Geist

[168] Geist ist nach der gewöhnlichen Vorstellung ein selbstbewußtes, nicht leibliches Wesen, welches daher weder an der Vergänglichkeit noch an der Hinfälligkeit des Körpers Theil hat. Alles, was dem Geiste angehört, hat das Merkmal der Ewigkeit und Unvergänglichkeit, wodurch es sich vor dem hinfälligen und vergänglichen Körperlichen auszeichnet, und man unterscheidet in dieser Beziehung ein Reich des Geistes oder des Lebens von dem Reiche des Körperlichen, dem Reiche des Todes. Von dem Wesen des Geistes sowol als von dem wahren Verhältnisse des Geistigen zum Körperlichen gibt die christliche Religion die schönste und klarste Vorstellung, indem sie Gott einen Geist nennt, der dem Menschen von seinem Geiste mitgetheilt hat und der überdies der Schöpfer und Erhalter von Allem ist. Hieraus geht hervor, daß es dem Wesen nach nicht verschiedene Geister gibt, sondern vielmehr der Geist seinem Wesen nach einzig ist; ferner daß Alles, was ist, auch das Körperliche, sein Dasein von dem Geiste hat, ohne welchen es Nichts ist. Gott schuf die Welt aus dem Nichts. Es findet also kein Unterschied der Art zwischen Geist und Körper statt, daß der Körper etwas Anderes als der Geist und doch auch Etwas wäre. So er nicht Geist ist, ist er vielmehr das völlig Nichtige. Daher sagt die Bibel, daß Diejenigen, welche fleischlich sind, d.h. gegen den Geist für den Körper leben, dem Verderben verfallen, Kinder des Todes sind. Der Körper des Menschen ist die irdische Erscheinung seines Geistes; wenn aber der Körper stirbt, so hört damit nur die irdische Erscheinung des Geistes auf, nicht er selbst. Lebt aber der Geist, so muß er auch erscheinen, und diese Wiedererscheinung des Geistes bezeichnet die h. Schrift, indem sie sagt, daß er, angethan mit einem verklärten Körper, auferstehen werde. Der Geist des Menschen unterscheidet sich nicht dem Wesen, sondern der Form nach von dem göttlichen Geiste. Jener ist unvollkommen in unendlicher Entwickelung begriffen, dieser ist vollkommen; aber die Entwickelung des Menschengeistes ist, daß er zur Gottähnlichkeit kommt. Daher wird auch als höchster Lebenszweck des Menschen ausgesprochen, daß der Geist Gottes in ihm lebendig werde. In diesem Verhältnisse zum Menschen wird Gott als der heilige Geist, und die Aufgabe des Menschen, den göttlichen Geist in sich aufzunehmen, als die Aufgabe der Heiligung bezeichnet.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 168.
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