Knochen

[177] Knochen (Ossa; im Mittelhochd. knoche noch selten, statt dessen üblich bein, das noch jetzt in Schlüsselbein, Nasenbein etc. erhalten), harte, starre, schwere, gelblichweiße Körper, die, untereinander zu dem Skelett (s. d.) verbunden, das Gerüst des Körpers der meisten Wirbeltiere bilden. Der Hauptmasse nach bestehen sie aus dem Knochengewebe, sind im gefunden Zustand unempfindlich und enthalten von allen Geweben des Körpers das wenigste Wasser und die meisten festen Bestandteile. Zugrunde liegt ihnen der weiche, biegsame Knochenknorpel, der ihre Gestalt bedingt und, durch Behandlung der K. mit verdünnter Salzsäure erhältlich, etwa 30–37 Proz. des Knochengewichts ausmacht, beim Kochen den sogen. Knochenleim gebend. Damit innig verbunden ist die sogen. Knochenerde, die den K. ihre Härte, Schwere und Starrheit verleiht und hauptsächlich aus phosphorsaurem Kalk (84 Proz.), kohlensaurem Kalk, phosphorsaurer Magnesia, etwas Chlorcalcium und Fluorcalcium zusammengesetzt ist. Am lebenden K. unterscheidet man die Weichteile (Knochenhaut, Mark, Blutgefäße) und die eigentliche harte Knochenmasse; an letzterer wiederum die feste oder Rindensubstanz, die sich an der Oberfläche (namentlich am Mittelstück langer Röhrenknochen) vorfindet, und die schwammige (spongiöse) Substanz, die aus netzförmig verbundenen Knochenbälkchen besteht und im Innern liegt. Jene ist überall mit seinen Röhren von 0,03–0,12 mm mittlerer Weite durchsetzt, welche die seinen Blutgefäße enthalten und als Gefäßkanälchen oder Haversische Kanälchen bezeichnet werden (s. Tafel »Gewebe des Menschen«, Fig. 2–4); die spongiöse Substanz hingegen enthält nur da Gefäßkanälchen, wo sie aus dickern Blättern und Balken besteht. Das Knochengewebe zwischen den Haversischen Kanälen ist deutlich geschichtet (Knochenlamellen, Tafel, Fig. 4). Auf dünnen Schliffen bemerkt man ferner in der Substanz des Knochens zahlreiche mikroskopisch kleine Lücken in ganz regelmäßiger Anordnung, es sind die sogen. Knochenhöhlen (Knochenlücken), die im lebenden K. die Knochenzellen (Knochenkörperchen) enthalten. Davon kommen etwa 900 auf 1 qmm; sie stehen durch seine hohle Fortsätze miteinander und mit den Haversischen Kanälen in Verbindung, und so entsteht ein System feinster Kanäle zur Ernährung des Knochens. Die Knochen- oder Beinhaut (periosteum) ist eine mit dem K. innig verbundene feste, weißliche, glänzende Faserhaut von wechselnder Dicke, die den K. überall, mit Ausnahme der überknorpelten Gelenkflächen, überzieht. Mit ihrer Außenfläche verschmelzen sich die Sehnen der Muskeln und die Bänder. Sie ist reich an Blutgefäßen und Nerven, die beide auch in den K. eindringen. Wird die Knochenhaut vom K. abgetrennt, so werden ihm die Nährquellen abgeschnitten, und er stirbt an diesen Stellen ab (s. Knochenbrand). Knochenmark (auch wohl nur Mark) heißt die weiche Masse in den Lücken der schwammigen Knochensubstanz; es besteht aus Bindegewebe mit vielen Fettzellen, ist sehr reich an Blutgefäßen und enthält Lymphgefäße. Wie in der Milz, so findet im Knochenmark die Bildung neuer Blutkörperchen statt.

Bezüglich der Entstehung und des Wachstums des Knochens kommt vor allem die Bildung aus einer knorpeligen Anlage in Betracht; gewisse Schädelknochen aber bilden sich aus einer bindegewebigen Anlage. Beiderlei Anlagen verknöchern von ganz bestimmten Stellen (Ossifikationspunkten) aus in radiär fortschreitender Richtung, indem die betreffenden Kalksalze in feinsten Körnchen zur Ablagerung gelangen; so wird die knorpelige oder bindegewebige Unterlage ganz allmählich in Knochengewebe umgewandelt, wobei besondere Zellen (Osteoblasten) eine wichtige Rolle spielen.

