Methōde

[709] Methōde (griech.methŏdos, »Weg« zu einem Ziele, Verfahren), im wissenschaftlichen Sinne: nach Grundsätzen geregeltes Verfahren zur Erreichung bestimmter Zwecke; demnach die Kunst, eine Reihe von Gedanken nach gewissen Grundsätzen so zu ordnen, daß dadurch entweder neue Erkenntnisse gewonnen, oder gewonnene Erkenntnisse andern in überzeugender Weise mitgeteilt werden. Hierfür gibt es zwei entgegengesetzte Wege, deren einer von allgemeinen Wahrheiten, Gesetzen und Begriffen folgernd zum Einzelnen und Besondern hinableitet (Deduktion), während der andre umgekehrt von der Beobachtung des Einzelnen zur Erkenntnis des Allgemeinen aufleitet (Induktion, Anagoge). Diese beiden Wege unterschied anscheinend zuerst Sokrates; Platon und besonders Aristoteles bildeten ihre Erkenntnis weiter aus. Durch Eukleides, den Mathematiker, wurden die beiden Methoden auch auf die Mathematik angewendet. Er bezeichnete sie zuerst mit den seither allgemein gewordenen Namen der Synthesis (compositio, Aufbau, Deduktion) und Analysis (resolutio, Auflösung, Induktion). Da Eukleides in seinen Elementen der Geometrie vorzugsweise die synthetische M. (Deduktion) anwandte, wurde diese später auch die geometrische M. genannt. Sie schreitet von allgemein anerkannten Grundsätzen und Begriffen (Axiomen und Definitionen) zu Ausstellung und Beweis von Lehrsätzen (Propositionen) fort, aus denen endlich praktisch wichtige Folgerungen gezogen werden. Diese geometrische M. galt bis ins 17. Jahrh. allein als das eigentlich wissenschaftliche Verfahren, wie denn noch Spinoza nach ihr seine Ethik anordnete. Seit Bacon und Descartes, denen die italienische Naturphilosophie und namentlich die neuere Astronomie vorgearbeitet hatte, wurde demgegenüber die Induktion (Analysis) besonders bevorzugt, indem die Überzeugung immer mehr durchdrang, daß alles menschliche Wissen auf sinnlicher Wahrnehmung ruhe und analysierender Betrachtung der einzelnen Gegenstände und Erscheinungen sein Dasein verdanke. Auf der sorgsamern Ausbildung dieser M. beruht vorzüglich der großartige Aufschwung der Naturwissenschaften in den letzten Jahrhunderten, sie ist aber allen Zweigen des menschlichen Wissens zugute gekommen. Wenn der Sensualismus des 18. Jahrhunderts, zumal in England und Frankreich, darin zu weit ging, daß er nur noch die Analysis gelten lassen wollte, so versuchte die sogen. absolute Philosophie in Deutschland (Fichte, Schelling, Hegel), anknüpfend an gewisse Äußerungen Kants, die synthetische M. unter dem Namen Konstruktionsmethode (bei Kant Architektonik) wieder zur Alleinherrschaft zu bringen, und das mit der einseitigen Überspannung, als könnte aus einem allgemeinsten Begriff ohne Hilfe der Erfahrung (a priori) das gesamte System der menschlichen Erkenntnis entwickelt oder konstruiert werden. Die kurze Herrschaft dieser Philosophie ist hauptsächlich an dem Einspruch der Naturforschung gegen ihre anmaßliche Selbsttäuschung gescheitert. In der Gegenwart erkennt man ziemlich allgemein mit Goethe an, daß »Analysis und Synthesis, Induktion und Deduktion, beide zusammen, wie Aus- und Einatmen, das Leben der Wissenschaften ausmachen«. Zunächst muß die Erkenntnis von der zergliedernden und vergleichenden Betrachtung des Einzelnen ausgehen. In der Hypothese wird dann der Versuch gemacht, von der Induktion zur Deduktion überzugehen. Wird aus der Hypothese durch praktische Erprobung ein anerkanntes Gesetz, so kann von hier aus synthetisch wieder zum Einzelnen fortgeschritten werden. Treffend nennt man seit Kant die synthetische M. auch das progressive, die analytische das regressive Verfahren. Seit Descartes ist ferner die letztere oft als M. der Erfindung (heuristische