Unfruchtbarkeit

[894] Unfruchtbarkeit (Sterilität), beim Weibe die Unfähigkeit, ein Kind zu empfangen, beruht bei U. im engern Sinne darauf, daß keine keimfähigen Eier hervorgebracht werden, wie es in vorgerückten Jahren (nach Aufhören der Menstruation) oder bei angeborner oder erworbener Verbildung der innern Geschlechtsteile vorkommt. Von diesen Fällen, die eine Behandlung ausschließen, sind andre zu unterscheiden, bei denen es sich um Unbefruchtbarkeit unter Bildung keimfähiger Eier handelt. So verhindert der Scheidenkrampf (Vaginismus, s. d.) die Vollziehung des Beischlafes, oder er führt in mildern Formen zur sofortigen Wiederausstoßung des Samens. Bei Verwachsung oder zu geringer Größe des äußern Muttermundes (der im letztern Fall durch die normale Absonderung verschlossen wird) vermögen die Samenkörperchen nicht in die Gebärmutter einzudringen. Geschwülste in der letztern verlegen den Samenkörperchen den weitern Weg oder verhindern das Ansetzen des befruchteten Eies oder führen doch später zum Abort. In andern Fällen verhindert eine (meist durch Tripperansteckung[894] erworbene) Entzündung der Gebärmutterschleimhaut das Ansetzen des Eies. Auch kann diese Entzündung auf die Eileiter übergreifen und eine solche Lagenveränderung derselben und der Eierstöcke hervorbringen, daß die Befruchtung des Eies unmöglich wird oder, falls sie erfolgt, Extrauterinschwangerschaft entsteht. Auch Knickung und Lagenveränderung der Gebärmutter kommen vielfach in Betracht. In allen diesen Fällen kann ärztliche Behandlung die U. oft beseitigen. Beim Mann beruht die U. auf Impotenz (s. d.), auf dem Fehlen von Samenkörperchen (Azoospermie, s. d.) oder Samen (Aspermie). Im letztern Fall wird normaler Same gebildet, derselbe gelangt aber, wenn infolge von Entzündungen nach Tripper die Samenstränge und Nebenhoden beiderseits verlegt oder narbig verwachsen sind, in die Blase, oder die Ejakulation wird durch Verengerung der Harnröhre verhindert. Auch kommen Fisteln vor, durch die der Same abläuft. U. wird vom Arzt künstlich herbeigeführt, wenn die Entwickelung eines Fötus gefährlich sein kann, z. B. wenn ein stark verengtes Becken eine Geburt unmöglich macht, oder wenn eine Frau wegen Neigung zu Osteomalazie (Knochenerweichung) oder wegen schwererer Lungentuberkulose nicht schwanger werden darf. Die sicherste Methode ist die der Kastration, d. h. der operativen Entfernung der Eierstöcke. Unsicherer ist die fakultative U., bei der vorübergehend durch Einbringung dichtschließender Gummiapparate (von Mensinga 1878 erfundenes Okklusivpessar), die das Eindringen der Samenkörperchen in die Gebärmutter verhindern, oder von samentötenden Mitteln in die Scheide die Empfängnis verhindert wird. Die fakultative U. wird vielfach auch zur Minderung des Kindersegens (Zweikindersystem) angewandt. Vgl. Beigel, Pathologische Anatomie der weiblichen U. (Braunschw. 1878); Mayrhofer, Sterilität etc. (Stuttg. 1878–82); Duncan, Sterilität bei Frauen (deutsch von Hahn, Berl. 1884); P. Müller, Die U. der Ehe (Stuttg. 1885); Kisch, Die Sterilität des Weibes 42. Aufl., Wien 1895); Finger, Die Pathologie und Therapie der Sterilität beim Manne (Leipz. 1898); Schenk, Die Pathologie und Therapie der U. des Weibes (Berl. 1903); Mensinga, Fakultative Sterilität, 2. Teil: Das Pessarium occlusivum und dessen Applikation (7. Aufl., Leipz. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 894-895.
Lizenz:
Faksimiles:
894 | 895
Kategorien: