Familie

[306] Familie (lat. Familia), eine durch Abstammung oder Geschlechtsgemeinschaft in nähere oder entferntere Verbindung stehende Gruppe von Menschen, Tieren oder Pflanzen, wobei die Zugehörigkeit nicht auf die zurzeit lebenden Glieder beschränkt wird, vielmehr auch beim Menschen von jahrhundertelang zurück verfolgbaren Familien gesprochen wird, die den Namen eines Ahnherrn weiterführen. Bei den Menschen gehörten ursprünglich außer den durch Anheirat hereintretenden nur die durch Abstammung in näherm Grade blutsverwandten Individuen zu einer F., und viele Anzeichen der verschiedensten Art deuten darauf hin, daß im Beginn der Zivilisation vorwiegend die Mutter das Haupt der Familie gebildet hat, während ihr der Vater ferner blieb, so daß er in manchen Fällen gar nicht als Blutsverwandter seiner Kinder betrachtet wurde (vgl. Ehe und Exogamie). Eine derartige, namentlich im Erbrecht ausgedrückte Auffassung der Familienverwandtschaft wird noch heute bei zahlreichen auf niederer Stufe der Zivilisation stehenden Völkerstämmen angetroffen. Erst nachdem das Matriarchat in der Ehe durch das Patriarchat ersetzt und das Institut der monogamischen oder polygynischen Ehe rechtlich begründet worden war, nahmen diese Verhältnisse festere Formen an, und es wurde gesetzlich erlaubt, auch fremde Kinder durch sogen. Adoption in die F. aufzunehmen, wobei ehemals durch eigentümliche Zeremonien (Scheinentbindung, Brustreichen etc.) die Annahme zum eignen Kind symbolisiert werden mußte (s. Annahme an Kindes Statt). Auf diesen Grundlagen erwuchsen die Begriffe der eigentlichen (Bluts-) und der sogen. bürgerlichen Verwandtschaft (s.d.). Die durch den Familienverband[306] entstehenden Verpflichtungen sind privatrechtlich geregelt. So entstand ein besonderes Familienrecht, der Inbegriff der Rechtsgrundsätze, die sich auf die F. und auf die Stellung der Familienglieder als solcher beziehen, das demgemäß unter andern die Rechtsgrundsätze über die Ehe (s.d.), über das Verhältnis zwischen Aszendenten und Deszendenten, die Verpflichtungen zum Unterhalt erwerbsloser Glieder und namentlich die Lehre von der »väterlichen Gewalt« (s.d.) feststellt. Für diejenigen indes, die des väterlichen Schutzes entbehren, greift das Rechtsinstitut der Vormundschaft (s.d.) in das Familienrecht ein, während das Erbrecht (s.d.) die Familienansprüche nach dem Ableben einzelner Glieder regelt. Zu beachten ist übrigens, daß die Bezeichnung F. vielfach auch noch in anderm Sinn und Umfang gebraucht wird. So bezeichneten die Römer mit familia oft alles, was ein freier Bürger besaß, und was seinen Hausstand ausmachte, namentlich auch die dazu gehörigen Sklaven. Sehr oft bezeichnet aber auch familia im ältern römischen Recht nur den Komplex der Agnaten, d. h. der durch väterliche Gewalt Verbundenen, im Gegensatze zu den Kognaten und Affinen oder Verschwägerten (vgl. Verwandtschaft und Schwägerschaft). Im mittelalterlichen Lehns- und Feudalwesen verstand man unter familia nicht selten die Gesamtheit der einem Gutsherrn unterstellten Hörigen oder die Gesamtheit der Dienstmannen. Heutzutage versteht man unter F. auch wohl nur die Deszendenz eines Familienvaters. Das Wort hat sich im Deutschen erst um 1700 eingebürgert (bei Luther u. a. dafür »Haus«). Vgl. Riehl, Die F. (11. Aufl., Stuttg. 1897); Lippert, Geschichte der F. (das. 1884); Hellwald, Die menschliche F. (Leipz. 1888); E. Grosse, Die Formen der F. und die Formen der Wirtschaft (Freib. 1896); Schmoller, Die Urgeschichte der F. (im »Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft«, Bd. 23, Leipz. 1899), sowie die im Art. »Ehe« angeführten kulturhistorischen Schriften.

In der Zoologie und Botanik versteht man unter F. eine Gruppe des natürlichen Systems der Pflanzen und Tiere. Wie nämlich naheverwandte Arten (Spezies) zu einer Gattung (Genus), so werden naheverwandte Gattungen zu einer F. zusammengefaßt; z. B. die F. der Mäuse (Muridae) enthält die Gattungen Mus (mit den Arten M. musculus, Hausmaus, M. decumanus, Wanderratte, M. rattus, Hausratte etc.), Cricetus (C. frumentarius, Hamster) etc. In gleicher Weise umfaßt die F. der Liliengewächse (Liliaceae) die Gattungen Lilium (mit den Arten L. candidum, L. bulbiferum u. a.), Tulipa (T. silvestris, T. gesneriana) u. a. Umfangreiche Familien werden auch wohl noch in Unterfamilien (subfamiliae) geteilt. Linné verwendete den Begriff F. in seinem künstlichen System nicht, sondern vereinigte die Gattungen direkt zu einer Ordnung (ordo). In der modernen Zoologie ist das System des Tierreichs auf Blutsverwandtschaft (Abstammung) begründet, daher sind denn auch sämtliche Abteilungen desselben natürlich, nicht künstlich. – In der modernen Botanik sucht man ebenfalls durch das System die mutmaßliche Abstammung der Pflanzenformen auszudrücken, soweit dies nach der Formähnlichkeit und der lückenhaften Kenntnis der fossilen Arten möglich ist. Historisch hat sich der Begriff der F. bereits im 16. Jahrh. durch die Väter der Botanik, wie besonders Kaspar Bauhin, ausgebildet, und es wurden bereits natürliche Gruppen, wie Coniferae, Umbelliferae, Verticillatae (Labiaten) u. a., unterschieden. John Ray (»Historia plantarum«, 1686–1704) kannte unter den Zweikeimblätterigen auch Stellatae, Pomiferae (Kukurbitazeen), Leguminosae u. a. Linné stellte den Unterschied zwischen künstlicher und natürlicher Einteilung auf, bezeichnete letztere ausdrücklich als Ziel der Systematik und veröffentlichte ein Fragment zur Abgrenzung von natürlichen Pflanzenfamilien. Unter letztern verstand er im Gegensatz zu künstlichen Einteilungen solche, bei denen sämtliche Merkmale zur Unterscheidung benutzt werden. Vgl. Sachs, Geschichte der Botanik (Münch. 1875). – In einem erweiterten und übertragenen Sinn redet man auch wohl in der Mineralogie und Petrographie von Mineral- und Gesteinsfamilien, z. B. von der Quarzfamilie, von der Granitfamilie, wobei nur die gleichartige chemische, bez. mineralogische Zusammensetzung in Betracht kommt. – Über die Bedeutung der F. in der Viehzucht s.d.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 306-307.
Lizenz:
Faksimiles:
306 | 307
Kategorien: