Gleichung

[21] Gleichung, die mathematische Bezeichnung für die Aussage, daß zwei Größen, etwa A und B, einander gleich sind, daß also jede von ihnen die andre ersetzen kann, in Zeichen: A = B. Man nennt A und B die beiden Seiten der G., und wenn A und B aus andern Größen durch Addition und Subtraktion[21] zusammengesetzt sind, so heißen diese Glieder der G. Eine G., die immer richtig bleibt, welche Werte man auch den darin vorkommenden Größen erteilt, heißt identisch, wie z. B. (a-b)2 = a2-2ab+b2; man ersetzt hier zuweilen das Zeichen = durch ≡, gelesen: identisch gleich. Jede nicht identische G. stellt eine Bedingung dar, der die in ihr vorkommenden Größen genügen müssen, wenn die G. richtig sein soll; sie ist, wie man sagt, eine Bedingungs- oder Bestimmungsgleichung für die in ihr enthaltenen Größen. Die einfachste Form einer solchen Bedingung ist die, daß eine der Größen gleich sein soll einem aus den übrigen gebildeten Ausdruck, wie z. B. c = a2-b2, wo man a und b beliebig wählen und dann den zugehörigen Wert von c berechnen kann. Man muß daher bei jeder G. versuchen, sie auf diese Form zu bringen, d.h. eine der in ihr vorkommenden Größen durch die übrigen auszudrücken. Die Größe, die man so ausdrücken will, sieht man als unbekannt an und bezeichnet sie meist mit x, die übrigen Größen sind entweder gegeben, oder man betrachtet sie als willkürlich wählbar. Gelingt es, die Größe x durch die übrigen auszudrücken, so sagt man: die G. ist nach der Unbekannten x aufgelöst. Gewöhnlich ist von vornherein bestimmt, welche der vorkommenden Größen als unbekannt angesehen werden soll; man redet dann von einer G. mit einer Unbekannten. Hat man mehrere Gleichungen, so muß, da im allgemeinen jede G. zur Bestimmung einer Unbekannten ausreicht, die Zahl n der Unbekannten mindestens ebenso groß sein, wie die Zahl m der Gleichungen, ist n größer als m, so kann man n-m von den Unbekannten als willkürlich ansehen und die übrigen m vermöge der m-Gleichungen durch sie ausdrücken.

Um eine G., die nicht schon in aufgelöster Form vorliegt, nach der Unbekannten aufzulösen, muß man sie umgestalten. Man darf zu diesem Zweck auf beiden Seiten dieselbe Größe addieren oder subtrahieren und kann daher jedes Glied auf die andre Seite bringen, wenn man ihm das entgegengesetzte Vorzeichen gibt; für A = B kann man so schreiben: A+C = B+C, wo C ganz beliebig ist, also insbes.: A-B = B-B = 0. Ferner darf man jede Seite der G. mit einem Faktor multiplizieren oder dividieren, vorausgesetzt, daß diese beiden Faktoren einander gleich, aber nicht gleich Null sind. Z.B. darf man bei 2x = 10 mit 2 dividieren und erhält: x = 5; bei 2/x = 1 darf man beide Seiten mit x multiplizieren, da der Wert x = 0 offenbar ausgeschlossen ist, und erhält: x = 2; bei √(x-1) = 2 darf man links mit √(x-1) und rechts mit 2 multiplizieren oder kürzer, man darf beide Seiten der G. ins Quadrat erheben: x-1 = 4, d.h. x = 5.

