Hirschhorn [1]

[371] Hirschhorn (Hirschgeweih, Cornu cervi), vom Edelhirsch und Damhirsch abstammend (s. Geweih). kommt ganz oder in Stücken in den Handel, läßt sich bohren und abdrehen und wird zu Kronleuchtern, Möbeln, allerlei Gebrauchsgegenständen, namentlich Messer- und Gabelheften, Stockknöpfen etc., auch, in dünne Scheiben geschnitten und gebleicht, zum Furnieren von Kästchen benutzt. Es gleicht in seiner Zusammensetzung den Knochen und enthält etwa 57 Proz. phosphorsauren, 7 Proz. kohlensauren Kalk und 36 Proz. leimgebende Substanz. Die beim Verarbeiten des Hirschhorns abfallenden Späne (geraspeltes H., Cornu cervi raspatum, Rasura cornu cervi) geben, anhaltend mit Wasser gekocht, eine Gallerte, die früher als stärkendes Nahrungsmittel benutzt wurde, aber keinen höhern Wert als jede andre Leimlösung hat. Bei trockner Destillation liefert H., außer brennbaren Gasen, das Hirschhornsalz (Sal volatile cornu cervi, Ammonium carbonicum pyro-oleosum), durch Hirschhornöl braun gefärbtes kohlensaures Ammoniak; ferner eine braune, wässerige Flüssigkeit (Hirschhorngeist, Hirschhornspiritus), der außer kohlensaurem Ammoniak noch essigsaures Ammoniak, Cyanammonium und Schwefelammonium enthält und früher wie das Salz medizinisch benutzt wurde. Das Hirschhornöl (Tieröl, Oleum animale foetidum, Oleum cornu cervi) stinkt heftig und besitzt sehr komplizierte Zusammensetzung. Diese Präparate werden jetzt kaum noch angewendet. Als Rückstand der trocknen Destillation bleibt das schwarz gebrannte H., das der Knochenkohle gleichwertig ist. Beim Luftzutritt erhitzt, liefert das H. weißgebranntes H. von der Zusammensetzung der Knochenasche. In China wird das Geweih des Altaihirsches, besonders aber das des gefleckten Hirsches als Heilmittel sehr hoch geschätzt. – Hirschhorngeräte (Hämmer, Harpunen, Pfriemen, Äxte etc.) aus Hirsch-, Elch- und Rehgehörn wurden schon in vorgeschichtlicher Zeit dargestellt. Die einfachste Art der Benutzung des festen und zähen Materials bestand darin, daß man den Hauptstamm oberhalb der Stirnsprosse dicht unter der ersten Gabelung abschnitt und als Stiel, die Stirnsprosse aber als spitzige Hacke benutzte. Die Enden der Zacken benutzte man bei der Herstellung von Flechtwerk aus stärkern Seilen und Stricken und bei der Seilerei, ferner in der Form von Keilen zum Spalten von Baumstämmen etc. Ein in den schweizerischen Pfahlbauten aufgefundenes Gerät besteht aus einer Hirschgeweihstange mit einer einzigen Sprosse, die beim Hinziehen des Werkzeugs über den Erdboden eine Ackerfurche bildete. Außerdem faßte man die Steinbeile manschettenförmig in kurze Stammenden, die in den eigentlichen Holzschaft eingesetzt wurden und das Aufspalten des letztern verhüten sollten. Ferner fertigte man Meißel, Pfriemen, Pfeilspitzen, Nadeln, Kämme und Harpunenspitzen aus den Stammenden. Gegenwärtig werden Hirschgeweihe von Jagdliebhabern vielfach gesammelt und zur Dekoration von Gemächern verwendet, wofür sich zahlreiche Beispiele in fürstlichen Schlössern (Reinhardsbrunn in Thüringen) finden. Schon Dürers Freund Pirckheimer war ein eifriger Sammler von Hirschgeweihen. Seit der Renaissancezeit wurde das H. sehr mannigfaltig zu Schnitzereien verarbeitet (vgl Abbildung bei Artikel »Leuchterweibchen«), und auch gegenwärtig findet es noch mannigfache Verwendung.[371]

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 371-372.
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