Nadeln

[371] Nadeln, schlanke, spitz zulaufende Werkzeuge aus Metall (Stahl, Messing, Gold, Silber), Horn, Knochen, Elfenbein, Holz etc., zu den verschiedensten Zwecken dienend, hauptsächlich zum Zusammenfügen von Geweben u. dgl. mittels Fäden (Näh-, Pack-, Tapezier-, Stick-, Schnürnadeln) oder mittels Zusammensteckens (Steck-, Vorsteck-, Tuch-, Hut-, Haar-, Sicherheitsnadeln) oder zur Ausführung bestimmter Arbeiten (Strick-, Häckel-, Netz-, Flecht-, Spick-, Dressiernadeln) oder zum Schmuck (Haar-, Hemd-, Gewandnadeln). Die Anfertigung der N. ist zwar verschieden, aber aus der Näh- und Stecknadelfabrikation leicht abzuleiten.

1) Nähnadeln werden aus Stahldraht gemacht, der in Ringen geliefert, zuerst gerade gestreckt und unter Anwendung des Schachtmodells in Stücke von der doppelten Länge der N. (Schachte, Schafte) zerschnitten wird. Zu dem Zwecke wickelt man den Draht gespannt auf einen sechsarmigen Haspel von 5–6 m Umfang zu einem Ring von etwa 100 Windungen und zerschneidet diesen Ring mit einer Schere (Drahtschneidmaschine) zu Schachten. Häufiger verwendet man dazu eine Richt- und Schneidmaschine, bei der mehrere Drähte nebeneinander von einer breiten Zange an sechs hintereinander stehenden Stiften (Richtholz) in Schlangenform stark gespannt um die Schachtlänge vorgezogen und dann von einem niedergehenden Schermesser abgeschnitten werden. Um die Drähte völlig gerade zu richten, werden 5–15,000 Schachte dicht zusammen in zwei eiserne Ringe gesteckt, schwach zwischen Holzkohlenfeuer geglüht und in der Richtmaschine zwischen einer horizontalen festliegenden und einer darüber gelegten beweglichen Platte (Streicheisen, Streicher) gerollt. Das Streicheisen ist mit Nuten versehen, in denen die Ringe laufen, so daß es nur auf die N. drückt. Die geraden Schachte werden auf der Nadelspitzmaschine an beiden Enden zugespitzt. Die Maschine besitzt einen Schleifstein, dessen Oberfläche eine Hohlkehle bildet, über dem Stein befindet sich auf einer horizontalen, zum Steinmittel nahezu rechtwinklig angeordneten Achse eine drehende Kreisscheibe mit Kautschukring, die in die Hohlkehle des Steines hineinreicht, die aus einem Vorratskästchen herausfallenden Schachte faßt, auf einer geeigneten Unterlage in langsame rollende Bewegung versetzt und mit dem einen Ende an der Schleiffläche entlang führt, die sie spitz zu schleift. Da aber die Schachte an beiden Seiten zugespitzt werden müssen, so passieren sie zweimal die Maschine. Nach dem Spitzen werden die Schachte in der Mitte durch Prägen (Pflöcken) zwischen entsprechend geformten Stempeln platt gedrückt, wobei ein beträchtlicher Grat oder Bart ausgetrieben wird. Zur Schonung der Stempel schleift man vorher die Schachte in der Mitte auf der Mittelschleifmaschine blank. Das Pflöcken oder Vorschlagen erfolgt auf Stampfmaschinen, auf denen in der Stunde 4–5000 Schachte mit den Eindrücken für die Öhre und mit den zum Einfädeln dienenden Furchen (Fuhren) versehen werden. Auf das