Schön

[102] Schön nennt man im allgemeinen Sinne Alles, was gefällt, genauer aber nur Dasjenige, was auf einen gebildeten Geist den angenehmen Eindruck hervorbringt, welcher aus der Anschauung des Geistigen entspringt. Wir sprechen nämlich von Schönheit zunächst in Bezug auf die Gebilde der Kunst und dann auch in Bezug auf die Gebilde der Natur, nennen aber die letztern nur dann schön, wenn sie eine Ähnlichkeit mit Kunstgebilden haben, oder, was Dasselbe, wenn sie sich vorzüglich zur künstlerischen Nachbildung eignen. Die Kunst stellt aber alle ihre Gebilde mit der Bedeutung hin, daß sie als Ausdruck irgend eines Geistigen dienen sollen, und unterscheidet sich in dieser Beziehung von der Natur, an deren Gebilden der geistige Inhalt meist so tief verborgen in die Äußerlichkeit der Erscheinung ist, daß er nicht zum Vorschein kommt. Das wahre Kunstwerk hat als auszeichnendes Merkmal die Schönheit und mithin muß diese darin bestehen, daß das Kunstwerk seinem Zwecke vollkommen entspricht, d.h. daß es ein Gebilde voll durch und durch geistiger Bedeutsamkeit ist. Der angedeutete Unterschied zwischen Natur und Kunst ist die Ursache gewesen, daß dasjenige Volk, welches zuerst die Kunst, man kann sagen, erfunden und gepflegt hat, die Griechen, doch noch in der Natur selbst die Schönheit nicht anschaute, mit Ausnahme der lebendigen Wesen, daher wir bei den Griechen fast nirgend eine Darstellung der Schönheit einer Landschaft u. dgl. finden. Eine andere Folge desselben Unterschiedes ist gewesen, daß man noch bis in die neueste Zeit das Gebiet der Kunst, diese Welt der mannichfaltigsten Gebilde, besonders wie diese in der Vorstellung der Künstler leben, wo keine von dem Widerstreben des Stoffs herrührende Unvollkommenheit an ihnen haftet, daß man dieses Gebiet für eine höhere und bessere Wirklichkeit gehalten und gefeiert hat, als die sogenannte gemeine Wirklichkeit der Natur. Indeß mußte schon der Umstand, daß auch der größte Künstler im Grunde doch nur der Natur nachbilden und nichts thun kann, als seinen Nachbildungen eine durchscheinende geistige Bedeutsamkeit geben, darauf führen, daß auch die Naturgebilde in ihrem tiefsten Innern einen geistigen Kern enthalten, welcher ihre eigenste Wirklichkeit ausmachte und so weit nach seiner Macht in ihnen sich bezeuge, als sie nicht in Misbildung übergehen, als sie aus sich heraus sich frei entwickeln. Hieraus folgt dann, daß der wahre Künstler Derjenige sein wird, welcher die natürliche Welt nach ihrem tiefsten geistigen Kerne, nach ihrer geistigen Bedeutsamkeit anschaut und sie so nachzubilden versteht, daß sie in dieser ihrer eigensten Bedeutsamkeit vor dem Auge des Geistes sich darstellt, welcher die Seligkeit genießt, in der Welt nicht ein ihm Fremdes, Entgegenstehendes, sondern seine eigne Schöpfung wiederzuerkennen. Die Schönheit ist somit in Wahrheit das tiefe Weltgeheimniß, zu welchem der Künstler den Schlüssel führt, [102] die Darstellung des Geistes in seiner schöpferischen Macht; sie gewährt den seligen Frieden der Selbstgewißheit des Geistes durch die Anschauung, indem durch sie alle Misverhältnisse und Misbildungen, welche dem irdischen Auge das Reich des ewig lebendigen Geistes zu einem Reiche des Todes, der Sünde, der Mangelhaftigkeit umlügen, gehoben werden. Weit entfernt, die Sinnlichkeit zu reizen, muß das Schöne den Beschauer vielmehr über dieselbe erheben und ihn bei sich selbst, als Geist vom Geiste einführen, damit die reinsten aller Freuden gewährend. Die Natur ist in Wahrheit durchaus schön, als das Werk des größten Künstlers, gegen den kein Stoff eine widerstrebende Macht ist, und in dieser ihrer ungetrübten Schönheit steht sie der Endlichkeit entschleiert vor den Augen ihres Schöpfers da; aber das Auge des selbst in der Zeitlichkeit befangenen Menschen schaut sie nicht in ihrer Wirklichkeit, nicht in ihrer Schönheit, und nur in ihren vollendetsten Gebilden ahnet derselbe ihre unsterbliche Schönheit, nur in ihnen spricht sie ihn an als Geist zum Geiste, und er versteht sie. – Zur Schönheit gehört aber, daß das Geistige in seine Erscheinung völlig eingegangen sei, sodaß es nicht nur durch diese als ein ihm selbst Fremdartiges angedeutet wird, wie dieses in dem Symbol der Fall ist. Das Symbol hat wol geistige Bedeutung, aber keine Schönheit, denn es ist selbst ein Anderes gegen das Geistige, welches es nur anzeigt, nicht darstellt. Die ägyptischen und indischen fälschlich sogenannten Kunstwerke sind nur solche der Schönheit entbehrende Symbole, während in der griech. Kunst zuerst die Schönheit uns entgegentritt. Auch durch das Erhabene ist das Geistige nur nach seinem Gegensatze als Ewiges gegen das Endliche dargestellt, indem diesem nicht der Stempel der Ewigkeit und damit die Würde des Geistigen aufgeprägt, sondern es nur über seine natürlichen Maße hinausgetrieben wird, als ein solches, welches die Unendlichkeit (die einseitige Auffassung der Ewigkeit) anstrebt. Das Erhabene macht daher auch nicht den befriedigenden Eindruck, welchen das Schöne auf den Geist ausübt, sondern wirkt aufregend, erhebend, indem es den anschauenden Geist die Grenzen der Endlichkeit zu überschreiten herausfodert. Indeß wird auch das Schöne in einer andern Bedeutung des Wortes stets erhaben sein, nämlich insofern, als in ihm stets die Beschränkung der Endlichkeit aufgehoben erscheint, diese zu einer freien That des ewigen Geistes gemacht ist, welcher nicht beschränkt wird, sondern sich selbst bestimmt und damit vor dem seiner unkundigen Auge des Menschen den Schein der Beschränktheit annimmt. Die Schönheit als Befreiung des Geistes ist Erhabenheit. – Insofern sich die Künste mit Darstellung des Schönen beschäftigen, hat man sie schöne Künste genannt. (S. Kunst) Man hat aber von ihnen früher noch die schönen Wissenschaften getrennt, insofern zur Darstellung des Schönen bei diesen nicht wie bei den vorzugsweise sogenannten Künsten: Tonkunst, Malerei, Sculptur, Baukunst eine Kunstfertigkeit (Behandlung der Farben, Instrumente u.s.w.), sondern eine wissenschaftliche Ausbildung, wie Sprachkenntniß zur Poesie, als Vorbildung nöthig ist. Dieser Unterschied ist indeß mit Recht aufgegeben worden, denn auch der Maler, Tonkünstler u.s.w. braucht wissenschaftliche Vorbildung, sowie der Dichter die größte Gewandtheit in der Sprache sich aneignen muß, welche nicht weniger Kunstfertigkeit ist, als z.B. die Mischung der Farben oder die Handhabung der Instrumente.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 102-103.
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