Jede G., die aus einer oder mehreren Unbekannten x, y, z ... und aus bekannten Größen, z. B. aus bestimmten Zahlen oder aus sogen. unbestimmten Größen a, b, c ... durch die elementaren Rechnungsarten der Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division gebildet ist, heißt algebraisch, und die Lehre von den Umgestaltungen, die man mit solchen Gleichungen vornehmen kann, und von den Hilfsmitteln, die man zu ihrer Auflösung hat, ist der Gegenstand der Algebra oder Gleichungstheorie. Eine algebraische G. mit einer Unbekannten kann immer durch die erwähnten Rechnungsarten auf die Form a0+a1x+a2x2 + ...+ an-1xn-1+anxn = 0 gebracht werden, wo a0, a1 ... an, die Koeffizienten der G. bekannte Größen oder Zahlen sind. Ist n die höchste in der G. auftretende Potenz (s. d.) von x, ist also an nicht gleich 0, so heißt die positive ganze Zahl n der Grad oder die Ordnung der G., und die linke Seite der G. heißt eine ganze rationale Funktion n-ten Grades von x; man kann dann übrigens die G. stets mit a., dividieren oder, was auf dasselbe hinauskommt, man kann den Koeffizienten der höchsten Potenz von x gleich 1 annehmen. Kommt in einer algebraischen G. die Unbekannte x unter einem oder mehreren Wurzelzeichen vor, so sagt man, die G. liege in irrationaler Form vor; man muß sie dann erst rational machen, d.h. auf die vorhin angegebene Form bringen. Hat mon z. B. die G. 3x+√(2+x2) = 1, so schafft man erst 3x auf die rechte Seite, um links die Wurzel allein zu haben, und erhebt dann ins Quadrat: 2+x2 = 1–6x+9x2, so bekommt man die G. 8x2-6x – 1 = 0. Jede nicht algebraische G., wie z. B. 3x = 81, heißt transzendent. Jeder Wert der Unbekannten x, durch dessen Einsetzung die G. die Form: 0 = 0 annimmt, also zu einer identischen G. wird, heißt eine Wurzel der G., und man sagt, daß er der G. genügt, sie befriedigt. So ist x = 4 eine Wurzel der G. 3x = 81; x = 1, 2, 5 sind die Wurzeln der G. dritten Grades: x3-8x2+17x = 10. Die Wurzeln einer algebraischen G., deren Koeffizienten positive oder negative ganze Zahlen sind, heißen algebraische Zahlen; jede Zahl, die keiner algebraischen G. dieser Art genügt, heißt transzendent.

Die algebraischen Gleichungen der drei ersten Grade. Die allgemeine Form einer G. ersten Grades ist a.x = b, wo a nicht gleich Null sein darf, ihre Auflösung ist daher gleichbedeutend mit der Aufgabe der Division (s. d.), und man findet als einzige Wurzel: x = b/a. Eine G. zweiten Grades (auch quadratische G. genannt) hat die Form: ax2+bx = c. Ist b = 0, so heißt die quadratische G. rein, und man findet zunächst x2 = c/b, woraus folgt, daß x entweder = +√(b/c) oder = -√(b/c) ist (s. Wurzel). Verschwindet b nicht, su heißt die G. unrein oder gemischt quadratisch. Man multipliziert dann die G. mit a und fügt auf beiden Seiten die sogen. Ergänzung zum Quadrat, nämlich die Größe 1/4b2 hinzu und erhält: a2x2+abx+1/4 b2 = c+1/4b2 oder: (ax+1/2b)2 = c+1/4b2, womit man auf eine reine quadratische G. mit der Unbekannten ax+1/2b geführt ist. Nunmehr wird: ax+1/2b = ± √(c+1/4b2), also: x = -b/2a ± 1/2a√(c+1/4b2), wo entweder das obere oder das untere Vorzeichen zu wählen ist. Der Ausdruck c+1/4b2 ist die Diskriminante (s. d.) der quadratischen G.: ist er positiv, so hat die G. zwei reelle (positive oder negative) Wurzeln, ist er negativ, so hat sie zwei imaginäre Wurzeln, ist er Null, so hat sie zwei gleiche Wurzeln. Eine G. dritten Grades (kubische G.) kann in der Form: x3+ax2+bx+c = 0 angenommen werden. Setzt man x = y-1/3.a, wo y eine neue Unbekannte ist, so erhält sie die Form: y3+py+q = 0, wo p und q in einfacher Weise aus a, b, c gebildet sind. Am schnellsten führt nun das Verfahren von Hudde (17. Jahrh.) zum Ziel. Man setzt y = u+v, schreibt die G. so: u3+v3+q+(u+v). (3uv+p) = 0 und unterwirft u und v der Bedingung: u3+v3+q = 0. Die G. ist dann sicher erfüllt, wenn noch 3uv+p = 0 gesetzt wird. Hieraus erhält man zur Bestimmung von u3 und v3 die quadratische G. u3-(p3/27u3)+q =0 oder: u6+qu3-1/27p3 = 0, woraus sich ergibt:[22]