Stampfen folgt das Lochen der beiden Öhre auf Lochmaschinen (Stechmaschinen) mit zwei kleinen Stempeln, denen die N. durch gekerbte Scheiben zugeführt werden. Zum Abschleifen des beim Stampfen entstandenen Grates steckt man etwa 100 Schachte auf einen haarnadelartig gebogenen Draht (Einreihen), wodurch die Grate nebeneinander in eine Fläche kommen. Darauf bricht man die ganze Partie Schachte in der Mitte durch und erhält auf den erwähnten zwei Drähten aufgefädelt zwei Reihen N., die man mit einer Zange mit sehr breitem Maul faßt und an den Kopfenden durch Abschleifen poliert. Darauf werden die N. gehärtet, indem man sie zu etwa 10,000 Stück auf Eisenblechtafeln in Glühöfen rotglühend macht, in Öl ablöscht und dann in siedendem Öl bis zur gelben oder blauen Farbe anläßt. Zum Anlassen benutzt man auch eine selbsttätige Blaumachmaschine, bei der ein rotierendes Rädchen die N. einzeln aufnimmt und durch eine so regulierte Gasflamme führt, daß sie beim Verlassen derselben bis zur richtigen Länge blau angelaufen sind. Zur Entfernung der Oxydhaut werden bis zu 500,000 Stück N. in grober Leinwand mit Schmirgel, Öl und weicher Seife zu einem zylindrischen Ballen vereinigt und 12–20 und mehr solcher Ballen in der Scheuermühle durch Hin- und Herrollen zwischen zwei Platten (Rollbank) geschauert. Die weitere Politur erhalten sie in einer drehenden Trommel und zuletzt den hohen Glanz durch wiederholtes Schauern und Schleifen auf Walzen, die mit Leder überzogen und wie die Schleifwalzen geformt sind. Vorher sucht man die verbogenen und zerbrochenen N. aus. Die N. mit rundem Ohr werden dann behufs des Glättens auf einer kleinen drehbankähnlichen Vorrichtung mit einem seinen reibahlenähnlichen Werkzeug von beiden Seiten her ausgerieben (Drillen). Zum Glätten der länglichen Öhre reiht man etwa 100–200 N. auf einen harten rauhen Stahldraht und bringt sie um diesen in hin und her gehende Schwingungen. Dann folgt oft ein Blaumachen der Öhre auf einer Blaumachmaschine. Viele N. werden dann im Ohr galvanisch vergoldet. Die fertigen N. werden gezählt und verpackt. Zum Abzählen benutzt man gewöhnlich ein Lineal mit so viel kleinen Querfurchen, als N. abgezählt werden sollen.[371] Man hält eine Partie N. zwischen den Fingern und streicht über das Lineal, wodurch in jeder Furche eine Nadel liegen bleibt. Nadelzählmaschinen, bei denen die Arbeiterin nur das Auflegen und Abnehmen der Nadelpapiere zu besorgen hat, bestehen der Hauptsache nach aus einer sich stetig drehenden Scheibe mit gewöhnlich 100 Kerben nach Art eines Zahnrades auf der Oberfläche und einem Rumpf, aus dem die Nadeln einzeln in die Kerben der Scheibe fallen, so daß bei einer Umdrehung der letztern 100 N. in die Papiere eingezählt werden. Man unterscheidet im Handel rundöhrige und langöhrige N. sowie schlanke, halbschlanke, kurze, mittlere, stumpfe und Strohnadeln. Die Stopf-, Pack-, Sattler-, Tapet-, Hut- und Schusternadeln werden wie die gewöhnlichen Nähnadeln erzeugt.

2) Stricknadeln werden wie Nähnadeln in einer Länge von 200–250 mm aus Stahldraht geschnitten, auf Maschinen gerichtet, an beiden Enden rundspitzig angeschliffen, gehärtet, angelassen und auf der Scheuermühle poliert.

3) Haarnadeln werden im Schachtmodell geschnitten, an beiden Enden zugespitzt und über einer Klammer zusammengebogen, bez. durch Pressen gekräuselt, zuletzt in heißen Pfannen blau angelassen oder durch Einbrennen mit Leinöl geschwärzt.

4) Stecknadeln bestehen aus Schaft und Kopf und werden aus Messing- oder Stahldraht gefertigt. Der Draht wird zunächst gerichtet, dann in Stücke von 5–7 m Länge geschnitten und darauf mit der Schrotschere in Schafte von der zwei-, drei- oder vierfachen Länge der N. zerschrotet. Das Spitzen geschieht durch den Spitzring, eine sich schnell drehende Scheibe aus Stahl, die nach Art der Feilen mit Hieben versehen ist, und an der die Schafte mit den Enden entlang geführt werden. Nach dem Spitzen werden die Schafte mit der Schrotschere weiter zerteilt und (wenn man lange Schafte verarbeitet) abermals gespitzt. Zu den Knöpfen und Köpfen nimmt man etwas feinern Draht (Knopfdraht) als zu den N., windet (»spinnt«) denselben mittels des Knopfrades über einen 600–900 mm langen Messingdraht von der Stärke der Nadelschafte zu schraubenartigen Röhrchen (Spindeln), deren Windungen dicht aneinander liegen, und zerschneidet diese mit der Knopfschere so, daß jeder Teil genau zwei Umgänge des gewundenen Drahtes erhält. Die Verbindung des Schaftes mit dem Kopf erfolgt, nachdem der Schaft in die Kopfspirale eingesteckt ist, zwischen zwei kleinen Kugelgesenken durch einige Schläge mittels eines kleinen Fallwerks (Wippe) unter gleichzeitigem Drehen der Nadel zur Rundung des Kopfes. Ein Arbeiter versieht auf diese Weise in einer Stunde 1000 bis 1200 N. mit Köpfen. Neuerdings macht man N. mit gestauchten Köpfen auf Maschinen, die, nach Art der Stampfmaschine gebaut, je nach Größe 120–200 Stück in der Minute erzeugen. Die fertigen N. werden mit Weinsteinlösung oder verdünnter Schwefelsäure gebeizt, durch Weißsieden verzinnt (s. Verzinnen) und zuletzt mit Kleie in einer Drehtrommel blank gerieben.

[Geschichtliches.] Die N. sind uralt und den zuerst verwendeten Dornen und Fischgräten, anfangs aus Horn, Knochen, Hirschgeweih, später aus Metall (Bronze, Kupfer, Gold, Eisen), nachgebildet. Vorgeschichtliche Funde haben N. aus Hirschhorn und Knochen geliefert, die auch schon mit einem Ohr versehen waren. Bei den ältern Bronzenadeln befindet sich das Ohr in der Mitte und erst bei den spätern an einem Ende der Nadel. N. aus Metall finden sich bei den alten Babyloniern, Griechen, Römern und Kelten und zwar vielfach aus schmiedbarem Metall (Eisen, Bronze). Man fertigte sie aus dünn gehämmerten Stäben durch Schleifen und Feilen, bildete den Kopf durch Anstauchen, Auflöten oder Annieten und das Ohr an den Nähnadeln durch Umbiegen des einen Endes. Durch die Erfindung des Drahtziehens, zunächst vor dem 11. Jahrh. zur Drahterzeugung für die Kettenpanzer, dann der Drahtmühle um die Mitte des 14. Jahrh., gewann besonders das Gewerbe der Nadler Bedeutung, welches 1370 in Nürnberg erscheint. Nähnadeln machte man aus zugespitztem Eisendraht, indem man ein Ohr in der Weise bill et:, daß man das Ende breit schlug, spaltete und dann wieder die entstandenen En den übereinander klopfte. Die Härte erhielten sie durch Zementieren. Wahrscheinlich noch im 14. Jahrh. entstanden die heutigen N. mit gelochten oder gebohrten Öhren. Erst im 19. Jahrh. erlitt diese Herstellungsmethode durch Einführung der selbsttätigen Maschinen zum Spitzen der Schachte, des Fallwerks und andrer Vorrichtungen zum Prägen und Lochen (Milward 1853; Friedrich Kaiser, Iserlohn 1867), Apparate zum mechanischen Einlegen in die Briefe (Pastor 1835, James 1853), insbes. durch Anwendung des Stahldrahts die weitgehende Umwandlung, die sie auszeichnet. Stecknadeln fabrizierte man aus zugespitzten Messingdrahtstiften, denen die Köpfe angestaucht wurden. Im 16. Jahrh. entstand die Bildung des Kopfes durch zwei schraubenartige Drahtwindungen, die mit kleinen Hämmern kugelförmig und festgeklopft wurden. Etwa um das Jahr 1680 erfand man zu dieser Arbeit die Wippe, welche die Leistung so erhöhte, daß ein Arbeiter damit täglich 10,000 N. anköpfen konnte. Im 18. Jahrh. kehrte man, um die vollständige Herstellung der N. auf einer Maschine zu ermöglichen, zum Teil auf die uralte Kopfbildung durch Stauchen zurück (Hunt 1817), die jetzt vorherrscht. Deutschland führte an Näh-, Stick-, Stopfnadeln, Nähmaschinennadeln ein 1903: 113 und 1904: 99 dz und führte aus 1903: 10,720 und 1904: 12,369 dz. Vgl. Büttgenbach, Die Nadel und ihre Entstehung (Aachen 1897).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 371-372.
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