Viehzucht

[148] Viehzucht (Tierzucht), die von bestimmten Grundsätzen geleitete und sich der Ziele bewußte Paarung der landwirtschaftlichen Haustiere. Sie sucht in der Nachkommenschaft (Nachzucht) Tiere (Vieh) zu produzieren, die das höchste Maß der Nutzbarkeit überhaupt oder für bestimmte zeitgemäße Verhältnisse besitzen. Die Vermehrung der Nutzungseigenschaften wird vornehmlich bei Gewinnung von Nutztieren und außerdem Berücksichtigung der Schönheit und Harmonie der Form nebst Vererbungsfähigkeit bei Gewinnung von Zuchttieren angestrebt. Letzteres höheres Ziel beansprucht viel mehr Aufwand von züchterischer Intelligenz und von Kapital. Die Züchtung gewährt nur eine Grundlage, auf der Haltung und Fütterung (s. Futter und Fütterung) weiterzubauen haben, wenn das Ziel der Tierzucht erreicht werden soll. Im besondern züchtet man das Pferd als Arbeitstier, das Rind als Erzeuger von Milch, Fleisch und Fett und als Arbeitstier, das Schaf als Erzeuger von Wolle, Fleisch und Fett, das Schwein als Erzeuger von Fleisch und Fett. Jedes der genannten Haustiere stellt eine besondere Art dar. Zu einer Art gehören die Tiere, die sich untereinander fruchtbar paaren und deren Nachkommen bedingungslos fruchtbar sind. Zwischen einigen Arten, z. B. Pferd und Esel, ist eine Befruchtung möglich; aber die Nachkommen (Bastarde) sind unfruchtbar. Ausnahmsweise ist der Bastard bei der Anpaarung, d. h. bei der Begattung mit einem Tier der Stammarten, fruchtbar. Zu einer Rasse stellt der Züchter alle Tiere einer Art, die sich von andern Tieren derselben Art durch charakteristische Merkmale unterscheiden und diese Charakteristika auch dann vererben, wenn die Tiere unter andre äußere Einflüsse kommen, als in ihrer Heimat bestehen. Die Rasse behält die Charaktere nur so lange, als die Verhältnisse nicht mächtig genug sind, sie zu ändern. Die Rassen der Haustiere lassen sich in zwei Gruppen: die natürlichen und die künstlichen Rassen, unterscheiden. Erstere verdanken ihre Nutzungs- und Körpereigenschaften der Einwirkung der natürlichen Verhältnisse (Boden, Klima, Futter, Benutzung etc.) und werden, sofern diese Eigenschaften nicht besonders bemerkenswert sind, als Landrassen, Landvieh, anderseits bei hervorragenden Eigenschaften als Rassetiere und im Gebiete ihres natürlichen Vorkommens oder sofern sie von diesem Gebiete stammen, als Originalrassetiere bezeichnet. Die künstlichen Rassen (Kulturrassen, Kunstrassen, Züchtungsrassen) entstehen durch die von dem Züchter künstlich hervorgerufenen Einflüsse (Auswahl der Elterntiere, Aufzucht, Fütterung, Haltung etc.). Hört der künstliche Einfluß auf, so gehen sie in ihren Eigenschaften sehr bald zurück, entarten, verkümmern. Neben den natürlichen und den Kulturrassen stehen die unedlen Rassen oder rasselosen Tiere, die in einzelnen Landstrichen oder auch zwischen Tieren der natürlichen Rassen auftreten. Sie zeigen ein Gemisch von Formen und Farben und entbehren der Gleichmäßigkeit in der Vererbung. Weitere Unterabteilungen der Rasse sind: Schlag, Stamm, Zucht (Herde); innerhalb dieser Unterabteilungen werden die Individuen gleicher Abstammung als Familie bezeichnet.

