Stift [1]

[32] Stift (das Stift, Mehrzahl: die Stifter), mit Vermächtnissen und Rechten ausgestattete, zu kirchlichen Zwecken bestimmte und einer geistlichen Korporation angehörige Anstalt, mit allen dazugehörigen Personen, Gebäuden und Liegenschaften. Die ältesten Anstalten dieser Art sind die Klöster. Nach ihrem Vorbild nahmen in der Folge allmählich auch die Geistlichkeit an den bischöflichen Domkirchen (Domstifter, auch Erz- und Hochstifter), später auch diejenige an den nichtbischöflichen sogen. Kollegiatkirchen (daher Kollegiatstifter) eine mönchische Verfassung an. Die Mitglieder wohnten in einem Gebäude zusammen und wurden von dem Ertrag der Stiftsgüter unterhalten. So bildeten sich die Domkapitel, deren Glieder, die Canonici, sich Kapitularen, Dom-, Chor- oder Stiftsherren nannten. Die Säkularisation des Jahres 1803 hat die überlieferte Stiftsverfassung zerstört, die reichsunmittelbaren Stifter überhaupt beseitigt und die Güter der mittelbaren Stifter der Disposition der Landesherren überliefert. Der dadurch notwendig gewordene Neuaufbau hat die Domkapitel wiederhergestellt, aber selbstverständlich ihnen eine ausschließlich kirchliche Stellung angewiesen, deren Inhalt eine gewisse Mitwirkung bei Akten der bischöflichen Diözesanverwaltung, die vertretungsweise Ausübung derselben sede vacua und meistens auch das Recht der Bischofswahl bildet. An Stelle der ehemaligen Stiftseinkünfte sind meist die gemäß dem Vorbehalt des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 vom Staat gewährleisteten Präbenden getreten. Auch in den bei der Reformation protestantisch gewordenen Landesteilen haben sich Stifter bis in die Gegenwart erhalten, ohne jedoch einen organischen Bestandteil der evangelischen Kirchenverfassung zu bilden. Ihre Einkünfte werden meist als Präbenden verliehen, sind zum Teil auch mit gelehrten Stellen verbunden. In Preußen sind die evangelischen Domkapitel in Brandenburg, Merseburg und Naumburg sowie das Kollegiatstift Zeitz hervorzuheben. Vgl. Huller, Die juristische Persönlichkeit der Domkapitel etc. (Bamberg 1860); Schneider, Die bischöflichen Domkapitel (Mainz 1885); (Pinder) Die evangelischen Domkapitel in der Provinz Sachsen (Halle 1850). Außer den Erz-, Hoch- und Kollegiatstiftern gibt es auch noch weibliche Stifter, und zwar geistliche und weltliche. Erstere entstanden durch eine Vereinigung regulierter Chorfrauen und glichen den Klöstern; letztere wurden von den Ritterschaften oder einzelnen Adelsgeschlechtern oder den Landesherren gegründet. Bei ihnen legen die Kanonissinnen nur die Gelübde der Keuschheit und des Gehorsams gegen ihre Obern ab, können jedoch heiraten, wenn sie auf ihre Pfründe verzichten, und haben die Freiheit, die ihnen vom S. zufließenden Einkünfte zu verzehren, wo sie wollen. Nur die Pröpstin und Vorsteherin nebst einer geringen Zahl Kanonissinnen pflegen sich im Stiftsgebäude aufzuhalten. Auch die Pfründen dieser Stifter wußte der stiftsfähige Adel vielfach ausschließlich für seine Töchter zu erlangen, doch hängt häufig die Aufnahme auch von einer Einkaufssumme ab. Auch sind für die Töchter von verdienten Beamten Stiftsstellen geschaffen worden. Die Kanonissinnen dieser »freien weltadligen Damenstifter« werden jetzt gewöhnlich Stiftsdamen genannt, wie man jetzt überhaupt die Bezeichnung S. wohl auch für ähnliche Anstalten ohne irgend kirchlichen Zusammenhang gebraucht. In Preußen besteht ein Stiftspensionsfonds, der aus den Einkünften aufgehobener Damenstifter (1803, bez. 1810) errichtet wurde. Zuwendungen hieraus erhalten bedürftige Töchter und Witwen verstorbener Beamten und Offiziere unter der Bezeichnung Stiftspension verliehen. Vgl. Gritzner, Handbuch der Damenstifter etc. (Frankf. a. M. 1893).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 32.
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