Seele

[153] Seele nennt man den Geist (s.d.), insofern er in der Vorstellung dem Körper nicht entgegengesetzt, sondern in der natürlichen, innigen Vereinigung mit demselben genommen wird. Daher schreibt man dem Menschen, welcher in der Freiheit des Willens über die blos natürlichen Bedingungen des Daseins sich erhebt, vorzugsweise einen Geist zu, der zwar im lebendigen Leibe auch als Seele auftritt, während die übrigen lebendigen irdischen Wesen nur einen ganz in die Natürlichkeit versenkten Geist, d.h. nur eine Seele haben, welche sich nicht zur Würde des Geistes: Selbstbewußtsein, Selbstbestimmung, Freiheit – erhebt. Es ist aber nur eine im Gedanken geschehende Trennung, wenn man im Menschen selbst eine (thierische) Seele, als Princip des natürlichen Lebens, von dem Geiste desselben unterscheidet, in Wirklichkeit fallen beide miteinander zusammen, sodaß der selbstbewußte Geist nur die sich in sich selbst von den Banden der Natürlichkeit befreiende Seele ist, zu welcher Befreiung das Thier sich nicht zu erheben vermag. So hat man auch die verschiedenen Weisen, in denen die Seele als Grund des Lebens sich bezeugt, als verschiedene Kräfte der Seele, Seelenkräfte, voneinander mit dem Verstande verschieden, ja wol gar, besonders früher, dieselben als unterschiedene Mächte, die mit sich selbst in Widerspruch treten können, gegeneinander festgehalten. Insofern die Seele ihren gemeinschaftlichen Grund ausmacht, hat man von Grundkräften oder Grundvermögen der Seele gesprochen und als solche namentlich das Gefühlsvermögen, das Erkenntnißvermögen und das Bestrebungsvermögen oder den Willen angegeben. Richtiger ist die Vorstellung, daß die Seele in Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft nur als in verschiedenen, gleichzeitig nebeneinander bestehenden Entwickelungsstufen sich darstellt. Die wissenschaftliche Behandlung der Lehre von der Seele ist die Aufgabe der Psychologie oder Seelenlehre. – Längst widerlegt ist die sinnliche Vorstellung, als ob die Seele selbst nichts Anderes als eine besondere Art der Materie wäre, welche sich nur durch Subtilität vor dem übrigen Materiellen auszeichnete. Man hat, von dieser Vorstellung ausgehend, im thierischen Organismus selbst die Seele oder doch deren vorzugsweisen Sitz aufzusuchen unternommen, aber vergebens, weil die Seele im gesunden Leibe alle Theile desselben als Princip des Lebens durchdringt, und an einzelne Theile nur insofern geknüpft erscheint, als dieselben gewisse Äußerungen der Seelenthätigkeit bedingen. Mit andern Worten: es gibt kein vorzugsweise als solches zu bezeichnendes Seelenorgan, wol aber sind Gehirn und Rückenmark äußerliche Bedingungen der Bezeugung der Seele als denkendes Wesen im irdischen Dasein, und ebenso das Herz und die übrigen im Innern der Brust und des Unterleibes liegenden Organe äußerliche Bedingungen der Erscheinung der Seele als Fühlen und Begehren. – Die Seele ist, insofern sie in Wahrheit Geist (s.d.) ist, unsterblich. Es ist nur eine anfängliche Vorstellung von der Unsterblichkeit des Geistes, wenn mehre alte Vösker an eine sogenannte Seelenwanderung glaubten, d.h. an einen Übergang der menschlichen Seele zur Herstellung ihrer ursprünglichen göttlichen Reinheit aus einer Thiergestalt in die andere, wo dann der Rücktritt in eine niedere Gestalt als Strafe für begangene Sünden betrachtet wurde. Von einer solchen Seelenwanderung sprechen die Brahminenlehre der alten Indier, die Buddhisten, die Religionslehre der alten Ägypter, und unter den griech. Philosophen namentlich Pythagoras, Empedokles und Platon. Schon Aristoteles hat diese Vorstellung auf das vollkommenste durch die Bemerkung widerlegt, daß der Körper nicht gleichgültig und zufällig gegen die Seele sich verhalte, also auch nicht in jeden beliebigen Körper einzuziehen vermöge. Die Seele, welche im Leibe eines Hundes z.B. hausen könnte, würde damit überhaupt aufgehört haben, eine menschliche Seele zu sein. Man könnte nur von einer Umwandlung, nicht von einem Übergange der Seele sprechen; jene aber ist bei der Selbstgewißheit der Seele unmöglich.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 153.
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