Kreis [1]

[624] Kreis (lat. Circulus, daher auch veraltet Circul, Zirkel), in der Geometrie eine ebene, geschlossene (d. h. in sich zurücklaufende) krumme Linie, deren sämtliche Punkte von einem festen Punkte der Ebene (dem Mittelpunkt oder Zentrum des Kreises) gleichweit entfernt sind (gleichen Abstand haben). Häufig bezeichnet man auch die von dieser Linie eingeschlossene ebene Fläche als K. (Kreisfläche) und nennt dann die Linie Kreislinie oder Umfang (Peripherie) des Kreises. Der Abstand des Mittelpunktes von den Punkten des Umfanges ist der Halbmesser (lat. Radius) des Kreises, man nennt aber auch jede der gleichlangen Geraden, die den Mittelpunkt mit den Punkten des Umfanges verbinden, einen Halbmesser (Radius, in der Mehrzahl: Radien). Um einen K. zu zeichnen, dessen Mittelpunkt, Ebene und Halbmesser gegeben sind, bedient man sich des Zirkels. Man macht die Öffnung des Zirkels so groß, daß der Abstand AB der beiden Zirkelspitzen A und B gerade gleich r wird, setzt dann die eine Spitze A auf den gegebenen Mittelpunkt M und führt die andre Spitze B unter Festhaltung der Zirkelöffnung so lange in der Ebene herum, bis man eine geschlossene Linie erhält. Man nennt das: Um M mit dem Halbmesser r einen K. beschreiben. Da es hierbei gleichgültig ist, in welchem Punkte des Kreises die Spitze B zuerst auftrifft, so ändert sich der K. nicht, wenn er um seinen [624] Mittelpunkt gedreht wird, er ist in sich verschiebbar wie die gerade Linie. Unter den Kegelschnitten ist der K. der einzige, der diese Eigenschaft besitzt. Kreise mit demselben Mittelpunkt heißen konzentrisch, solche mit verschiedenen Mittelpunkten exzentrisch. Eine gerade Linie schneidet einen K. entweder gar nicht oder in höchstens zwei Punkten; in letzterm Falle heißt sie Sekante, das zwischen den beiden Schnittpunkten der Sekante liegende Stück der Sekante heißt Sehne (chorda), und jedes der beiden Stücke, in welche die Kreislinie durch die Sekante zerlegt wird, heißt ein zu der Sehne gehöriger Kreisbogen oder kurz Bogen (arcus). Jede durch den Mittelpunkt gehende Sehne ist doppelt so groß wie der Halbmesser und heißt ein Durchmesser (Diameter) des Kreises; sie zerlegt den K. (sowohl die Kreislinie als die Kreisfläche) in zwei gleiche Halbkreise. Das Stück der Kreisfläche zwischen einer Sehne und einem zugehörigen Bogen heißt Kreisabschnitt (Segment), das Stück zwischen einem Kreisbogen und den nach dessen Endpunkten gezogenen Halbmessern heißt Kreisausschnitt (Sektor). Diese Bezeichnungen finden auch bei andern Kurven sinngemäße Anwendung. Wenn man die Sekante, die den K. in den Punkten P und Q trifft, um P herumdreht, so steht sie schließlich einmal auf dem durch P gehenden Durchmesser senkrecht, in dieser Lage fällt ihr zweiter Schnittpunkt mit dem K. ebenfalls in den Punkt P, die zugehörige Sehne ist verschwunden, und die Sekante ist die zu P gehörige Tangente (s. d.) des Kreises geworden, die den K. in P (dem Berührungspunkt) berührt.

Fig. 1.
Fig. 1.

Von jedem außerhalb der Kreisfläche liegenden Punkte der Ebene kann man zwei Tangenten an den K. ziehen. Jeder Winkel, dessen Schenkel zwei Halbmesser sind, heißt ein Zentriwinkel, er »steht« auf dem Bogen, der die Endpunkte der beiden Halbmesser innerhalb der Winkelöffnung verbindet. Ein Winkel, dessen Scheitel auf der Peripherie liegt, heißt Peripheriewinkel, jeder seiner Schenkel hat außer dem Scheitel noch einen Punkt mit dem K. gemein und der Peripheriewinkel »steht« auf dem Bogen, der diese beiden Punkte verbindet, aber den Scheitel nicht enthält (Fig. 1; der spitze Zentriwinkel AMB und der Peripheriewinkel APB stehen auf dem Bogen AQB, der überstumpfe Zentriwinkel AMB und der Peripheriewinkel AQB auf dem Bogen APB). Jeder Peripheriewinkel ist halb so groß wie der Zentriwinkel, der auf demselben Bogen steht, daher sind alle Peripheriewinkel eines Kreises, die auf gleichen Bogen stehen, einander gleich. Insbesondere ist jeder Peripheriewinkel, der auf einem Halbkreise steht, ein Rechter. Da je zwei Halbmesser mit der ihre Endpunkte verbindenden Sehne ein gleichschenkliges Dreieck bilden, so geht das in der Mitte einer Sehne auf dieser errichtete Lot stets durch den Mittelpunkt des Kreises. Daraus folgt, daß durch zwei Punkte stets unendlich viele Kreise gehen; aber durch drei Punkte A, B, C, die nicht in gerader Linie liegen, geht stets ein und nur ein K., dessen Mittelpunkt man leicht findet, wenn man bedenkt, daß AB und BC Sehnen sind. Da zwei Kreise sich voneinander nur durch ihre Lage und durch die Länge ihrer Halbmesser unterscheiden, so sind sie immer ähnlich und ähnlich liegend (s. Ähnlichkeit). Die Gerade durch ihre Mittelpunkte heißt ihre Zentrale oder Ähnlichkeitsachse, auf dieser liegen der äußere und der innere Ähnlichkeitspunkt so, daß sich ihre Abstände von den Mittelpunkten verhalten wie die Halbmesser der beiden Kreise; von den Ähnlichkeitspunkten aus gehen an die Kreise die gemeinschaftlichen innern und äußern Tangenten, von ihnen aus erscheinen daher die Kreise unter gleichem Winkel. Die Ähnlichkeitspunkte spielen eine große Rolle bei der Lösung der Apollonischen Aufgabe: einen K. zu konstruieren, der drei gegebene Kreise berührt.

