Sinn

[198] Sinn heißt das dem lebendigen thierischen Wesen eigenthümliche Wahrnehmungsvermögen, und zwar insofern sich dasselbe auf die das Individuum umgebende Außenwelt bezieht, äußerer, und insofern es sich auf die Innenwelt desselben bezieht, innerer Sinn. Der Sinn vermittelt das leibliche Dasein des Individuums mit dem geistigen Dasein desselben, sodaß es durch den Sinn Eindrücke empfängt, deren es sich bewußt wird, und indem es aus den Eindrücken auf eine Außenwelt schließt, existirt diese für das Individuum. Indem wir in der That stets nur unserer Sinneswahrnehmung uns bewußt werden, so liegt in Wahrheit die ganze von uns wahrgenommene Welt nicht außer uns, sondern in uns, und erst indem wir auf die Sinneswahrnehmung reflectiren, sehen wir die Welt in uns aus uns heraus. Sinne heißen die verschiedenen Arten, in welchen wir sinnlich afficirt werden, und es gibt namentlich fünf verschiedene solcher Arten: Gefühl, Geschmack, Geruch, Gesicht und Gehör. Jeder dieser Sinne hat seine eigenthümlichen Organe, bis auf das Gefühl, welches über und durch den ganzen Körper, mit Ausnahme weniger Theile, verbreitet ist. Diese Sinne werden in höhere und niedere getheilt. Zu jenen gehören Gesicht und Gehör. Dieselben zeichnen sich durch höhere geistige Bedeutung aus, indem wir durch sie das geistige Leben in der uns umgebenden Welt wahrnehmen, während die drei niedern Sinne sich mehr auf das materielle Dasein der Welt beziehen und dasselbe zur Wahrnehmung bringen. Wie die Thätigkeit der Sinne, die Vermittelung zwischen Geist und Leib vor sich gehe, vermögen wir uns ebenso wenig wie den Zusammenhang zwischen Leib und Geist überhaupt vorzustellen. Gewiß ist nur, daß durch die Nerventhätigkeit die Sinneswahrnehmung bedingt ist. Auch von innen heraus können die Sinne afficirt werden, sodaß dann der Schein entsteht, als würden sie von außen in Thätigkeit gesetzt, und auf diese Weise, indem äußerlich Gegenstände vorausgesetzt werden, die es nicht gibt, entstehen die Sinnestäuschungen. Eine andere Classe von Sinnenbetrügen entsteht daraus, daß wir gewohnt sind, aus gewissen Sinnerscheinungen gewisse Verstandesschlüsse zu ziehen, welche meist, aber nicht immer richtig sind. So schließen wir z.B. aus der scheinbaren Größe eines Gegenstandes, dessen wirkliche Größe uns bekannt ist, auf die Entfernung desselben, können uns aber in dieser Beziehung leicht täuschen, weil unter gewissen Verhältnissen die Entfernung mit der Abnahme der Größe nicht in dem gewöhnlichen Verhältnisse steht. – Alles mit Sinnen Wahrnehmbare heißt sinnlich, aber man nennt ebenso auch den Menschen, insofern er Sinne besitzt, und bezeichnet demnach sein leibliches Dasein überhaupt als sinnliche Existenz. Sinnlichkeit ist dann die leibliche Beziehung des Menschen auf die sinnliche Welt, und da der Mensch als geistiges Wesen zur Freiheit, d.h. zur Selbstbestimmung geboren ist, so ist es seiner unwürdig, sich (wie das Thier) durch die Sinne beherrschen zu lassen, vielmehr soll er sich als geistiger Herr seiner eignen Sinnlichkeit erweisen. Oft nennt man vorzugsweise den einen sinnlichen Menschen, welcher jene Herrschaft über seine eigne Leiblichkeit nicht besitzt, sondern um seinen Sinnen wohlzuthun, dem Sinnenkitzel zu fröhnen, seinen Geist zum Knecht unter die Sinne herabwürdigt. Solche Sinnlichkeit ist unwürdig und sündig. – Sinn wird auch für Bedeutung gebraucht; man sagt: »der Sinn dieser Worte« für die Bedeutung dieser Worte u.s.w., und ist die Bedeutung eines Gegenstandes eine andere als auf das erste Anschauen scheint, ist sie durch ihn nur angedeutet, nicht vollkommen dargelegt, sodaß sie als sein zweiter innerlicher Zweck erscheint, gegen welchen das äußerliche Dasein des Gegenstandes selbst zufällig und gleichgültig ist, so heißt dieser ein Sinnbild. Die Kunst fing damit an, daß man durch Sinnbilder, Symbole, einen Gedanken, für den man noch keinen vollkommenen Ausdruck zu finden vermochte, andeutete. (Vgl. Schön.) Auch später noch hat man in der Kunst zu den Gestalten derselben gewisse die geistige Bedeutsamkeit derselben bezeichnende Gegenstände zugefügt, und diese Gegenstände heißen Attribute. Sinnbildliche Verzierungen nennt man Embleme und Sprüche, welche einen Gedanken sinnbildlich ausdrücken und bezeichnen, Devisen (s.d.).

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 198.
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