Als Zuchtmethoden sind zu unterscheiden die Reinzucht und die Kreuzung sowie die Inzucht. Unter Reinzucht versteht man die Paarung von Tieren derselben Rasse ohne weitere Rücksicht auf deren Verwandtschaft, unter Kreuzung (Durchkreuzen) das Paaren von Tieren verschiedener Rassen. Die Begriffe sind also abhängig von dem Rassenbegriff. Hält man z. B. die Suffolk- und Yorkshireschweine für verschiedene Rassen, so würde man bei der Paarung eines Yorkshireebers mit einer Suffolksau kreuzen; hält man sie für Schläge der einen großen Kulturschweinerasse, so würde man Reinzucht treiben. Man versteht unter Reinzucht aber auch die Paarung von in ihren Eigenschaften gleichartigen, unter Kreuzung die Paarung von nicht gleichartigen Tieren ohne Rücksicht auf die Rasse. Reinzucht und Kreuzung sollen durch richtige Auswahl und richtige Paarung der Individuen entweder zur Erhaltung der in den Eltern vorhandenen Eigenschaften oder zur Abänderung und Verbesserung der vorhandenen Eigenschaften führen. Auf beiden Wegen kann man den Zweck erreichen. Werden Produkte einer Kreuzung verschiedener Rassen unter sich weiter fortgepflanzt, so treibt man Inzucht. Man vermag auf dem Wege der Inzucht Eigenschaften, die durch die Kreuzung hervorgerufen sind, in der Herde oder der Zucht sicher zu fixieren. Reinzucht und Inzucht sind unabhängig von dem Begriff der Verwandtschaftszucht, worunter man die Paarung nachweislich blutsverwandter Tiere versteht; die letztere kann aber beide begleiten. Die Verwandtschaftszucht wird, wenn sie zur Paarung nächster Blutsverwandter ausartet, zur Inzestzucht oder zur In- und Inzucht. Ist die Verwandtschaft der gepaarten Tiere nicht eine so nahe, so spricht man von Familienzucht. Die Befestigung gewisser Eigenschaften in einer Zucht wird allerdings durch die Verwandtschaftszucht rascher ermöglicht. Setzt man sie aber länger fort, namentlich als Inzestzucht, so tritt eine Schwäche der Konstitution, eine Überfeinerung der Tiere ein; bei männlichen Tieren zeigt sich eine Abschwächung der Geschlechtsfunktion, ja Impotenz bei weiblichen Tieren verminderte Fruchtbarkeit, leichtes Verwerfen, bei den jungen Tieren verringerte Lebensfähigkeit. Die Verwandtschaftszucht kann also nur ein gelegentlich gebotenes erfolgreiches Hilfsmittel sein. Gegen das Ausarten infolge der Inzestzucht[148] oder infolge der Versetzung von Tieren in eine neue Heimat durch Einwirkung der neuen natürlichen Verhältnisse wendet der Züchter das Auffrischen an, d. h. die Einmischung neuen Blutes, und zwar im erstern Fall des Blutes nicht verwandter Tiere, die aber die erwünschten Eigenschaften der Zucht an sich tragen, im letztern Fall des Blutes von Tieren derselben Rasse aus der ursprünglichen Heimat. Der tierzüchterische Ausdruck Blut bezeichnet den jeweiligen Anteil eines Zuchttieres an Zuchteigenschaften jener Rasse, der dasselbe angehört. Wenn eine Rasse mehrere aufeinanderfolgende Generationen hindurch mit glücklichem Erfolg verbessert ist, d. h. also, wenn bestimmte wichtige Eigenschaften in einer Zucht hergestellt sind, dann nennt man die auf solche Weise produzierten Tiere hochgezogene oder auch wohl edle. Nur muß man unter »edel« in diesem Sinne nicht die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammbaum verstehen. Ist eine erfolgreiche Zucht eine gewisse Anzahl von Generationen hindurch in derselben Richtung fortgesetzt, dann erzielt man Vollblut. Ursprünglich ist diese Bezeichnung in der Zucht der englischen Rennpferde entstanden, und noch heute denkt man an die Zugehörigkeit zu den letztern, wenn man von einem Pferd kurzweg sagt, es habe »Blut«. Im weitern Sinne spricht man aber jetzt von »Trakehnervollblut«, »Shorthornvollblut«, »Southdownvollblut« etc. Edles oder Vollblut ist der Kulminationspunkt der gestaltlichen Zweckmäßigkeit, bez. des Adels, als Typus einer anerkannten Rasse auftretend. Wenn man ein Vollbluttier mit einem Tier von gemeinem oder unedlem Blute paart, so erhält man Halbblut; die nachfolgende Tabelle macht die Fortsetzung klar. Paart man Vollblut