Die Beziehungen, die zwischen geraden Linien und Kreisen bestehen können, und die Aufgaben, die sich durch Ziehen von geraden Linien und durch Zeichnen von Kreisen lösen lassen (die mit Lineal und Zirkel lösbaren Aufgaben), sind schon in den Elementen des Eukleides ausführlich entwickelt und bilden den Inhalt der elementaren Geometrie der Ebene (der elementaren Planimetrie). Aber schon der K. gibt zu Aufgaben Anlaß, die so nahe liegen und so wichtig sind, daß sich seit den ältesten Zeiten die meisten Mathematiker von Fach, ja sogar viele Nichtmathematiker damit beschäftigt haben, die aber doch nicht mit Lineal und Zirkel lösbar sind. Wir meinen die beiden Aufgaben: die Länge der Kreislinie und den Flächeninhalt der Kreisfläche zu messen. Die erste nennt man die Rektifikation (Gerademachung) des Kreises, weil sie gelöst ist, sobald man eine gerade Linie zeichnen kann, deren Länge gleich der Länge des Kreisumfanges ist. Die zweite ist unter dem Namen Quadratur des Zirkels bekannt und erfordert das Zeichnen eines Quadrates, dessen Flächeninhalt gleich dem der Kreisfläche ist. Zahllos sind die Versuche, die man gemacht hat, diese Aufgaben mit Zirkel und Lineal zu lösen, und noch heute tauchen immer neue Versuche dieser Art auf, aber schon im 18. Jahrh. kamen hervorragende Mathematiker, wie z. B. Lambert, zu der Ansicht, daß die Lösung mit Zirkel und Lineal gar nicht möglich sei, und die Pariser Akademie beschloß bereits 1773, Versuche dieser Art grundsätzlich nicht mehr zu prüfen. Erst die Hilfsmittel der neuern Analysis haben es jedoch ermöglicht, den Beweis zu führen, daß jene Aufgaben mit Zirkel und Lineal gar nicht lösbar sind, und zwar war es Lindemann, der, auf ältere Untersuchungen von Liouville und Hermite gestützt, den Beweis führte (vgl. »Mathematische Annalen«, Bd. 20, 1882). Eine hübsche Übersicht über die Entwickelung der ganzen Frage von Archimedes bis auf Legendre gibt Rudio, Geschichte des Problems von der Quadratur des Zirkels (Leipz. 1892). Vgl. auch Klein, Vorträge über Fragen der Elementargeometrie (Leipz. 1895). Dagegen sind die Aufgaben natürlich in dem Sinne lösbar, daß man Kreisumfang und Kreisinhalt mit jeder beliebigen Genauigkeit berechnen und, wenn man will, auch konstruieren kann. Der erste, der einen Weg dazu angab, war Archimedes (s. d.) in seiner »Κυκλου μέτρησις« (»Kreismessung«). Er bemerkte, daß die Kreisfläche denselben Inhalt hat wie ein geradliniges Dreieck, dessen Grundlinie der Kreisumfang und dessen Höhe der Kreishalbmesser ist, daß sich also die Quadratur auf die Rektifikation zurückführen läßt. Bezeichnet man den Kreisumfang mit s, den Halbmesser mit r, so ist also der Inhalt der Kreisfläche gleich der Fläche dieses Dreiecks, also gleich 1/2 rs. Nennt man ferner π die Zahl, mit der man das Quadrat r2 des Halbmessers multiplizieren muß, um den Kreisinhalt zu bekommen, so ist r2π= 1/2 rs, mithin[625] s = 2rπ. Um die Berechnung dieser Zahl, für die der Buchstabe π als Zeichen allgemein angenommen ist, handelt es sich also. Archimedes benutzt dazu die regelmäßigen Polygone, deren Ecken auf dem Kreise liegen (die eingeschriebenen Polygone), und die, deren Seiten den K. berühren (die umgeschriebenen); der Umfang eines eingeschriebenen regelmäßigen n-Ecks ist nämlich stets kleiner als der Kreisumfang und dieser wieder kleiner als der Umfang des umgeschriebenen n-Ecks. Da nun der Umfang des eingeschriebenen (umgeschriebenen) regelmäßigen 2n-Ecks stets größer (kleiner) ist als der des eingeschriebenen (umgeschriebenen) n-Ecks, und da sich der Umfang des 211-Ecks immer aus dem des n-Ecks berechnen läßt, da endlich die Umfänge des eingeschriebenen und des umgeschriebenen n-Ecks sich voneinander um so weniger unterscheiden, je größer n ist, so kann man den Kreisumfang in immer engere und engere Grenzen einschließen und also auch π so genau ermitteln, wie man will. Archimedes selbst fand aus dem eingeschriebenen und dem umgeschriebenen 96-Eck, daß π größer ist als 310/71 und kleiner als 31/3. Der zweite Wert liefert auf vier Dezimalstellen berechnet: π=3,1428 und ist für praktische Zwecke meist ausreichend. Auf dem Wege des Archimedes ging am weitesten Ludolf van Ceulen (s. d. 1), der aus dem 1,073,741,284-Eck π bis auf 35 Stellen berechnete, weshalb π häufig auch die Ludolfsche Zahl genannt wird. Die Erfindung der Differential- und Integralrechnung lieferte Methoden, die π ohne große Mühe noch viel genauer zu berechnen erlauben. So gingen Vega bis auf 140 Dezimalen, Dase berechnete in zwei Monaten 200, Richter in Elbing ging bis auf 500 und Shanks sogar bis auf 700 Dezimalen. Doch hat diese Genauigkeit eigentlich keinen Zweck, mit dem Werte π=3,14159265 reicht man überall aus. Die Zahl π ist zweifellos die merkwürdigste Zahl, welche die Mathematik kennt, nur die Zahl e (s. Exponentialfunktion) läßt sich an Wichtigkeit mit ihr vergleichen. Daß π irrational (s. d.) ist, bewies Lambert 1766, es ist aber sogar transzendent, d. h., es genügt keiner algebraischen Gleichung (s. d.), deren Koeffizienten ganze Zahlen sind. Auf dieser von Lindemann bewiesenen Tatsache beruht die Unmöglichkeit, π mit Zirkel und Lineal zu konstruieren. Dagegen gibt es andre Kurven, die, wenn man sie als bekannt voraussetzt, π zu konstruieren erlauben; im Altertum nannte man eine Kurve dieser Art Quadratrix: am bekanntesten ist die Quadratrix des Dinostratos (um 350 v. Chr.). Endlich hat man zahlreiche Konstruktionen ersonnen, die den Kreisumfang oder Kreisinhalt angenähert liefern.

