Stoffwechsel

[53] Stoffwechsel, die Gesamtheit der chemischen Vorgänge im Organismus, auf denen die Lebenserscheinungen beruhen und durch die der Organismus als solcher erhalten wird. Der Organismus lebt, indem er fortwährend Stoffe aufnimmt, diese umwandelt, assimiliert und in Teile seines Körpers verwandelt, während andre, ältere Teile des Körpers aus dem Verband, in dem sie bis dahin standen, ausscheiden, umgewandelt und aus dem Körper entfernt werden. Unterscheidet sich das Reich der Organismen von der unbelebten Natur wesentlich durch den S., so sind wieder Pflanzen und Tiere durch die besondere Art des Stoffwechsels voneinander verschieden, aber so, daß sie durch diese Verschiedenheit innig zusammenhängen. Die Pflanzen nehmen aus Luft und Boden anorganische Verbindungen (Kohlensäure, Wasser und Ammoniak oder Salpetersäure und gewisse Salze) auf und bilden daraus unter dem Einfluß des Lichtes und unter Abscheidung von Sauerstoff organische Verbindungen von zum Teil sehr komplizierter Zusammensetzung. Aus Kohlensäure und Wasser entstehen Kohlehydrate, Fette und andre Verbindungen, durch Einwirkung von Ammoniak auf einige derselben wahrscheinlich die weitverbreiteten Amidosubstanzen und aus diesen Eiweißkörper. Die Pflanzen atmen freilich auch: sie nehmen Sauerstoff auf, und unter dessen Einfluß wird ein Teil der gebildeten organischen Substanz oxydiert; doch tritt dieser Prozeß gegen den der Ernährung, der Bildung organischer Substanz, stark zurück, und so präsentiert sich der S. der Pflanze wesentlich unter dem Bild eines synthetischen Vorganges oder Reduktionsprozesses, bei dem lebendige Kraft (die Energie der Sonnenstrahlen) in Spannkraft, nämlich in die chemische Energie der entstehenden Kohlehydrate, Eiweißkörper etc. umgesetzt und Sauerstoff frei gemacht wird. Im Gegensatz zu den Pflanzen nehmen die Tiere als Nahrungsmittel wesentlich organische Stoffe, und zwar direkt oder indirekt die Produkte des Pflanzenreiches auf; sie sind nicht imstande, wie die Pflanzen, aus unorganischen Stoffen synthetisch organische zu bilden, vielmehr bedürfen sie der letztern, die nach verhältnismäßig geringer Wandlung zu Bestandteilen des tierischen Organismus werden, um dann unter Mitwirkung des eingeatmeten Sauerstoffs oxydiert und in Form sehr einfacher chemischer Verbindungen ausgeschieden zu werden. Der tierische S. ist mithin im wesentlichen ein Oxydationsprozeß, als dessen Endglieder Kohlensäure, Wasser und Ammoniak, die Nahrungsstoffe der Pflanzen, auftreten. Es vollzieht sich somit ein Kreislauf des Stoffes, indem dem Tiere die in der Pflanze entstandenen Stoffe, dieser wieder die Stoffwechselprodukte des Tieres zur Nahrung dienen. Diesem Kreislauf des Stoffes geht ein Kreislauf der Energie parallel, denn die von den Pflanzen in den Produkten ihres Stoffwechsels aufgespeicherte Spannkraft oder potentielle Energie gibt das Tier in Form von Wärme und Arbeit also als kinetische Energie wieder aus.

Die verwickelten Vorgänge des tierischen Stoffwechsels sind nur zum Teil bekannt. Die Nahrungsstoffe: Eiweißkörper, Fette, Kohlehydrate, Salze werden durch die Verdauungssäfte mehr oder weniger verändert, dann dem Blut und durch dieses den Geweben zugeführt, um diese zu ernähren. Gleichzeitig findet eine Abnutzung der Gewebe statt, die Abnutzungsprodukte[53] gelangen in das Blut und werden schließlich ausgeschieden: die stickstoffhaltigen Substanzen wesentlich in der Form von Harnstoff durch die Nieren, die letzten Oxydationsprodukte der stickstofffreien Substanzen, Kohlensäure und Wasser, durch Lunge und Haut. Die Energie, mit welcher der S. verläuft, ist sehr verschieden; beim Kind ist er viel reger als beim Erwachsenen. Während des Schlafes ist der S. wesentlich vermindert, bei Bewegung und Arbeit beträchtlich erhöht, aber auch im hungernden Tier steht der S. nicht still, der hungernde Organismus lebt von sich selbst, bis die Möglichkeit, dies zu tun, erschöpft ist. Da das Körpergewicht des erwachsenen und gesunden tierischen Körpers innerhalb kürzerer Zeiträume nahezu konstant bleibt, so muß die durchschnittliche tägliche Zufuhr genau die durchschnittlichen Ausgaben decken, es muß ein Zustand des Gleichgewichts zwischen Einnahmen und Ausgaben vorhanden sein, und in der Tat haben genaue Versuche ergeben, daß bei Berechnung des Gehaltes der Nahrung und der Ausscheidungsstoffe an Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Salzen im wesentlichen dieselben Zahlen erhalten werden (Stoffwechselbilanz). Ein gut beköstigter gesunder Mensch verliert in 24 Stunden bei mäßig bewegter Lebensweise durch die Atmung etwa 32, die Hautausdünstung 17, den Harn 46,5, den Kot 4,5 Proz. der gesamten Ausscheidungen, und zwar scheidet er durch die Atmung aus: Wasser 350 bis 