M.) bezeichnet worden. – Die genetische M., nach der man eine natürliche Bildung oder eine organische Entwickelung in ihrem allmählichen Entstehen vom Ursprung an beobachtend begleitet, ist jenen beiden Methoden nicht nebengeordnet, insofern sie unmittelbar nur bei der Beobachtung und Darstellung des Tatsächlichen Anwendung findet und an sich nur der Kenntnis, nicht der tiefer eindringenden Erkenntnis der Dinge dient. Ihr verwandt ist die pragmatische M. der Geschichtschreibung, die das Tatsächliche in seinem natürlichen Zusammenhang der Reihe nach vorführt. Dialektische M. findet Anwendung bei Erörterung von Problemen, indem man nach Art eines Zwiegespräches (Dialoges) für beide Glieder eines anscheinenden Widerspruches das Für und Wider abwägt. Auch die von Kant begründete kritische M. ist nicht eine dritte neben Analysis und Synthesis, sondern eine unter Anwendung beider angestellte Untersuchung[709] »nicht der Fakta der Vernunft, sondern der Vernunft selbst nach ihrem ganzen Vermögen und Tauglichkeit zu reinen Erkenntnissen« oder Erkenntniskritik. Um richtige Anwendung von Analysis und Synthesis handelt es sich ebenfalls bei der Frage nach der eigentümlichen M. einer bestimmten Wissenschaft oder eines einzelnen Forschers; s. Methodik, Lehrform, Didaktik etc. Vgl. Eisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe (2. Aufl., Berl. 1904, unter »Methode« etc.); Lotze, Logik (2. Aufl., Leipz. 1880; 3. Buch: Vom Erkennen) und Literatur bei Artikel »Logik«.

In der Mathematik unterscheidet man außer den schon erwähnten allgemeinen noch eine Menge besonderer Methoden, ja die ganze Mathematik ist so recht eigentlich eine Wissenschaft der Methoden, da es bei ihr, wie schon Leibniz betont hat, nicht sowohl auf die einzelnen Resultate ankommt, als vielmehr auf die Methoden, d. h. auf die Mittel und Wege, durch die man jedesmal eine ganze Klasse von Aufgaben zu gleicher Zeit lösen kann. Unter der großen Zahl der mathematischen Methoden nennen wir hier nur einige besonders wichtige: die Exhaustionsmethode ist ein von den Geometern des Altertums, namentlich von Archimedes ausgebildetes Verfahren zur Berechnung von krummlinigen ebenen Figuren, krummer Oberflächen und Körperräumen; sie ist gleichbedeutend mit dem heutigen Grenzverfahren (s. Grenze). Die von Descartes angegebene M. der unbestimmten Koeffizienten dient zur Entwickelung von Funktionen in Potenzreihen; die Koeffizienten der Reihe werden zunächst unbestimmt gelassen, und aus den Eigenschaften der Funktion leitet man Gleichungen ab, welche die Koeffizienten zu bestimmen gestatten. Über die M. der kleinsten Quadrate s. Wahrscheinlichkeit. Die äußerst mannigfaltigen Konstruktionsmethoden der Geometrie kommen im wesentlichen auf drei Arten hinaus: 1) die direkte, bei der man die gesuchten Punkte durch gerade Linien, Kreise etc. (durch sogen. geometrische Örter) bestimmt, auf denen sie liegen, und die man konstruieren kann; 2) die indirekte, bei der man sich die gesuchte Figur gegeben denkt und durch Ziehen von Hilfslinien eine andre Figur gewinnt, die aus den bekannten Stücken direkt konstruierbar ist, und aus der man dann die gesuchte ableiten kann; 3) die rechnerische, bei der man zunächst Formeln ableitet, welche die unbekannten Stücke der gesuchten Figur durch die bekannten ausdrücken, und diese Formeln so umgestaltet, daß sie aus lauter konstruierbaren Ausdrücken zusammengesetzt sind. Solch ein konstruierbarer Ausdruck ist z. B. x = √(a2 + b2), wo die Unbekannte x die Hypotenuse des rechtwinkligen Dreiecks mit den Katheten a und b darstellt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 709-710.
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