Tabelle

In der achten Generation fehlt noch ein so verschwindender Bruchteil an Vollblut, daß man das Produkt schon für wirklich vollblütig erachtet. In der Praxis nennt man in der Regel alle Produkte der Paarung von vollblütigen mit nicht vollblütigen Halbblütige; höchstens gebraucht man noch die Bezeichnung Dreiviertelblut. Die weitern Brüche berücksichtigt man im gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht.

Tabelle

Diejenigen Individuen einer Rasse, die man vermöge ihrer Eigenschaften für geeignet hält, durch Übertragung oder Verschmelzung derselben zweckentsprechende Nachkommen zu liefern, wählt man zur Paarung aus. Die Vererbung ist ein Gemeingut aller fortpflanzungsfähigen Wesen; nach welchen Gesetzen sie aber erfolgt, ist nicht ergründet. Beide Geschlechter können in gleichem Grade Vererbungskraft besitzen, und das Kind bietet in der Regel eine Mischung der elterlichen Eigenschaften dar. Oft freilich macht sich mehr der Vater, oft auch wieder mehr die Mutter bei der Vererbung geltend. Man hat die Ansicht aufgestellt, daß die Körpergröße von der Mutter vererbt werde, und daraus den Satz abgeleitet, daß, wenn eine Differenz in der Größe bei der Paarung nicht zu vermeiden sei, wenigstens das männliche Tier das kleinere sein sollte. Indes ist bei vielen wilden und bei unsern Haustieren normal das erwachsene männliche Tier größer als das weibliche. Man behauptet auch, die kleinere Mutter könne die Frucht von einem großen Vater nicht genügend entwickeln, nur schwer gebären und später nicht genügend ernähren. Indes läßt die kleine Mutter die Frucht in dem Maße sich entwickeln, als es ihr Beckenraum gestattet, und der Einfluß des großen Vaters auf die Entwickelungsfähigkeit der Frucht tritt in der Regel erst nach der Geburt hervor. Ferner ergeben sich Geburtsschwierigkeiten aus der Größe des Vaters an sich keinesfalls, solche treten nur ein, wenn der Kopf oder das Becken (die Hüften) des vielleicht gar kleinern Vaters ungewöhnlich groß ist. Endlich hängt die Milchergiebigkeit nicht ab von der Körpergröße. Freilich kann die größere Mutter mehr Milchnahrung liefern als die kleinere, wenn sie beide gute Milchgeberinnen sind, und insofern hat der Satz etwas Richtiges; aber wenn man große Tiere ziehen will, wird man sicherer große Mütter mit großen Vätern paaren. Nur ein Elterntier vererbt sein Geschlecht und jene Eigentümlichkeiten, die zum Geschlechtscharakter des Tieres gehören. Dabei ist es unbekannt, welches Elterntier für die Geschlechtsbildung des Jungen ausschlaggebend ist, alle bezüglichen Theorien entbehren der Gewißheit. Physiologische Eigenschaften (gute Futterverwertung, Parallelogrammform) vererben sich nur in der Anlage und gehen verloren, wenn sie nicht dauernd durch die Haltung und Ernährung gestützt werden. Auch zufällige Eigenschaften, die man geradezu als Mißbildungen bezeichnen kann, und verschiedene Krankheiten (Erbkrankheiten), wenn auch meist nur in der Anlage, können von den Eltern auf die Kinder übergehen. Daher sind alle Tiere von der Benutzung zur Zucht auszuschließen, die solche erbliche Krankheiten oder Krankheitsanlagen besitzen. Paart man Tiere miteinander, so sollen beide Eltern möglichst diejenigen Eigenschaften besitzen, die wir von den Kindern verlangen. Ein züchterischer Satz lautet: Gleiches mit Gleichem gibt Gleiches, oder besser gesagt: »Ähnliches mit Ähnlichem gepaart gibt Ähnliches«. Die Befolgung dieses Grundsatzes ist aber nicht immer möglich. Oft genug muß der Züchter sich bemühen, Fehler der Mütter durch Benutzung eines in denselben Punkten vorzüglichen Vatertiers in der Nachzucht auszugleichen, da nicht lauter gute Tiere vorhanden sind. Stuten mit langem Rücken, schwacher Lende, kurzem, abschüssigem Kreuz werden gepaart mit einem Hengst mit kurzem Rücken, kräftiger, breiter Lende, langem, geradem Kreuz, um Fohlen von letzterer Beschaffenheit zu erhalten. Hierauf beruht ein zweiter Satz: Ungleiches mit Ungleichem gepaart gibt Ausgleichung. Nur muß man nicht einen Fehler durch den entgegengesetzten ausgleichen wollen, z. B. einer senkrückigen Stute, um aus derselben geradrückige Fohlen zu erhalten, einen Hengst mit aufgebogenem (sogen. Karpfenrücken) geben; der zweite Satz hat daher richtiger zu lauten: »Fehlerhaftes mit Fehlerfreiem gibt Ausgleichung«. Nach der Infektionstheorie wird eine Mutter von dem männlichen Tier, das sie das erstemal befruchtet, so affiziert, daß auch die spätern Produkte derselben von andern Vätern gewisse Anklänge oder Ähnlichkeiten von dem zuerst benutzten männlichen Tier zeigen. Die wissenschaftlichen Erklärungen, die man für die Infektionstheorie vorgebracht hat, sind aber haltlos. Da gegen sind zuweilen Enkel in irgendeiner Eigenschaft den Großeltern in der Tat ähnlicher als den Eltern, oder sie besitzen [149] Eigenschaften, die nicht bei den Eltern, sondern bei den Großeltern oder bei noch weiter zurückliegenden Vorfahren vorhanden waren (Rückschlag oder Atavismus).