Ihrer Gestalt nach teilt man die K. in lange, platte und dicke K. Die langen K. oder Röhrenknochen kommen nur an den Gliedmaßen vor, wo lange Hebelarme notwendig sind, um große und schnelle Bewegungen auszuführen. Ihr Mittelstück (diaphysis) besteht fast ganz aus Rindensubstanz und führt in seinem Innern den Markkanal voll schwammiger Substanz und Knochenmark; die Enden (apophysis, epiphysis) bestehen fast ganz aus schwammiger Substanz mit einem dünnen Überzug von Rinde. Sie sind dicker als das Mittelstück und tragen die mit einer dünnen Knorpellage überzogene Gelenkfläche. Solange der K. wächst, sind sie mit dem Mittelstück durch eine dünne Knorpelscheibe verbunden, die aber nach vollendetem Wachstum auch verknöchert, so daß dann der Röhrenknochen nur noch ein Stück bildet. Platte (breite) K. werden zur Umscheidung von Höhlen verwendet, z. B. die K. des Schädelgewölbes. Die dünne Lage von spongiöser Substanz, die zwischen die beiden Rindenplatten eingeschaltet ist, führt hier den Namen Diploë. Die dicken (kurzen) K., wie sie an Hand und Fuß vorkommen, bestehen aus schwammiger Substanz mit einem dünnen Überzug von Rindensubstanz. – Die Verbindung der K. untereinander findet bald in beweglicher Weise durch Gelenke (s. d.), bald in unbeweglicher Weise statt. Im letztern Falle (Synarthrose) ist sie entweder unmittelbar (Knochennaht, s. d.) oder mittelbar, indem eine Lage Knorpel oder auch Bänder zwischen die Knochenflächen eingeschaltet ist (Symphyse, Synchondrose, Syndesmose). – Bei den wirbellosen Tieren gibt es keine echten K., obwohl eine Erhärtung ihrer Gewebe durch Kalksalze in mehr oder minder großer Ausdehnung sehr häufig (z. B. bei Seeigeln, Muscheln, Schnecken etc.) und selbst Knorpel bei einigen unter ihnen (Pteropoden, Kephalopoden) vorkommt. Über die zum Teil hohlen K. der Vögel s. d.[177]

Die Krankheiten der K. bestehen in einer gewaltsamen Trennung ihres Zusammenhanges (Knochenbrüche, Knochenwunden) oder in einer Veränderung des Gewebes. Im ersten Kindesalter, in dem die K. blutreicher, saftiger und weicher sind, finden sich besonders häufig tuberkulöse und rachitische Knochenkrankheiten, während in spätern Lebensaltern Syphilis und ebenfalls wieder Tuberkulose zu langwierigen Knochenerkrankungen Veranlassung geben. Die Knochenerkrankungen sind besonders gefährlich, wenn sie in der Nähe der Gelenke ihren Sitz haben, indem sie die letztern in Mitleidenschaft ziehen können, auch gehen sie bisweilen mit Eitervergiftung (Pyämie) oder fauliger Blutvergiftung einher, endlich können sie durch langwierige Säfteverluste, durch amyloide Entartung innerer Organe schweres Siechtum oder den Tod herbeiführen. Über die einzelnen Knochenkrankheiten s. die betreffenden Artikel: Knochenatrophie, Knochenbrand (mit der Phosphornekrose), Knochenfraß, Knochenentzündung, Knochenhautentzündung, Knochenmarkentzündung, Knochenerweichung, Rachitis (englische Krankheit), Knochenauswuchs (Knochengeschwulst), Knochenbrüche. Vgl. Schuchardt, Die Krankheiten der K. und Gelenke (in »Deutsche Chirurgie«, Stuttg. 1899).

