Gesetze

[207] Gesetze sind allgemeine Bestimmungen, nach denen etwas geschehen muß oder geschehen soll. Wie man die Gesammtheit alles Dessen, was Dasein hat, in Natur (Körperwelt) und Geist (Geisterwelt) zu theilen pflegt, so spricht man auch von Naturgesetzen und Gesetzen des Geistes. Der Geist ist frei, die Natur nicht, und so kommt es, daß der Geist Gesetze hat, denen er gehorchen soll, die Natur aber solche, denen sie gehorchen muß. Es ist aber auch noch der Unterschied, daß die Gesetze des Geistes von dem Geiste ihm selbst gegeben, während die Gesetze der Natur ihm von einem Andern, nämlich vom Schöpfer der Natur, gegeben sind. Der Geist bestimmt sich in seinen Gesetzen selbst, d.h. ist in der Freiheit; die Natur wird von einem andern höhern bestimmt, d.h. ist in der Nothwendigkeit. Sofern der Mensch ein natürliches Wesen ist, ist auch er in der Nothwendigkeit, den Naturgesetzen unterworfen; sofern derselbe aber ein geistiges Wesen ist, ist er in der Freiheit und die Gesetze, die er sich gibt, sind selbst nur Zeugniß von seiner Freiheit. Die Naturgesetze durch emsige Naturbeobachtung und künstliche Untersuchungen zu entdecken und in ihrem Zusammenwirken kennen zu lernen, ist die Aufgabe der Naturforscher. Von diesen Gesetzen machen dann die Techniker insofern Anwendung, als sie die nach ihren Gesetzen thätige Natur und ihre in dieser Thätigkeit sich äußernden Kräfte zum Besten der Menschen leiten. – Die Gesetze des Geistes sind theils Regeln des Handelns, welche sich der einzelne Mensch gibt (Moralgesetze, s. Moral) entweder in jedem einzelnen Falle oder ein- für allemal, Grundsätze (s.d.), theils ein für allemal ausgesprochene Bestimmungen für eine Gesellschaft von Menschen, welche als vernünftig und dem Zwecke der Gesellschaft ersprießlich von der Gesammtheit anerkannt werden und daher jedem einzelnen Mitgliede in seinen Handlungen als Vorschrift dienen sollen. Wie der Staat sowol dem Zweck als dem Umfange nach die höchste und vornehmste Gesellschaft ist, so sind auch die Staatsgesetze die wichtigsten derartigen Gesetze, und zu ihnen stehen die Gesetze anderer Gesellschaften ganz in demselben Verhältnisse, in welchem alle übrigen Gesellschaften (s. Gesellschaft) gegen den Staat stehen. Die Gesetze eines Staats machen in ihrer Gesammtheit das in einem Staate geltende Recht (s.d.) aus. Wie der Staat aus dem Volke sich bildet, indem dieses zum Bewußtsein über sich selbst kommt, so erwachsen die Gesetze aus den Sitten des Volks. Lange, ehe ein Gesetz erkannt und ausgesprochen wird, hat es gewöhnlich schon als Sitte bestanden, und nur diejenigen Gesetze, welche sich auf Zufälligkeiten beziehen, entstehen aus der Willkür der Regierenden, z.B. über Absperrungsmaßregeln bei einer drohenden Seuche und dergl. Besonders im Alterthume, wo noch einfache Verhältnisse im Leben der Völker bestanden, finden wir häufig Gesetzgeber, welche entweder nach Willkür feststellten, was als Recht gelten sollte, oder durch tiefe Erkenntniß des Charakters und der Sitten ihres Volkes sich leiten ließen. Während Gesetzgebungen der letzten Art stets sich zum Segen der Völker erhalten haben, haben diejenigen, welche ihre Quelle in der Willkür hatten, niemals lange sich erhalten können. In neuerer Zeit kommen ähnliche Erscheinungen, wie die der alten Gesetzgeber (Drakon, Solon, Lykurg, s. d.) nicht mehr vor, weil in allen civilisirten Staaten ein bereits durch Gesetze begründeter Rechtszustand vorhanden ist, der nur nach Umständen abgeändert werden kann. Sehr fälschlich hat man zuweilen den sogenannten positiven, d.h. in einem Staate wirklich bestehenden und geltenden, Gesetzen, die Gesetze der Vernunft gegenübergestellt, als wären diese etwas Anderes als jene, da doch vielmehr die positiven Gesetze selbst, wenn sie wahrhaft dem Volksgeiste entsprechen, nicht Beschränkungen der wahren Freiheit, sondern vielmehr die Aussprüche dieses vernünftigen Geistes selbst enthalten, also Bezeugungen seiner Freiheit sind. (Vgl. Naturrecht.) Im Staate selbst hat man die drei Gewalten, mit denen derselbe auftritt, nämlich die regierende, die rechtsprechende und die gesetzgebende unterschieden, und auf dem Verhältnisse, in welcher diese drei Gewalten gegeneinander [207] stehen, beruhen größtentheils die verschiedenen Staatsformen. (S. Staat.)

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 207-208.
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