Früher glaubte man, daß Sicherheit der Vererbung nur zu erwarten stehe, wenn die zur Zucht benutzten Tiere reiner Rasse, nicht aber, wenn sie gemischter Abstammung seien. Allein die englischen Vollblutpferde, die Shorthornrinder, die Southdownschafe, die neuern englischen Schweinerassen sind nachweislich nicht rein, und doch sind sie nicht weniger konstant in der Vererbung als andre. Dieser Lehre von der Konstanz gegenüber, nach der man bei der Auswahl von Zuchttieren lediglich auf die Abstammung (pedigree) zu sehen habe und z. B. jeden beliebigen Bock ohne Wahl nehmen dürfe, wenn er nur von reiner, konstanter Rasse sei, hat Settegast die Bedeutung des Individuums hervorgehoben und die Lehre von der Individualpotenz aufgestellt. Jedes Tier, auch das von gemischter Abstammung, kann die Fähigkeit besitzen, sich gut zu vererben. Auf die Eigenschaften des Individuums, nicht auf dessen Rassenreinheit, hat man nach Settegast bei der Auswahl zu sehen. Je vollkommener ein Tier in allen den Eigenschaften ist, die sich sicher vererben, desto wertvoller ist es als Zuchttier. Da die Veränderungsfähigkeit der Rassen feststeht, so ist die Rassenkonstanztheorie, die nur die vererbten und nicht auch die erworbenen Eigenschaften gelten läßt, ebenso unberechtigt in ihrer Ausschließlichkeit wie die einseitige Individualpotenztheorie, die wieder den vererbten Eigenschaften zu wenig Gewicht beilegt. Bei der Auswahl der Elterntiere werden daher in der modernen V. nicht nur die Eigenschaften der Individuen, sondern auch ihre Abstammung berücksichtigt, weil es nicht gleichgültig ist, ob die ausgewählten Individuen z. B. dem Vollblut oder dem Halbblut angehören.

