanz, wie wir denselben namentlich auf Bällen ausüben, sodaß Jeder, der auch nur eine sehr geringe Kunstfertigkeit in der taktmäßigen Bewegung seiner Füße erlangt hat, an ihm Theil nehmen kann, hat daher den Zweck, die Tanzenden durch Musik in eine heitere Stimmung zu versetzen und zugleich Gelegenheit zum Ausdruck derselben in der Bewegung der Glieder zu gewähren. Hier erscheint der Tanz noch so wenig selbständig, noch so der Musik untergeordnet und seinen künstlerischen Werth nur durch diese habend, daß von einer Tanzkunst nicht wol die Rede sein kann. Schon höhere künstlerische Bedeutung hat der eigentliche Nationaltanz, weil sich in ihm der Charakter eines Volkes nach seiner Eigenthümlichkeit ausspricht; man denke nur an den wild chevaleresken Masurek der Polen, den zierlichen Contretanz der Franzosen, den glühenden Fandango der Spanier u.s.w. Er verliert seinen Charakter mehr oder weniger, wenn er zum bloßen Gesellschaftstanze wird, denn die Gesellschaft schließt um so mehr jeden nationalen Unterschied aus, je gebildeter sie ist. Wahrhaft zur Kunst wird der Tanz im theatralischen Tanze oder im Ballet, in der weitesten Bedeutung dieses Wortes. Hier ist es nicht die eigne subjective Empfindung, welche der Tanzende ausdrückt, sondern dieser stellt sich die Aufgabe, eine bestimmte Empfindung künstlerisch darzustellen, und der Tänzer wird dadurch selbst zum Künstler. Soll durch rhythmische Bewegung der Gliedmaßen, welche zugleich Mimik (s.d.) ist, nur im Allgemeinen ein Gefühl oder eine sich auseinander entwickelnde Reihe von Gefühlen ausgedrückt werden, so ist der Tanz ein lyrischer; schließen sich dagegen die darzustellenden Empfindungen an eine bestimmte Handlung und an verschiedene bei dieser Handlung betheiligte Charaktere an, so ist der Tanz dramatisch, Ballet im engern Sinne des Worts. Hier erscheint die Musik nicht mehr als Beherrscherin des Tanzes, sondern als mehr oder weniger untergeordnete Begleiterin, welche den Tanz nur etwa auf dieselbe Weise interpretirt, wie sie die Poesie im Gesange dem Gefühle eindringlicher macht. Man unterscheidet historische Ballets, deren Stoff eine wirkliche Begebenheit ist; fabelhafte, denen eine Sage zu Grunde liegt, und poetische, deren Handlung eine freie Schöpfung dichterischer Phantasie ist. Zu den letztern gehören auch die allegorischen Ballets, in denen ein Gedanke allegorisch durch Bewegung und Mimik von Gestalten dargestellt wird, welche die Phantasie geschaffen hat. Eine Ausartung der höhern Tanzkunst ist es, wenn man diese weniger in bezeichnenden graziösen Stellungen, als vielmehr in gefährlichen Stellungen und unnatürlichen Verrenkungen gesucht hat. Dadurch ist das Ballet häufig zu einer in künstlerischer Beziehung werthlosen Darstellung von Fertigkeiten herabgesunken, deren Übung man den Seiltänzern überlassen sollte. Italien und noch mehr Frankreich haben die Tanzkunst in neuerer Zeit am vollkommensten ausgebildet. Besonders hat der franz. Balletmeister Noverre (1727–1810) die neuere Tanzkunst durch eigne Erfindungen und Schriften begründet. Seine berühmtesten Schüler waren Gardel, Gollet und Vestris.

Der Tanz ist ein so sehr aus der Natur des Menschen sich ergebender Ausdruck der Empfindung, daß wir ihn bei allen Völkern wiederfinden, und nicht nur die Freude, die kriegerische Gesinnung, die Trauer, sondern auch die religiöse Empfindung hat sich in ihm ausgesprochen. Alle Völker des Alterthums hatten religiöse Tänze, ja sogar die christliche Kirche beging anfangs religiöse Feierlichkeiten mit Tanz. Der tiefe Ernst der christlichen Religion hat aber den Tanz später nicht nur aus den gottesdienstlichen Feierlichkeiten verdrängt, sondern es hat auch nicht an Solchen gefehlt, welche ihn überhaupt als irreligiös und unmoralisch verketzerten, wie man denn überhaupt jede lebhafte Empfindung verdammte, welche nicht religiös war. Indeß wird man ebenso wenig den Tanz völlig verdrängen können, wie man die übrigen Künste wird zwingen können, keinen andern Zweck zu haben als den Dienst der Kirche, und der Tanz wird stets die Selbständigkeit der übrigen Künste zu beanspruchen berechtigt sein Was man über das Unmoralische des Tanzes gesagt hat bezieht sich theils auf die bei demselben stattfindende Annäherung der verschiedenen Geschlechter, theils auf die unsittliche Aufregung der Phantasie durch Stellungen und Geberden. Beide Vorwürfe treffen aber nicht die Tanzkunst selbst, sondern nur den Misbrauch derselben, welcher allerdings zu verwerfen ist. Körperlich schädlich wird der gesellschaftliche Tanz nur, wie jedes Vergnügen, wenn er zur Leidenschaft und in Folge davon übermäßig ausgeübt wird, oder wenn sich kränkliche Personen durch ihn zu einer stärkern Bewegung hinreißen lassen, als sie auszuhalten vermögen, oder endlich, wenn die nothwendigen Folgen desselben, welche die jeder heftigen Bewegung sind, nicht gehörig abgewartet werden. Er beschleunigt die Blutbewegung und die Respiration und hat Schweiß, Durst und erhöhten Appetit [362] zur Folge. Schwindsüchtige und andere schwächliche Personen haben sich daher seiner wie jeder andern lebhaften Bewegung zu enthalten und Der, welcher tanzt, hat sich vor Erkältung zu hüten, wie Jeder, der sich auf eine andere Art erhitzt hat.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 362-363.
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