Geistererscheinungen

[168] Geistererscheinungen, Gespenstererscheinungen, Wahrnehmungen, welche sich aus natürlichen Ursachen nicht erklären lassen, und die man daher von der Gegenwart einer Classe lebendiger Wesen ableitet, welche nicht irdischer Natur sind. Diese Gespenster oder Geister sind nach dem veralteten Volksglauben theils böse, theils gute und in Bezug auf ihren Ursprung, entweder die Seelen verstorbener Menschen oder ursprünglich überirdische Geschöpfe, nach christlichen Begriffen Teufel oder Engel. Um sich überhaupt wahrnehmbar zu machen, müssen diese Wesen einen Schein von Körperlichkeit annehmen, ohne aber in Wirklichkeit körperlich werden zu können, weil sie in diesem Falle ganz aufhören würden, Gespenster zu sein. Das Gespenstische, Grauenhafte besteht in dem unklaren Zwischenzustande zwischen Körperlichkeit und Unkörperlichkeit. Jeweniger Kenntnisse der Mensch von der ihn umgebenden Natur und den Gesetzen hat, nach welchen die Veränderungen in derselben erfolgen, desto mehr Wahrnehmungen wird er machen, deren Ursachen er sich selbst nicht anzugeben vermag. Hierzu kommt, daß ein ungebildeter Verstand das Leben der nicht mit einem irdischen Leibe behafteten Geister nur als eine mehr oder weniger plumpe Nachahmung des irdischen Lebens zu begreifen vermag. Besonders in aufgeregten Gemüthsstimmungen, als Furcht vor einem nahenden Übel, Schmerz über erlittene Verluste, böses Gewissen und dergleichen wird der ungebildete Mensch Gelegenheit suchen, seine mangelhaften Begriffe vom Geisterleben mit ihm unerklärlichen Erscheinungen zu combiniren. Bei ungebildeten Völkern ist der Glaube an Geistererscheinungen, welcher sich meist auf Wahrnehmungen der beiden höhern Sinne: Gesicht und Gehör, bezieht, förmlich systematisch ausgebildet, sowol in Bezug auf die geheimen Bedeutungen gewisser Erscheinungen, als auf die Geisterwelt in ihrem vermeintlichen Dasein selbst. Hieran schließt sich dann ferner der Aberglaube an, daß es Menschen geben könne, welche entweder eine Macht über die Geister erlangen, oder mit ihnen durch Vertrag in Verkehr treten. (S. Zauberer und Hexen.) Mit Zunahme der Bildung hat der Aberglaube auch in Bezug auf Geistererscheinungen abgenommen. Doch hat man zu Vertreibung desselben zum Theil zu dem gänzlich falschen Mittel seine Zuflucht genommen, daß man durch einen falschen Verstandesschluß zu beweisen gesucht hat, es könne Geistererscheinungen darum nicht geben, weil es unmöglich sei, daß etwas wahrhaft Unkörperliches den Schein der Körperlichkeit habe. In dem Umstande, daß dieses dennoch allerdings der Fall ist, hat der Aberglaube eine noch unversiegte Quelle behalten. Es ist nämlich gewiß, daß wir Gestalten zu sehen, Töne zu hören vermögen, welche keine Wirklichkeit haben und doch für den sie Wahrnehmenden den vollkommensten Schein der Wirklichkeit besitzen. Für solche Erscheinungen wird man vergebens nach einem äußerlichen Grunde suchen und es ist sogar gewiß, daß dieselben zum Theil von Vorherbedeutung für unser eignes Leben sind. Aber diese Erscheinungen sind Erscheinungen unsers eignen Geistes. Bekanntlich ist der Zusammenhang des Geistes mit der Außenwelt durch die Nerven vermittelt, sodaß die Dinge außer uns die Sinne treffen und diese Berührung durch die Nerven auf eine noch unbekannte Weise dem Geiste mitgetheilt wird. Man kann jede Sinneswahrnehmung [168] als ein eigenthümliches Erbeben der Nerven bezeichnen. Ein solches kann aber nicht allein von außen erregt werden, welches allerdings das Gewöhnliche, sondern auch durch Willenskraft oder in einem krankhaften Zustande unwillkürlich eintreten. Daher nun kommt es, daß Menschen im Zustande der Krankheit oder unnatürlicher Erregtheit Erscheinungen wahrnehmen, welche für sie den Schein der Wirklichkeit haben, weil sie das von innen erzeugte Erbeben ihrer Nerven nicht von demjenigen zu unterscheiden vermögen, welches die Folge von außen kommender Eindrücke ist. Solche Erscheinungen sind dann allerdings bedeutungsvoll, weil sie Anzeichen eines ungewöhnlichen, krankhaften Zustandes sind. In die Classe dieser Erscheinungen gehören die, welche Fieberkranke wahrzunehmen pflegen, aber sie können auch eintreten, wo noch keine andern Anzeichen eines krankhaften Zustandes vorhanden sind. Ein neuer Aberglaube an Gespenstererscheinungen ist in neuester Zeit in Folge der merkwürdigen Erscheinungen entstanden, welche der Somnambulismus (s.d.) darbietet; derselbe hat seine Hauptstütze eben darin gefunden, daß es allerdings Geistererscheinungen der angeführten Art gibt, welche mehr als nur eingebildet sind und nicht auf Sinnentäuschung beruhen.

Nähere Kenntniß der Natur lehrt, daß es eine Menge von Erscheinungen gibt, welche namentlich das Auge so zu täuschen vermögen, daß es an einem gewissen Orte die Gegenwart von Körpern voraussetzt, welche in der That nicht existiren (vergl. z.B. Fata Morgana und Luftspiegelungen), und daraus hat sich die Kunst, solche Erscheinungen hervorzurufen, gebildet, welche früher häufig zum Betruge gemisbraucht wurde, gegenwärtig aber meist nur noch zum Gegenstande der Unterhaltung dient. Diese Kunst ist die natürliche Magie (s.d.) und die mit Hülfe derselben hervorgerufenen Erscheinungen werden Phantasmagorien genannt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 168-169.
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