Geberde

[152] Geberde heißt jede Stellung und Bewegung des Körpers und seiner einzelnen Theile, welche einen gewissen Gemüths- oder Seelenzustand ausdrückt. Von selbst äußern sich Sinneneindrücke, welche unmittelbar auf den Körper wirken, in gewissen Bewegungen und Stellungen, die entweder die zunächst getroffenen Theile selbst oder andere Theile, welche mit den getroffenen in Beziehung stehen, annehmen. So z.B. nimmt man unwillkürlich die Hand vor das Auge, wenn allzugrelles Licht auf dasselbe fällt, zieht den gestoßenen Fuß empor u.s.w. Andere Geberden sind mehr von der geistigen Thätigkeit abhängig und während die rein körperlich sinnlichen Geberden mehr oder weniger auch den Thieren eigen sind, kommen diese allein dem Menschen zu. Einige dieser seelenhaften Geberden (wie das Zusammenschlagen der Hände als Beifallsbezeugung, das Nicken mit dem Kopfe, namentlich mit den Augen als Bejahung, das Schütteln des Hauptes zum Zeichen der Verneinung) scheinen so sehr natürliche Ausdrücke zu sein, daß man sie bei allen Völkern wiederfindet, andere hängen (wie die Begrüßungsformen der verschiedenen Völker) mit dem Volkscharakter zusammen, noch andere sind rein conventionell (durch Übereinkunft, z.B. Erkennungszeichen geheimer Gesellschaften, religiöser Sekten u. dgl.), und noch andere endlich sind Ausdrücke der Individualität (z.B. die über die Brust gekreuzten Arme Napoleon's, die auf dem Rücken ruhenden Arme Göthe's u.s.w.). Wegen des, innigen Zusammenhanges, in welchem alle Geberden, mit Ausnahme der rein conventionellen, mit der geistigen und körperlichen, bleibenden oder vorübergehenden Stimmung des Menschen stehen, ist das Studium derselben, durch welches jenem Zusammenhange nachgeforscht wird, höchst interessant, und wird namentlich in der Schauspielkunst von hoher Wichtigkeit, weil hier der Zuschauer durch die Geberden des Künstlers auf den geistigen und körperlichen Zustand, welchen derselbe darstellt, schließen muß. Je civilisirter der Mensch ist, desto mehr legt er für gewöhnlich die natürlichen Geberden ab und nimmt die durch den sogenannten guten Ton bestimmten allgemein gültigen und nur conventionellen Geberden an. Nur im Zustande leidenschaftlicher Erregtheit wird die durch die äußerliche Bildung angethane Fessel gesprengt und der Mensch überläßt sich frei den natürlichen Geberden. Daher ist ein allzulebhaftes Geberdenspiel nicht anständig, denn die Geselligkeit fodert, daß wir im Umgang mit Andern unsere Leidenschaft, Triebe, Gefühle zu bezähmen und zu verbergen wissen, damit sie nicht störend einwirken. Am mannichfachsten beweglich von allen Theilen des menschlichen Körpers ist das Gesicht, daher sich auch in diesem die meisten Geberden darstellen. Vorzugsweise nennt man die im Gesicht auftretenden Geberden Mienen. Zugleich sind die Mienen die seelenvollsten unter allen Geberden, weil das Gesicht der vollendetste Ausdruck der Seele ist. Nach dem Gesichte drücken sich die meisten Geberden in den leicht und mannichfach beweglichen Händen und Armen aus. Man theilt die Geberden auch nach dem Umstande ein, daß einige sich im ruhenden, andere im bewegten Körper darstellen, indem man jene als Attituden, Stellungen, diese als Gesticulationen bezeichnet. Da die Geberden Ausdrücke des in der Seele Vorgehenden sind, so redet man von einer Geberdensprache, und man kann sagen, daß sie die unmittelbarste Sprache sei, denn wenn das Herz noch keine Worte, seine Empfindungen lautwerden zu lassen, gefunden hat, drücken sich dieselben schon ungesucht in den Geberden des Menschen aus. Die Gesichtssprache hat man, namentlich insofern sie als Wissenschaft oder Kunst studirt und getrieben wird, Mimik (s.d.) genannt, sowie die Kunst, auch ohne Worte durch Geberden Seelenzustände zu schildern, Pantomimik (s. Pantomimen) heißt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 152.
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