Die Paarung der Tiere zum Zweck der V. erfolgt entweder in der Weise, daß einer größern Zahl weiblicher Tiere ein männliches Tier zugeteilt wird, so daß beim Auftreten der Brunst die Begattung stattfindet (wil der Sprung); oder es wird das männliche Tier zu dem brünstigen weiblichen geführt, um die Bedeckung zu vollziehen (Sprung aus der Hand). Zur individuellen Zuteilung der Zuchttiere bietet die Führung von Stamm- und Züchtungsbüchern (s. Herdbuch) die unerläßliche Grundlage, in dieselben sind sowohl die Abstammung als auch die Beschreibung, die Verwendung und Leistung des Tieres zu verzeichnen. Über Trächtigkeitsdauer s. Schwangerschaft, S. 109.

Trotz aller Ähnlichkeit der zu einer Rasse gehörigen Tiere hat doch jedes seine Eigentümlichkeiten, sein Individuelles. Bei der Zucht kann ein männliches Tier für viele weibliche Tiere benutzt werden, deshalb ist es mit besonderer Sorgfalt auszuwählen. Vielfach findet daher eine amtliche Prüfung (Körung) der zur Zucht zu verwendenden (lizenzierten) männlichen Tiere auf ihre Zuchttauglichkeit und eine Fernhaltung zuchtungeeigneter (abgekörter) durch Strafbestimmungen statt. Die Alters- und Geschlechtsunterschiede als selbstverständlich vorausgesetzt, bleibt bei der Auswahl von Tieren zur Zucht, beim Ankauf von Zuchttieren behufs Prämiierung auf Tierschauen sowie bei der Auswahl der zur Aufzucht bestimmten jungen Tiere die für die bestimmte Leistung zweckmäßigste Form des Körpers (Exterieur) und namentlich gewisser Teile zu berücksichtigen, welche die größte Nutzungsfähigkeit nach der gewünschten Richtung hin erwarten lassen. Der Züchter bezeichnet diese Hauptpunkte des Körpers, die bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit des Körperbaues für bestimmte Zwecke vornehmlich beachtenswert erscheinen, als Points (Punkte, Wertmale).

Die einzelnen Eigenschaften der zu beurteilenden oder zu vergleichenden Tiere werden nach Zahlen, deren Einheit der Punkt ausdrückt, miteinander verbunden (sei es durch Addition oder Multiplikation derselben), und das Resultat entscheidet über deren Wert. Dieses Punktierverfahren dient an Stelle der Beurteilung nach freiem Augenschein auch zur Ermittelung der preiswürdigen Tiere auf Viehausstellungen. Das Lydtinsche Meß- und Punktierverfahren ist das im Deutschen Reiche gebräuchlichste; nach diesem werden z. B. für Milchkühe 14 Körpermaße und Formen (und zwar Rückenlinie, Rückenbreite, Lunge, Brustbreite, Beckenbreite, Brusttiefe, Rasse und Farbe, Haut, Milchzeichen, Kopf und Hörner, Form und Stellung der Glieder, Bewegung, Gesamterscheinung verdoppelt) mit den Noten: 3 = vorzüglich, 2 = gut, 1 = genügend, 0 = schlecht beurteilt und summiert. Je mehr sich die Summe dieser Taxzahlen der Summe 42 für das Idealtier nähert, um so preiswürdiger ist das Ausstellungstier. Bei den internationalen Zucht- und Nutzviehschauen in Wien werden die Einzeleigenschaften nicht mit gleicher, sondern mit verschiedener Punktzahl (Gesamteindruck = 3, Nutztüchtigkeit = 3, Kopf = 2, Vorhand = 4, Mittelhand = 1, Hinterhand = 4, Gliedmaßen = 2, Euter = 6, Milchadern = 3, Haut und Haare = 2, Haltung und Pflege = 2, Summe = 36) bewertet und addiert. Literatur s. bei Viehmeßstock.

