Gesellschaft

[206] Gesellschaft heißt jede Vereinigung der Menschen zu einem bestimmten Zwecke. Man kann die Gesellschaften unterscheiden in natürliche, welche sich von selbst bilden und denen daher der Zweck, um dessen willen sie da sind, nicht von Anfang an im Bewußtsein zu sein pflegt, und in willkürliche, die durch Übereinkunft zu Erreichung eines vor Errichtung der Gesellschaft gewußten und ausgesprochenen Zweckes zusammentreten. Zu der ersten Art von Gesellschaften gehört die Familie, der aus dieser erwachsende Stamm, das Volk, der Staat. Die Gesellschaften der zweiten Classe, zu denen unter andern Actiengesellschaften, Gesellschaften zu gemeinsamen Vergnügungen u.s.w. gehören, unterscheiden sich von denen der ersten insonderheit dadurch, daß sie stets auf einem Vertrage (s.d.) beruhen. Man muß sich wol hüten, bei der Beurtheilung der natürlichen Gesellschaft eines Maßstabes sich zu bedienen, welcher nur für willkürliche Gesellschaften gültig ist, denn jene beruhen auf den ersten und tiefsten Lebensbedürfnissen des Menschen, können daher auch auf keine Weise weder aufgehoben noch nach Belieben umgestaltet werden, wie dieses bei den willkürlichen Gesellschaften allerdings der Fall ist. – Diese letzten theilt man nach dem Verhältnisse, welches sie gegen die höchste und wichtigste der natürlichen Gesellschaften, gegen den Staat, einnehmen, in erlaubte (privilegirte) und verbotene ein. Da nämlich der Staat eine alle innerhalb eines gewissen Bezirkes zusammenlebende Menschen in sich befassende Gesellschaft ist, deren Zweck der höchste und wichtigste ist (s. Staat), und in der zugleich die höchste Macht concentrirt ist, so kann derselbe nur diejenigen willkürlichen Gesellschaften innerhalb des von ihm umfaßten Bezirkes bestehen lassen, welche in ihren Zwecken seinen eignen Zwecken nicht zuwider sind und welche sich einer solchen Beaufsichtigung unterwerfen, daß die Macht der Gesellschaft, welche um so größer ist, je größer die Anzahl und der Einfluß ihrer Mitglieder ist, niemals gegen das Wohl des Staats benutzt werden kann. Der Staat hat daher das Recht, von jeder sich bildenden willkürlichen Gesellschaft die Angabe des Zwecks und der Mittel, welche zu Erreichung desselben in Thätigkeit gesetzt werden sollen, zu verlangen und sie nur dann zu dulden, wenn er Zweck und Mitteln seine Billigung gibt. Jede willkürliche Gesellschaft pflegt zur Nachricht für ihre Mitglieder ihren Zweck und die Mittel, durch welche derselbe erreicht wer. den soll, in einer Schrift anzugeben, welche das Statut [206] oder die Statuten der Gesellschaft heißt. Diese Statuten müssen der Staatsregierung zur Prüfung und Genehmigung vorgelegt werden. Erhält die Gesellschaft diese Genehmigung, so ist sie erlaubt, und privilegirt dann, wenn ihr gewisse Vorrechte eingeräumt werden, weil sie als dem Zwecke des Staates förderlich anerkannt worden ist. Jede ohne Genehmigung der Staatsregierung bestehende Gesellschaft ist eigentlich eine verbotene, doch pflegt man als solche gewöhnlich nur die von der Regierung ausdrücklich untersagten Gesellschaften zu bezeichnen. Um sich der Macht des Staats zu entziehen, pflegen verbotene Gesellschaften entweder überhaupt ihre Existenz, oder doch ihren wahren Zweck und die wirklich von ihnen in Thätigkeit gesetzten Mittel geheim zu halten und heißen in diesem Falle geheime Gesellschaften. Eine erlaubte Gesellschaft kann schon darum, weil sie die Regierung zum Mitwisser hat, eigentlich niemals eine geheime Gesellschaft sein, indeß bezeichnet man als solche doch jede Gesellschaft, welche ihre innere Einrichtung den Augen des größern Publicums entzieht, z.B. die Gesellschaft der Freimaurer (s.d.). In frühern Zeiten war die Macht des Staats minder bestimmt und wurde weniger dem Zwecke des Staats gemäß angewendet, daher pflegten sich auch die Gesellschaften unabhängiger gegen den Staat zu stellen, ja übernahmen zuweilen einen Theil der der Staatsregierung eigentlich zustehenden, aber von ihr vernachlässigten Obliegenheiten, wie z.B. die Feme, die Inquisition (s.d.) und andere. Öffentliche und geheime Gesellschaften gab es schon in dem frühesten Alterthume, mit theils politischen, theils religiösen, theils rein geselligen, theils kaufmännischen Interessen. Während in neuerer Zeit nur diejenigen Gesellschaften, welche staatswidrige Zwecke verfolgen, sich geheim zu halten pflegen, mußten in finstern und bedrängten Zeiten oft Gesellschaften, welche die edelsten Zwecke hatten, unbekannt zu bleiben suchen. So hat z.B. die christliche Kirche anfänglich, um sich den Verfolgungen der Heiden zu entziehen, nur aus geheimen Gesellschaften bestanden. Der letzte Grund aller, sowol der natürlichen als der willkürlichen Gesellschaften, ist der dem Menschen angeborene Trieb der Geselligkeit. Der Mensch fühlt sich wahrhaft wohl nur im Umgange mit seines Gleichen, nicht allein weil er in der Verbindung mit Andern eine Quelle sinnlicher und geistiger Freuden findet, sondern auch weil er durch die Verbindung mit andern vernünftigen Wesen zu demselben Zwecke seine eigne Kraft vervielfältigt. Nur vernünftige Wesen vermögen sich zu Erreichung eines willkürlich gewählten Zwecks zu verbinden.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 206-207.
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