Fig. 2.
Fig. 2.

Für die Praxis ist die folgende, 1685 von dem Jesuiten Kochanski angegebene ausreichend, die dem Näherungswerte 3,141533 entspricht: Um den Endpunkt A des Durchmessers AB (Figur 2) beschreibe man mit dem Zirkel einen Kreisbogen, der durch den Mittelpunkt O geht und den K. in C schneidet. Um C beschreibe man einen durch A gehenden Kreisbogen, der den ersten Bogen in D trifft,- und ziehe die Gerade OD. In A ziehe man (senkrecht zu AB) die Tangente an den K., die OD in E trifft, und mache auf ihr EF gleich dem dreifachen Halbmesser des Kreises, dann ist die Gerade FB nahezu gleich dem halben Umfang. Um die Länge eines Bogens AD (Fig. 3) geradlinig darzustellen, ziehe man in A die Tangente AT an den K., verlängere den Durchmesser AB um ein Stück BC gleich dem Halbmesser und ziehe die Gerade CD, welche die Tangente AT in E schneidet, dann ist AE sehr nahe gleich dem Bogen AD, solange der zugehörige Zentriwinkel AOD nicht 30° übersteigt.

Fig. 3.
Fig. 3.

Diese Konstruktion rührt von Snellius her, den Grad ihrer Genauigkeit hat erst Huygens bestimmt. – Die wichtigsten Formeln für einen K. vom Halbmesser r sind: 1) Kreisfläche r2π, 2) Kreisumfang 2rπ, 3) der zu einem Zentriwinkel von α Grad gehörige Kreisbogen 1/180rπα und der zugehörige Sektor 1/360r2πα. Genaueres in den Lehrbüchern der Elementargeometrie. Vgl. auch noch M. Cantor, Vorlesungen über Geschichte der Mathematik, Bd. 1 u. 2 (2. Aufl., Leipz. 1894 u. 1900); Klügel, Mathematisches Wörterbuch, Bd. 1 (das. 1803); Schubert, Die Quadratur des Zirkels in berufenen und unberufenen Köpfen (Hamb. 1889).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 624-626.
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