Bei dem organischen Zusammenhang zwischen der Form des tierischen Körpers und der Leistung des Tieres kann durch Heranbildung einer bestimmten Form bei der Züchtung auf die Steigerung der Nutzungseigenschaften des Tieres hingewirkt werden. Da die äußere Form des Tierkörpers bedingt ist durch die Formverhältnisse des Knochenskeletts, so ist für die Feststellung der Größenverhältnisse der Teile des Tierkörpers der sicherste Ausgangspunkt die des Rumpfes im Verhältnis zu Kopf, Hals und Beine, bei lebenden Tieren, Messung des Abstandes bestimmter, unter der Haut leicht erkennbarer Knochenhervorragungen. Die Resultate derartiger Messungen werden in der mannigfachsten Weise zur Beurteilung der Körperform zusammengestellt, unter anderm werden von Roloff und Wilckens die Formenverhältnisse nach den aus dem Goldenen Schnitt gefundenen major (etwa 0,616) und minor (etwa 0,384) der Tierlänge (Bugsitzbeinlinie) ermittelt. Der Halbmajor ist beim Rinde das normale Maß für die Kopf-, Nacken-, Schulter- (Vorhand), Kruppe- (Hinterhand)länge und für die Hüft- und Brustbreite, der minor für den Abstand des Ellbogenhöckers vom Boden und vom obern hintern Schulterblattwinkel bis zum äußern Darmbeinhöcker (Mittelhand). Zum Messen dienen die Viehmeßstöcke (s. d.) oder das Viehmeßband (s. d.).

Unregelmäßigkeiten der Körperbeschaffenheit und Organform werden als Fehler bezeichnet, die jedoch, je nachdem sie Schönheits-, Gebrauchs-, Gewährs- oder Erbfehler sind, sehr verschiedene Bedeutung für die Züchtung besitzen. Schönheitsfehler, wie z. B. Karpfen-, Senkrücken, plumper Kopf, ungleiche Hornstellung etc., sind für die Leistung des Tieres ohne Belang, sie sind demungeachtet bei Zuchttieren nicht zu dulden. S. auch Abzeichen. Gebrauchsfehler schädigen nicht nur die Form, sondern verringern auch[150] die Leistung, z. B. Fleischeuter, große Euter, aber mit wenig Drüsensubstanz, bei Milchkühen, fehlerhafte Beinstellung bei Pferden etc. Gewährsfehler beziehen sich auf nicht sogleich erkennbare Krankheiten, für dieselben bestehen gesetzlich normierte Gewährszeiten, nach deren Ablauf der Kauf eines Tieres erst volle Geltung erlangt. Erbfehler, bez. die Anlagen zu Krankheiten (Erbkrankheiten), werden durch die Verwendung der Tiere zur Zucht auf die Nachkommen übertragen, z. B. bei dem Pferde der Dummkoller, das Kehlkopfspfeifen, die Mondblindheit, der Spat und sonstige Knochenleiden, das Koppen, der graue und schwarze Star und die Epilepsie, bei dem Rinde die Tuberkulose, bei dem Schaf die Traberkrankheit, bei dem Schwein die Fettentartung und die Skrofulose.

Fig. 1. Shorthornrind. Fig. 2. Southdownschaf. Fig. 3. Englisches Schwein. Verschiedene Parallelogrammformen.
Fig. 1. Shorthornrind. Fig. 2. Southdownschaf. Fig. 3. Englisches Schwein. Verschiedene Parallelogrammformen.

