Esel [1]

[104] Esel (Asinus Gray), Gruppe der Gattung Pferd (Equus), von den eigentlichen Pferden durch den nur an der Spitze mit langen Haaren besetzten Schwanz, die nur an den Vorderfüßen vorhandenen Kastanien, die kurze, aufrechte Mähne und die längern Ohren unterschieden. Der Halbesel (Dschiggetai, Kiang, Kulan, Equus [A.] hemionus Gray) ist 2 m lang, mit 40 cm langem Schwanz, 1,3–1,5 m hoch, zierlich gebaut, mit nicht sehr langen, aufrechten Ohren, etwas schwerem Kopf und kleinen Hufen. Das im Winter zottige Haar ist isabellfarben, an der Schnauze, der innern Seite der Hinterbeine und der hintern Seite der Vorderbeine weißlich; von der kurzen und weichhaarigen, dunkeln Mähne zieht sich ein braunschwarzer Streifen über den Rücken und den bis zur Mitte kahlen Schwanz. Er lebt truppweise in ganz Mittelasien, bevorzugt die Umgebung der Seen und Flüsse, schweift im Winter in großen Herden weit umher und sucht futterreiche Gegenden, um im Frühjahr auf die Sommerstände zurückzukehren. Er weidet auf den Hochgebirgen Nordtibets und auf den Wiesen am Kukunor. Jedem Trupp von 3–20 und mehr Tieren steht ein Hengst vor, der um seine Herrschaft mit andern Hengsten mutig kämpft. Der Halbesel wird des Fleisches und Felles halber gejagt, und sein Schwanz gilt als heilkräftig. Seine Zähmung ist den Mongolen nicht gelungen; aber in unsern Tiergärten hat man den Dschiggetai mit dem Esel, Quagga, Zebra und Pferd gekreuzt, und in Tibet benutzt man ihn zur Zucht von Maultieren, die fruchtbar sein sollen. Der wilde E. (Onager, Gorkur, E. [A.] Onager Briss.) ist etwas kleiner als der vorige, höher und seiner gebaut als der zahme E., grau silberglänzend, an der Seite des Halses, Rumpfes und der Hüften isabellfarben, mit weißen Streifen auf dem Rücken und an der Hinterseite der Keulen und braunen Riemen. Er findet sich von Syrien über Arabien und Persien bis Indien. In seiner Lebensweise erinnert er an den vorigen. Von seiner großen Schnelligkeit spricht schon Xenophon, der ihn in der Nähe des Euphrats traf. Nach Strabon und Plinius lebte er auch in Kleinasien. Kirgisen, Perser, Araber jagen ihn seines Fleisches halber, und die Römer schätzten die Füllen (lalisiones) als Leckerbissen. Das Fell verarbeitet man auf Chagrin und andres Leder. Die Perser fangen die wilden E. lebendig in Wolfsgruben und verkaufen sie in die Stutereien, wo man sie zähmt und die prächtigen E. zieht, die man in Persien, Arabien und Ägypten reitet und tener bezahlt. Die Stammform unsers Esels lebt in zwei Unterarten in Afrika. Der Steppenesel (E. [A.] africanus, A. taeniopus Heugl., s. Tafel »Einhufer«, Fig. 2) ist groß, schlank, hübsch gebaut, doch mehr als die vorigen vom Habitus des gezähmten Esels, aschgrau oder isabellfarben, an der Unterseite heller, mit deutlichem Schulterkreuz und einigen mehr oder weniger bemerkbaren Querstreifen an der Außenseite des Hinterfußes. Die Mähne ist ziemlich schwach und kurz, die Quaste am Schwanz aber stark und lang. Das Tier findet sich wahrscheinlich in allen Steppenländern östlich vom Nil, häufig um die Atbara und in den Barka-Ebenen, bis an die Küsten des Roten Meeres. Jeder Hengst führt eine Herde von 10–15 Stuten; er ist ausnehmend scheu und vorsichtig; in der Jugend eingefangen, soll er sich leicht zähmen lassen. Der Somalesel (E. [A] somalicus) des Somallandes ist größer als der vorige und hat eine längere, hängende Mähne. Er ist grau mit undeutlichem Rückenstreifen, ohne Schulterkreuz, aber mit zahlreichen deutlichen schwarzen Querbinden an den Beinen. Der zahme E. (A. domesticus L.) stammt von einem der genannten Wildesel; von alters her hat man den Steppenesel und den Onager gezähmt und zur Veredelung der Eselzucht benutzt. Dies geschieht noch jetzt in Persien und Arabien, während der E. bei uns durch Vernachlässigung sehr herabgekommen ist. Er ist in Persien und Ägypten ein schönes, lebendiges, fleißiges, ausdauerndes Geschöpf und wird als Haustier sehr vielseitig ausgenutzt. Man hält eine große Nasse, wohl aus der Kreuzung mit dem Onager hervorgegangen, als Reittier, die teurer bezahlt wird als das Pferd, und eine[104] kleinere zum Lasttragen. Auch im Sudân ist der E. noch Haustier, und in Südamerika kommt er verwildert vor wie ehemals auch auf Sardinien und einigen griechischen Inseln. Er liebt Trockenheit und erträgt Feuchtigkeit und Kälte weniger gut als das Pferd. Sein Schritt ist sehr sicher, er wird als Last- und Zugtier, auch wohl als Reittier gebraucht. Der E. bevorzugt trockne und salzige Kräuter, Hafer und Klee, ist aber sehr genügsam und verschmäht selbst Disteln nicht. Er säuft nur ganz reines Wasser. Seine Sinne sind hoch entwickelt, besonders das Gehör, er ist listig, gutmütig, oft aber auch tückisch und störrig. Gegen Prügel ist er wenig empfindlich. Eine Anhänglichkeit an seinen Wärter wie das Pferd zeigt er niemals. Die Stimme ist ein langgedehntes Y-a, das vorzüglich durch zwei eigne kleine Höhlungen am Luftröhrenkopf bewirkt wird. Krank wird er nicht leicht, er kann über 50 Jahre alt werden. Die Roßzeit fällt bei uns in die letzten Frühlings- und ersten Sommermonate, und nach 290 Tagen wirft die Eselin ein Junges, das nach 5–6 Monaten entwöhnt werden kann. Das Fleisch des Esels wird in südlichen Gegenden gegessen. Die Haut gibt zähes Leder, das für Trommeln geschätzt wird; auch wird Pergament daraus verfertigt. Über die Milch des Esels s. Milch. Durch Kreuzung des Esels mit Pferden entstehen das Maultier und der Maulesel (s.d.). Vgl. Zürn, Der E. und seine Bastarde (Stuttg. 1900); Schlieben, Der E. und der Mensch (kulturgeschichtlich, Wiesbad. 1894).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 104-105.
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