500, Kohlensäure 850–900, durch die Haut: Wasser 2000, Kohlensäure 8, durch den Harn: Wasser 1500–2000, Harnstoff 35–40, Salze 24 g, endlich durch den Kot: Wasser 75, andre, meist organische Substanzen 30 g. Die Bilanz zwischen Einnahmen und Ausgaben des Körpers bezieht sich auf den Durchschnittsmenschen, der weder ungewöhnlichen äußern Einflüssen ausgesetzt ist, noch von einzelnen Funktionen, namentlich der Muskeltätigkeit, einen besonders großen oder geringen Gebrauch macht. Für die von ihm erzeugte, in der Form von Wärme und von mechanischer Arbeit auftretende Energie verlangt er ein bestimmtes Äquivalent an Zufuhren. Dafür ist er imstande, diese Leistungen Tag für Tag in derselben Größe zu wiederholen, ohne daß sein Körpergewicht oder die proportionale Menge der Einzelbestandteile seines Körpers wesentliche Veränderungen erleidet. Dieses Durchschnittsverhältnis kann aber bedeutend abgeändert werden, und zwar entweder durch Veränderung der Zufuhren, dann ändern sich natürlich auch die Leistungen, ja unter Umständen sogar der Körper selbst; oder durch Veränderung der Leistungen, die nun wiederum eine entsprechende Modifikation der Zufuhren erheischt. Wenn die Zufuhren steigen, so sind zwei Erfolge möglich. Entweder nehmen die Ausgaben in äquivalenter Weise zu, der Körper leistet jetzt mehr (an mechanischer Arbeit und Wärmebildung), aber er verändert sein Gewicht nicht; oder sie steigen nicht oder doch nicht in gleichem Grade mit der Zufuhr, dann vermehrt sich das Körpergewicht, es wird mehr Stoff angesetzt. Verhältnismäßig leicht kann durch Zufuhr von Fetten oder Kohlehydraten ein Fettansatz bewirkt werden. Dagegen ist es schwer, beim Erwachsenen durch vermehrte Eiweißkost einen Ansatz von Eiweiß zu erzielen, weil die Steigerung die Zufuhr von stickstoffhaltigem Nährmaterial eine Vergrößerung der Eiweißzerfaller und damit der Stickstoffaustcheidung zur Folge hat, ebenso wie nach der Verminderung der Stickstoffzufuhr eine Abnahme des Stickstoffverlustes entspricht. Der Organismus ist eben imstande, sich mit jeder Eiweißkost ins Gleichgewicht zu setzen (Stickstoffgleichgewicht). Wird die Nahrungszufuhr mäßig gemindert, so zehrt der Körper auf eigne Kosten und verliert allmählich an Gewicht. Mit Abnahme der Körpermasse sinken auch die Umsetzungen, überhaupt die Leistungen; es muß aber ein Punkt kommen, wo die geminderten Zufuhren hinreichen, die nunmehrigen Ausgaben zu decken. Auf diesem neuen Beharrungszustand bleibt der mager gewordene Körper stehen, und zwar, wenn die Zufuhren nur eine mäßige Herabsetzung erfahren haben, im Zustand relativer Gesundheit. Wird die Zufuhr bedeutend geschmälert oder gänzlich aufgehoben, so magert der Körper ab, um so schneller, je beträchtlicher die Nahrungsentziehung; er wird immer leistungsunfähiger und geht endlich dem Hungertod entgegen. Je nach der Größe des Körpergewichts ist die Größe des an den Ausscheidungen durch Harn und Atmung gemessenen Stoffwechsels verschieden. Vergleichbare Werte erhält man durch Reduktion der ermittelten Zahlen auf die Körpergewichtseinheit. Dabei zeigt es sich, daß kleine Tiere einen relativ stärkern S. haben als große, Kinder einen viel lebhaftern als Erwachsene. Im Greisenalter ist der S. kleiner als im mittlern Lebensalter; beim weiblichen Geschlecht nur wegen der geringern Körpergröße absolut geringer als beim Mann. Während der Schwangerschaft ist er erhöht. Bei der Muskeltätigkeit steigt der S., und zwar ausschließlich oder vornehmlich der der stickstofffreien Substanzen. Der Grad dieser Steigerung kann geradezu als Maß für die Größe der geleisteten mechanischen Arbeit dienen. Eine wesentliche Herabsetzung erfährt dagegen der S. durch den Schlaf (um etwa 40 Proz. gegenüber dem wachen und eine eigentliche körperliche Arbeit nicht ausführenden Menschen). Unter dem Einfluß der Kälte nimmt die Stoffwechselgröße zu; in dieser Weise wirken auch kalte Bäder, Seebäder und intensivere Hautreize andrer Art (s. Atmung, Ernährung, Harn). Vgl. Moleschott, Der Kreislauf des Lebens (5. Aufl., Mainz 1876–86, 2 Bde.); Voit, Physiologie des allgemeinen Stoffwechsels und der Ernährung (Leipz. 1881); Wilckens, Briefe über den tierischen S. (Bresl. 1879); Seegen, Studien über S. im Tierkörper (Berl. 1887); v. Noorden, Lehrbuch der Pathologie des Stoffwechsels (das. 1893); Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauchs bei der Ernährung (Wien 1902); P. F. Richter, S. und Stoffwechselkrankheiten (Berl. 1905); Tigerstedt, Physiologie des Stoffwechsels (in Nagels »Handbuch der Physiologie«, Braunschw. 1906); Albu und Neuberg, Physiologie und Pathologie des Mineralstoffwechsels (Berl. 1906).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 53-54.
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