Außer dem Körperbau kommen einige generelle Eigenschaften in Betracht, nämlich: Feinheit, Adel, Frühreife und gute Futterverwertung. Fein nennt man ein Tier mit dünnen, leichten Knochen, loser, dünner, weicher Haut, weicher, spärlicher Behaarung, kleinem und leichtem Kopf und ebensolchen Gliedern, grob dagegen ein Tier, das umfangreiche, dicke Knochen, eine dicke, feste Haut, grobe, straffe, reichliche Behaarung, einen plumpen Kopf und plumpe, große Glieder hat. Weibliche Tiere sind immer etwas seiner als männliche. Feinere Tiere sind leichter zu ernähren und verwerten das Futter besser als grobe; indes ist ein Tier durchaus nicht unter allen Umständen um so besser, je seiner es ist. Milch- und Fleischvieh soll sein sein; ein Zugochse darf nicht sein sein, und ein männliches Zuchttier darf nicht so sein sein, daß die Männlichkeit darunter leidet. Je nachdem es Milch-, Fleisch- oder Wolltiere einerseits oder Arbeitstiere anderseits produzieren soll, darf der Grad der Feinheit bei dem männlichen Zuchttier mehr oder weniger stark hervortreten. Zu große Feinheit führt zur Überbildung, wie bei veredelten Schafen und Pferden. Bei vielen überbildeten Tieren sind Brust und Becken eng und schmal, die Rippen flach, der Rücken scharf. Der Begriff Adel wird verschieden gefaßt. Einmal werden Tiere für edel angesehen, die in ihren Eigenschaften den Höhepunkt dessen repräsentieren, was wir zurzeit nach dieser Richtung hin erreichen können, nach andrer Auffassung solche, die in voller Reinheit von gewissen Stammbäumen entsprossen sind, wie z. B. das »Stud-book« es für die englischen Vollblutpferde, die publizierten Register für die Shorthornrinder nachweisen. Von besonderer Wichtigkeit für gewisse Zwecke ist die Frühreife. Ein Tier wird frühreif, wenn es, geboren und genährt von einer Mutter, die während der Trächtigkeit und des Säugens auf das reichlichste gefüttert wurde und reichlich Milch produzierte, sodann, selbständig geworden, dauernd in seiner Nahrung alle Stoffe vorfindet, die zu seiner Entwickelung erforderlich sind und auch in Quantität und Qualität vollauf genügen, das ferner nicht durch starke Bewegung, ungünstige Temperatur- und sonstige Einflüsse übermäßig Stoff verliert. Im Gegensatz hierzu wird ein Tier spätreif, dessen Mutter während der Trächtigkeit und des Säugens unzureichend ernährt wurde, so daß sie die zur Entwickelung der Frucht und zur Ernährung des Jungen nötigen Stoffe nicht in zureichendem Maß liefern konnte, dessen weitere Entwickelung auch nach dem Absetzen durch mangelhaftes Futter und durch infolge starker Bewegung und bedeutender Temperatureinflüsse gesteigerten Stoffwechsel gehemmt wurde. Das frühreife Tier ist relativ groß, im allgemeinen sein, hat einen weiten, großen Rumpf (breite Brust, Rücken und Becken, gewölbte Rippen) bei kleinem Kopf und dergleichen Beinen, oder anders gesagt, die durch Fleisch und Fett vorzugsweise nutzbaren Körperteile sind stark, die wenig wertvollen Partien schwach entwickelt. Diese Körperform bezeichnet man als die Parallelogrammform, d. h. der Rumpf des Tieres läßt sich nach verschiedenen Richtungen, besonders aber im Profil, von einem Parallelogramm derart umschreiben, daß die Linien des letztern die Umrisse der Gestalt des Tieres in vielen Punkten berühren, oder daß das Parallelogramm von den Umrissen des Rumpfes möglichst ausgefüllt wird (Fig. 1–3). Am vollständigsten wird die Parallelogrammform immer bei einem gut ausgemästeten, frühreifen Tier entwickelt sein. Nur die Anlage zur Frühreife wird bei den Tieren vererbt; soll sie sich entwickeln, dann müssen dieselben günstigen Bedingungen vorhanden sein, die diese Eigenschaft bei den Vorfahren erzeugt hatten. Sie ist deshalb auch nur in beschränktem Sinn eine Rasseneigentümlichkeit. Die Frühreife hat einen nachteiligen Einfluß auf die Geschlechtsfunktionen. Die weiblichen Tiere werden vor der Zeit brünstig, und wenn man sie dann nicht zuläßt, so zeigt sich später leicht Unfruchtbarkeit. Bei den Schweinen ist die Zahl der Jungen gewöhnlich gering. Die frühreifen männlichen Tiere zeigen einen weniger regen Geschlechtstrieb; man findet verhältnismäßig viele unter ihnen mit mangelhafter Fruchtbarkeit.