[Technische Verwendung.] Man verarbeitet Rinder-, Pferde-, Hirsch- und andre Knochen zu Klaviaturen, Stockknöpfen, Schachfiguren, Knöpfen, Messer- und Gabelheften, Falzbeinen, Kämmen etc. Vgl. Knochenarbeiten. Sehr viel K. werden auf Leim (s. d.) und Düngerpräparate (s. Knochenmehl) verarbeitet; bei Luftabschluß geglüht, geben sie die Knochenkohle (s. d.), bei Luftzutritt geglüht, Knochenasche (s. d.). Bei der Bereitung der Knochenkohle entsteht auch ein Teeröl und ammoniakalische Flüssigkeit. Durch Auskochen, Dämpfen oder Extrahieren gewinnt man aus den K. das Knochenfett (s. d.). Vgl. Friedberg, Die Verwertung der K. auf chemischem Wege (2. Aufl., Wien 1901).

Knochenlager verdienen in hygienischer Hinsicht Berücksichtigung, weil die den K. anhaftenden Weichteile faulen, üble Gerüche verbreiten und die Nachbarschaft belästigen und schädigen. In dicht verschlossenen Knochenlagern wird der Sauerstoff der Luft aufgezehrt und Kohlensäure entwickelt, die sich in solcher Masse ansammeln kann, daß die das Lager Betretenden in Gefahr kommen, zu ersticken. Trockenheit der Lagerräume und Ventilation erscheinen dringend notwendig. Bei der Hantierung mit K. ist auch Gefahr der Übertragung von Milzbrand vorhanden, und die K. sollten daher nur mit Schaufeln oder Gabeln unter Vermeidung von Staubbildung bewegt werden. Arbeiter mit Wunden an den Händen sind von der Berührung der K. fernzuhalten. Beim Entfetten der K. durch Kochen sind die sich entwickelnden übelriechenden Dämpfe in die Esse zu leiten, besser ist die Anwendung geschlossener Zylinder zum Kochen, das Verfahren mit Benzin erfordert gutes Schließen der Apparate. Beim Darren der K. sind die Arbeiter der Hitze und beim Mahlen dem Staub ausgesetzt. Beim Aufschließen der K. mit Säuren entwickeln sich sehr übelriechende Dämpfe, für die gute Abzugsvorrichtungen anzubringen sind. Dies ist namentlich erforderlich, wenn auch Salzsäure zur Anwendung kommt. Knochenmehllager sind für die Nachbarschaft höchst lästig und sollten wie Guanolager behandelt werden. Bei der Darstellung von Knochenkohle müssen die stinkenden Dämpfe und Gase in eine starke Feuerung geleitet werden; aber auch wenn man die Dämpfe verdichtet, entwickeln die Fabriken sehr üble Gerüchte.

Vorgeschichtliche Knochengeräte sind meistens kleiner als die Hirschhorngeräte (s. Hirschhorn) und kamen da zur Verwendung, wo die Festigkeit des Hirschhorns nicht ausreichte, z. B. bei längern Meißeln, Messern, Harpunen, dünnen Pfriemen und Nadeln. Größere Stücke sind die sogen. Schlittknochen, Beinknochen oder Rippen von Pferd und Rind, die, unter die Füße gebunden, als Schlittschuhe oder Schneeschuhe dienten. Bei der Weberei fanden Eberhauer und andre K. zum Glätten des Gewebes Anwendung. Weberschiffchen und Webnadeln, Instrumente zum Netzstricken etc. wurden ebenfalls häufig aus K. hergestellt. – Auch bei den heutigen Naturvölkern ist die Verwendung von K. zu Waffen und Geräten recht mannigfaltig, besonders dort, wo Metalle fehlen, also in Amerika und dem Stillen Ozean. Für Neuguinea geradezu charakteristisch ist der Dolch aus dem Oberschenkelknochen des Kasuars, der gleicherweise auch als Speerschuh verwendet wird. In einzelnen Fällen werden auch menschliche Oberarmknochen zum gleichen Zwecke verwendet. Rippen verschiedener Tiere, Unterkiefer von Menschen, Vogelschnäbel und andre tierische Bestandteile dienen dann ferner auch zum Schmuck, brettartig bearbeitete Pottwalknochen in Mikronesien als Webebrett. Der Penisknochen des Walrosses wurde in vorgeschichtlicher Zeit und wird auch noch jetzt gern als Keule benutzt. Zu Meißeln, Bohrern, Brechern, Speer- und Harpunenspitzen, Pfriemen und Nadeln, Messern, Löffeln u. dgl. werden bei den genannten Naturvölkern und auch den Hyperboreern K. fast genau in demselben Maße benutzt wie in vorgeschichtlicher Zeit.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 177-178.
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