Familie

[6] Familie nennt man im engsten Sinne die Vereinigung, welche zwischen den Ältern und ihren Kindern stattfindet, im weitern Sinne rechnet man aber auch sämmtliche Blutsverwandte mit zur Familie. Das Band der Liebe, welches diesen Verein umschließt, gehört zu den festesten und innigsten Verhältnissen, welche die Menschen aneinander ketten, es bildet die Grundlage unsers gesellschaftlichen Zustandes, auf welcher das Staatsgebäude mit Sicherheit aufgeführt werden kann. Die Familie ist das beste Beförderungsmittel der Sittlichkeit, nur in ihr ist die wahre Glückseligkeit und der innere Friede zu suchen. Sie ist das Ideal, dessen Verwirklichung, wenn sie möglich wäre, auch für den größern Verein des Staats die vollkommenste Form abgeben würde. Leider machen aber die verwerflichen Neigungen und Leidenschaften der Menschen eine strengere, mehr auf äußern Zwang gegründete Form für das Staatsleben nothwendig. Nur in den kleinern Kreisen der Verwandten oder Hausgenossen lassen sich die Vorzüge des Familienlebens erreichen. Sie bestehen hauptsächlich in dem Geiste der Liebe und Duldung, welcher unter den Gliedern der Familie herrscht. Ein reines Familienleben kennt nicht den kalten Egoismus, welcher das Gedeihen der besten Einrichtungen so oft hindert, Einer steht für Alle und Alle für Einen, der Vortheil des Ganzen ist auch der des Einzelnen, und der des Einzelnen gereicht auch dem Ganzen zum Nutzen, Kummer und Leiden lindert das herzliche Mitgefühl und die thätige Unterstützung, Glück und Freude wird durch die Theilnahme nahestehender Personen verdoppelt, einzelne Vergehungen werden verziehen und der Fehlende durch Ernst und Milde auf den rechten Pfad zurückgeleitet. Eine christliche Familie bietet das Bild des tugendhaftesten Glückes und der beglückendsten Tugend dar, sie ist die beste Führerin zur Erreichung der menschlichen Bestimmung. Die Natur hat deshalb auch dem Menschen eine tiefe Sehnsucht nach diesem Zustande und ein lebendiges Gefühl für die Freuden desselben eingepflanzt, die Religion hat darüber ihre Weihe ausgegossen und der Staat erkennt darin die mächtigste Stütze seines Bestehens. Die Stürme der Zeit und rohe Leidenschaften haben aber oft an diesem heiligen Bande gerüttelt und dasselbe mehr oder weniger gelockert, sodaß unser heutiges Familienleben von dem patriarchalischen Verhältnisse vergangener Zeiten oft weit entfernt ist und keineswegs immer mit dem Ideale übereinstimmt, welches der unverdorbene, sittlich reine Mensch im Busen trägt. Um so mehr wird es aber Pflicht des Staats, Alles zu entfernen, was die Lockerung der Familienbande befördern könnte, und auf eine neue Kräftigung und Erstarkung dieses Verhältnisses hinzuwirken, weshalb auch die Ehe, als die hauptsächlichste Grundlage der Familie, in ihrer Reinheit und Heiligkeit möglichst zu befestigen ist. Die Gesetze, durch welche der Staat die äußern Verhältnisse der Familie und der Glieder derselben zu regeln sucht, nennt man das Familienrecht. Doch kann auch die Familie selbst gewisse Normen aufstellen, nach welchen sich die Glieder derselben zu richten haben, sofern sie nicht den Gesetzen des Staats zuwider laufen. Von diesem Rechte der Selbstgesetzgebung machte besonders in frühern Zeiten der Adel einen sehr ausgedehnten Gebrauch, und die Familien-, Stamm- und Hausverträge desselben bilden eine sehr wichtige Quelle des Adelsrechtes. Der Hauptgegenstand solcher Verträge ist die Bestimmung der Erbfolge und alles Dessen, was zur Beförderung des Glanzes und des Wohls der Familie gereichen kann. Eine landesherrliche Bestätigung derselben ist zwar nicht überall nöthig, doch in vielen Beziehungen nützlich. Der unter dem 14. Artikel der deutschen Bundesacte begriffene mediatisirte Adel (s.d.) soll die Verfügungen über seine Güter und Familienverhältnisse dem Landesherrn nur vorlegen, damit sie bei den höchsten Landesstellen zur allgemeinen Kenntniß und Nachachtung gebracht werden.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 6.
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