Tabelle

und für y selbst die Cardanische Formel:

Tabelle

(s. Cardano). In ähnlicher Weise kann man auch die Wurzeln einer G. 4. Grades durch die Koeffizienten ausdrücken und hat dabei, wie bei den Gleichungen 2. und 3. Grades, nur Additionen, Multiplikationen und Divisionen auszuführen und außerdem gewisse Quadrat- und Kubikwurzeln auszuziehen. Aber alle Versuche, die Gleichungen 5. Grades auf demselben Weg, also durch Additionen, Multiplikationen, Divisionen und durch Ausziehen von Wurzeln (man sagt dafür kurz: durch Wurzelzeichen), zu lösen, schlugen fehl, bis Abel (s. d.) 1824 bewies, daß das unmöglich ist, und daß eine allgemeine G., deren Grad 4 übersteigt, überhaupt nicht durch Wurzelzeichen lösbar ist. Abel selbst fand aber eine große Klasse von Gleichungen beliebig hohen Grades (die Abelschen Gleichungen), die durch Wurzelzeichen lösbar sind, und bald darauf gab Galois (s. d.) allgemeine Regeln dafür, wie man erkennen kann, ob eine vorgelegte G. durch Wurzelzeichen lösbar ist, und dafür, auf welche Gleichungen von niedrigerm Grad eine vorgelegte G. zurückgeführt werden kann.

Mehrere Gleichungen mit mehreren Unbekannten bilden ein Gleichungensystem. Wir betrachten nur den Fall der sogen. linearen Gleichungen, wo jede G. des Systems in bezug auf jede der Unbekannten vom 1. Grade (linear) ist. Man. bezeichnet die Unbekannten der Reihe nach mit x, y, z, ... oder mit x1, x2, x3 ..., sieht dann zunächst eine von ihnen, etwa x, als einzige Unbekannte an und drückt sie vermöge jeder G. des Systems durch y, z ... aus; setzt man dann die verschiedenen so erhaltenen Ausdrücke für x einander gleich, so bekommt man ein System von Gleichungen zwischen y, z ... allein, man hat x eliminiert; das neue System enthält eine Unbekannte und eine G. weniger als das ursprüngliche, und durch Wiederholung dieses Verfahrens gelangt man schließlich zu einer G. mit einer Unbekannten. Z.B.:


I. x+y = 5, 2x+3y = 13.

II. x = 5-y = 13/2-3/2y

III. 1/2y = 3/2, y = 3, x = 2.


In der Praxis kann man die Elimination meistens bequemer ausführen. Die Aufgabe, ein System von n-linearen Gleichungen mit n-Unbekannten aufzulösen, hat zur Entwickelung der Lehre von den Determinanten (s. d.) Anlaß gegeben.

Auch jedes System von algebraischen Gleichungen, das nicht in bezug auf jede Unbekannte vom ersten Grad ist, kann durch Elimination auf eine oder mehrere algebraische Gleichungen mit je einer Unbekannten zurückgeführt werden.

Numerische Gleichungen nennt man solche, deren Koeffizienten ziffermäßig gegebene Zahlen sind; auf Gleichungen dieser Art führen viele Aufgaben der angewandten Mathematik. Es handelt sich dann darum, die Zahlenwerte der reellen (positiven oder negativen) Wurzeln der G. mit der Genauigkeit zu berechnen, welche die jeweilige Aufgabe erfordert. Man berechnet zu diesem Zwecke versuchsweise die Werte, die die ganze Funktion a0+a1x+ ... +an xn = f(x) für verschiedene Werte von x annimmt; findet man dann zwei solche Werte b und c von x, daß f(b) = a0+a1b+ ... +anbn und f(c) verschiedene Vorzeichen haben, so ist man sicher, daß zwischen b und c mindestens eine Wurzel der G. f(x) = 0 liegt, und jede der beiden Zahlen b, c stellt zugleich einen Näherungswert für eine solche Wurzel dar. Zur genauern Berechnung der Wurzel wendet man jetzt ein Näherungsverfahren an; man sucht zwei zwischen b und c liegende Zahlen b´ und c´ derart, daß f(b´) und f(c´) wieder verschiedene Vorzeichen bekommen und fährt so fort, bis man die gesuchte Wurzel in immer engere Grenzen eingeschlossen hat. Von großem Nutzen ist dabei der Sturmsche Satz (Sturm, franz. Mathematiker, 1803–55), der zu bestimmen erlaubt, wie viele reelle Wurzeln der G. f(x) = 0 zwischen zwei gegebenen Zahlen b und c liegen. Genaueres bei Runge, Praxis der Gleichungen (Leipz. 1900).