Mit der Feinheit und Frühreife im engsten Zusammenhang steht die gute Futterverwertung, die Fähigkeit des Tieres, die ihm dargebotene Nahrung wirtschaftlich nutzbar zu machen. Ein seines, frühreifes Tier bildet aus derselben Futtermenge, welches das grobe, spätreife zum Verweilen in einem gewissen[151] Beharrungszustand gebraucht, schon Kraft, Milch, Wolle oder Fleisch und Fett und vermehrt im letztern Fall seinen Körperumfang. Die Aufzucht hat die Gewöhnung und Anpassung des heranwachsenden Tieres an seine Umgebung zu erleichtern und anderseits durch Fütterung und Haltung die ererbten Eigenschaften zu entwickeln oder selbst darüber hinaus günstig abzuändern. Die Anpassung des Tierkörpers an die örtlich gegebenen Lebensbedingungen hängt je nach der Eigenart des Tieres von der leichtern oder schwerern Gewöhnung an Klima, Nahrung und Gebrauch der Organe ab. Der züchterische Einfluß bei der Aufzucht soll nicht erst vom Zeitpunkte der Geburt, sondern schon viel früher vom Augenblicke der Befruchtung an beginnen. Durch gewählte Fütterung, sorgsame Pflege und Fernhaltung aller Störungen von dem trächtigen Tier ist schon auf das sich bildende Junge ein bedeutsamer Einfluß zu gewinnen. Nach der Geburt bedingt die Ernährung während der Aufzucht, neben der Abstammung, die Ausbildung früh- oder spätreifer Tiere. Sobald das heranwachsende oder ausgewachsene Tier zur Nutzung gelangt, ist seine Aufzucht beendet. Vgl. Weckherlin, Landwirtschaftliche Tierproduktion (4. Aufl., Stuttg. 1865); H. Settegast, Die Tierzucht (5. Aufl., Bresl. 1888, 2 Bde.) und Die deutsche V., ihr Werden, Wachsen etc. (Berl. 1890); H. v. Nathusius, Vorträge über V. und Rassenkenntnis, 1. Teil (2. Aufl., das. 1890); Krafft, Tierzuchtlehre (8. Aufl., das. 1906); Wilckens ' Landwirtschaftliche Haustierlehre, Bd. 2 (2. Aufl., Tübing. 1903); Dünkelberg, Die allgemeine und angewandte V. (Braunschw. 1892); Patzig, Viehzucht (6. Aufl., Berl. 1906); Pusch, Lehrbuch der allgemeinen Tierzucht (Stuttg. 1904); Adam, Die landwirtschaftliche Haustierzucht (4. Aufl., das. 1902); Käppeli, Allgemeine Tierzuchtlehre (2. Aufl., Frauenfeld 1906); R. Müller, Grundzüge der landwirtschaftlichen Tierproduktionslehre (Berl. 1899); Biedenkopf, Lehrbuch der Tierzucht, Schulbuch (das. 1904); Carl, Die Organisation der landwirtschaftlichen Tierproduktion (Halle 1900); Conradi, Tierzuchtlehre (2. Aufl., Berl. 1906); Fischer, Tierzuchtlehre für praktische Landwirte (2. Aufl., Leipz. 1906); Keller, Vererbungslehre und Tierzucht (Berl. 1895), Die Tierwelt in der Landwirtschaft (Leipz. 1893) und Naturgeschichte der Haustiere (Berl. 1905); Pott, Der Formalismus in der landwirtschaftlichen Tierzucht (Stuttg. 1899); R. Müller, Staats- und volkswirtschaftliche Einrichtungen zur Förderung der landwirtschaftlichen Tierzucht (Leipz. 1900); Holdefleiß, Die öffentliche Förderung der Tierzucht in Deutschland (1. Teil, Bresl. 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 148-152.
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