Erklärung

[49] Erklärung bezeichnet bei Begriffen eine unvollkommene Art der Definition (s.d.), nämlich die Angabe einiger zur Aufhellung des Begriffs gerade ausreichender Merkmale. Bei Talsachen bedeutet E. die Angabe der Ursachen und Gesetze, durch welche dieselben bedingt sind; eine Tatsache ist dann erklärt, sie wird uns dann begreiflich, wenn sie als besonderer Fall einer allgemeinen (bereits bekannten) Regel dargestellt wird. Daß alles Einzelne sich in dieser Weise müsse erklären lassen, ist ein in den Wissenschaften durchaus als selbstverständlich anerkanntes Postulat des Denkens, das mit dem sogen. Kausalgesetz (s.d.) eng zusammenhängt. Die zunächst zur E. konkreter Tatsachen dienenden Gesetze sind aber zumeist auch selbst wieder einer E. bedürftig und fähig; so »erklärt« sich der Regenbogen z. B. durch die Gesetze der Reflexion und Brechung des Lichtes, diese selbst aber lassen sich wiederum durch die allgemeinern Gesetze der Wellenbewegung erklären u. s. f., zuletzt aber muß unser Denken notwendig bei einem nicht weiter Erklärbaren anlangen. Der hauptsächlich durch Leibniz begründete Rationatismus nahm nun an, daß es möglich sein müsse, den tatsächlichen Zusammenhang der Erscheinungen schließlich in rein begriffliche Beziehungen aufzulösen, die einer E. nicht mehr bedürfen; in Wahrheit gelangt jedoch keine Wissenschaft so weit, sondern die letzten Erklärungsgründe sind in allen Fällen nur tatsächliche und nicht Vernunftwahrheiten. Eben[49] deswegen ist es aber einigermaßen willkürlich, an welchem Punkte man auf weitere E. verzichtet. Die Naturwissenschaften z. B. halten im allgemeinen an der Norm fest, daß ihre Aufgabe dann gelöst sei, wenn man die gegebenen Erscheinungen auf unveränderliche Massen und gesetzmäßig wirkende Kräfte zurückgeführt habe; während aber einige behaupten, daß z. B. die Gravitation Newtons eine nicht weiter zu erklärende Grundkraft sei, verlangen andre, daß dieselbe noch weiter auf einfachere Wirkungen zurückgeführt werde. Da, wo die einzelnen Wissenschaften ihre Erklärungen abschließen, setzt die Philosophie ein, indem sie nicht wie jene nur einzelne Klassen von Tatsachen, sondern die gesamte Wirklichkeit aus einheitlichen Prinzipien zu erklären sucht.

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 49-50.
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