Kraft

[655] Kraft, ist ein Ausdruck, dessen man sich im Allgemeinen zur Bezeichnung der unbekannten Ursache einer wahrgenommenen Wirkung bedient. Man schließt aus der Art der Wirkung auf die Kraft und vergleicht gleichartige Kräfte mit einander nach den gleichartigen Wirkungen, die von ihnen hervorgebracht werden. In der Natur namentlich treten Kräfte in mannichfaltiger Wirksamkeit ab und man kann die ganze Natur als ein Resultat des Zusammenwirkens aller in ihr nach ewigen Gesetzen thätigen Kräfte betrachten. Die Naturlehre hat dann den Zweck, diese Gesetze aufzufinden, und die Künste machen nachher von den Kräften nach jenen Gesetzen eine der menschlichen Gesellschaft nützliche Anwendung. Man kann unterscheiden zwischen chemischen und mechanischen Kräften. Während bei jenen die Kraftäußerung darin besteht, daß eine Verbindung zweier oder mehrer Stoffe zu einem von beiden verschiedenen neuen Stoffe hergestellt wird, oder daß ein Stoff in seine Bestandtheile zersetzt wird, tritt bei den mechanischen Kräften die Wirkung als Bewegung auf. Diese Kräfte sind es daher namentlich, welche als Beweger von Maschinen benutzt werden. Alle Kräfte wirken theils anziehend, theils abstoßend, theils zugleich anziehend und abstoßend. Die wichtigsten der in der Naturlehre in Betracht kommenden Kräfte sind folgende: die Cohäsion (s.d.), die Ausdehnung, welche namentlich von der Wärme (s.d.) bedingt wird, die Aggregation oder das Übergehen aus dem festen in den tropfbar flüssigen und aus diesem in den luftförmigen Zustand; die Massenanziehung, von welcher die Schwere sowie die Adhäsion (das Anheften der Körper aneinander) bedingt wird; der Druck und Stoß, die Gravitation (s.d.), die chemische Verwandtschaft, welche die sich berührenden Stoffe zur chemischen Verbindung bestimmt; die Spannkraft und Elasticität (s.d.), die Polarität, welche namentlich in den Erscheinungen der Elektricität und des Magnetismus auftritt. In eigenthümlicher Gestalt stellen sich die in einem lebenden organischen Wesen, besonders in den Thieren, wirksamen Kräfte dar. Sie sind theils unwillkürlich, wie die Bewegung des Herzens, theils willkürlich, wie die Bewegung der Arme und Beine. Die Muskeln sind die Organe, durch welche die willkürlichen Kraftäußerungen bedingt werden, und die Muskelkraft ist darum dem thierischen Körper so überaus nützlich, weil dieselbe bald als Druck, bald als Stoß, bald als Hebel wirkt und daher, wenn auch nicht der mächtigste, doch der geschickteste Beweger von Maschinen ist. Um die Muskelkraft von Menschen und, Thieren vergleichen zu können, hat man sich eines eignen Instrumentes, des Kraftmessers oder Dynamometers, bedient, welches im Allgemeinen aus einer Stahlfeder besteht, der durch die Muskelkraft mehr oder weniger entgegengewirkt wird. Aus Versuchen hat sich ergeben, daß ein Mann von mittlerer Stärke bei Anwendung seiner ganzen Muskelkraft beim Heben 265 Pfund bewegen kann. Weiber haben etwa die Kraft eines 15jährigen Jünglings und vermögen ungefähr 2/3 so viel als ein Mann. Ein Pferd zog im Durchschnitt mit einer Kraft von 736 Pfund, und ein Mensch übt im horizontalen Zuge höchstens eine Kraft von 123 Pfund aus. Die Muskelkräfte der Menschen sind übrigens ungemein verschieden und es gibt Einzelne, welche sich durch ungemeine Kraft auszeichnen. Die Kraftproben, welche herumreisende Künstler abzulegen pflegen, sind indeß häufig mehr Sache der Geschicklichkeit als der Muskelkraft. Häufig kommt es hier auf die Kunst des Balancirens an, und noch häufiger in gewissen Unterstützungen, die man dem Körper gibt oder gewissen Stellungen, die man annimmt. Bekannt ist es, daß die Vögel in ihren Flügeln eine ungemeine Kraft haben in Verhältniß zum Gewicht ihres Körpers, wodurch auch das Fliegen bedingt wird. Auch der Mensch würde durch Anwendung seiner Arme fliegen können, indem er sie mit Fittigen versähe, wenn er eine sein eigenes Gewicht 10000 Mal übersteigende Kraft mit seinen Armen auszuüben vermöchte.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 655.
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