Unter Ansatz oder Synthesis der Gleichungen versteht man die Übersetzung einer in Worte eingekleideten Aufgabe in die Sprache der Algebra, also die Ersetzung der Aufgabe durch eine oder mehrere Gleichungen. Es kommt dabei besonders auf die geschickte Wahl der Unbekannten an und auf richtige Erfassung der einfachsten Beziehungen, die zwischen ihnen bestehen. Deshalb hat man diese eingekleideten Aufgaben von jeher als ein besonders geeignetes Mittel zur Übung des Scharfsinns betrachtet und sie in den Aufgabensammlungen zur Algebra (Meyer, Hirsch, Heis, Bardey) immer mehr bevorzugt. Dadurch, daß man sich gewöhnt hat, jede solche Aufgabe auf Gleichungen zurückzuführen, sind alle die in früheren Jahrhunderten aufgestellten besondern Rechnungsarten und -Regeln, wie Regeldetri, Kettenregel, Gesellschafts-, Mischungs- und Zinsrechnung, entbehrlich geworden.

Geschichte der Lehre von den Gleichungen (Algebra). Die Griechen, bei denen die Zeichensprache der Algebra noch sehr wenig ausgebildet war, lösten Aufgaben, die wir heute durch Gleichungen 2. Grades ausdrücken, durch geometrische Konstruktion. Die allgemeine Auflösung der G. 2. Grades findet sich zuerst bei Diophantos (s. d.). Die Araber, die von den Griechen die Geometrie und von den Indern die Kunst des Zahlenrechnens übernahmen, bildeten die Zeichensprache weiter aus; auch das Wort Algebra stammt aus dem Arabischen, aus dem Lehrbuche des Mohammed ben Musa Alkaresmi (s. Algorithmus), es bedeutet »Wiederherstellung« und bezieht sich auf die bei den Arabern übliche Umformung der Gleichungen, bei der schließlich zu beiden Seiten des Gleichheitszeichens lauter zu addierende Größen standen. Als mit dem Wiedererwachen der Wissenschaften in Europa die Arithmetik (s. d.) sich allmählich entwickelte, machte auch die Algebra große Fortschritte. Ende des 15. Jahrh. erschien in Venedig die »Summa« des Luca Pacioli, das erste gedruckte Buch über Algebra; sie heißt darin, wie schon vor 1400 die regula della cosa, da cosa (Ding) die Unbekannte bezeichnete. Deshalb nannte man nachher in Deutschland die Algebra lange Zeit »Regel Coß«. Die Auflösung der G. 3. Grades gelang um 1515 dem Scipione dal Ferro, veröffentlicht hat sie jedoch erst Cardano (s. d.) zugleich mit der von seinem Schüler Ferrari gefundenen Auflösung der G. 4. Grades. Im 17. und 18. Jahrh. wurde die Theorie der Gleichungen besonders durch Descartes, Newton, Euler und Lagrange gefördert, aber erst 1799 gab Gauß in seiner Dissertation einen wirklichen Beweis dafür, daß jede algebraische G. eine Wurzel hat (Fundamentalsatz der Algebra). Ins 19. Jahrh. fallen die vorhin erwähnten Untersuchungen von Abel und Galois,[23] die namentlich Kronecker weiter ausgebildet hat. Zur Einführung in die Algebra ist immer noch Eulers »Vollständige Anleitung zur Algebra« (1770) zu empfehlen, die in Reclams Universal-Bibliothek aufgenommen ist. Von neuern Werken sind zu nennen: H. Weber, Lehrbuch der Algebra (2. Aufl., Braunschweig 1895–99, 2 Bde.); Netto: Elementare Algebra (Leipz. 1904), Vorlesungen über Algebra (das. 1896–99, 2 Bde.) und Substitutionentheorie und ihre Anwendung auf die Algebra (das. 1882).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 21-24.
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