Kraft

[565] Kraft ist ein Begriff, der ursprünglich aus der innern Erfahrung der »Muskelkraft« und der Fähigkeit des Ich überhaupt, durch seinen Willen etwas zu realisieren, einen Widerstand zu überwältigen, entstammt, und der dann auch auf die Objecte der Außenwelt übertragen wird. Das Ich selbst ist und weiß sich unmittelbar in seinem Tun, Wirken als eine »Kraft«, d.h. als ein des Wirkens Fähiges, Mächtiges, Könnendes. Indem das Tun des Ich an der Außenwelt seine Schranke findet, sich durch die Objecte gehemmt fühlt, kann es nicht umhin, den erlittenen Widerstand als Ausfluß, Betätigung einer ihm (dem Ich) analogen, einer Willenskraft zu deuten, die das Ding ihm, dem Ich, gegenüber gebraucht und vermöge deren es auch andere Dinge in ihrem Sein beeinflußt oder beeinflussen kann. »Eine Kraft haben« heißt so beschaffen sein, daß man, wenn man etwas erstrebt, und wenn kein unüberwindliches Hindernis besteht, das Erstrebte realisieren wird. Wir schreiben den Dingen Kräfte zu, das bedeutet, wir erwarten, auf Grund der obenerwähnten Introjection (s. d.) und von Erfahrungen unter gewissen Bedingungen eine bestimmte Wirkungsweise des Dinges, das wir als Eigner der Kraft, als »Kraftcentrum« auffassen. Die »Kraft« ist kein Ding, sondern das Attribut eines Dinges, nämlich dessen Wirkungsfähigkeit, insofern sie in der Wesenheit des Dinges selbst gegründet ist. Ursprünglich sind die Kräfte, die der Mensch (der Mythus) den Außendingen zuschreibt, Willenskräfte, Strebungen, also qualitativ bestimmt. Das[565] naturwissenschaftliche Denken abstrahiert von dieser Qualität, berücksichtigt nur das Quantitative im Wirken und erhebt den Begriff der Kraft zu einem reinen Beziehungsbegriff. Die Metaphysik wiederum kann nicht umhin, dem Kraftbegriff seine qualitative Bestimmtheit, nun aber in geläuterten vom roh Anthropomorphistischen befreiten Form, zurückzugeben. – Die physischen Kräfte sind mechanische (Bewegungs-) oder chemische Kräfte, die psychischen (geistigen) sind Denk- und Willensfähigkeiten, Fähigkeiten der Bewußtseinsveränderung. »Lebendige Kraft« ist Energie (s. d.). Ihr Maß hat die mechanische Kraft an ihren Wirkungen, an der Beschleunigung, die sie an einer bestimmten Masse hervorbringt.

Den Ursprung des Kraftbegriffes anlangend, wird dieser von den Rationalisten (s. d.) als angeborener, denknotwendiger Begriff angesehen (ARISTOTELES, Scholastiker u. a.). Nach HUME ist der Kraftbegriff ein subjectiv-psychologisches Gebilde (s. unten), nach KANT ist er eine der »Prädicabilien« (s. d.) ein abgeleiteter, aber apriorischer Verstandesbegriff von bloß phänomenaler (s. d.) Geltung. Nach andern ist er aus der Erfahrung abstrahiert. Insbesondere wird der Ursprung oder wenigstens das Prototyp des Kraftbegriffs in das Bewußtsein von der eigenen (physischen oder psychischen) Wirkungsfähigkeit des Ich gesetzt.

GALILEI erblickt den Ursprung der Kraft im Bewußtsein unserer Muskelkraft (Dial. delle nuove science III). Nach LOCKE entspringt die Vorstellung der Kraft (power) der Erfahrung, daß wir Körper bewegen, daß wir unseren Vorstellungslauf verändern können, zugleich auch aus der Wahrnehmung der Wirkungen der Körper aufeinander (Ess. II, ch. 7, § 8; ch. 21, § 1). Es gibt eine tätige und eine leidende Kraft (l.c. II, ch. 21, § 2). Die Kraft schließt eine Relation ein (l.c. § 3). Die Sinnesqualitäten sind Wirkungen der Körperkräfte auf uns (ib.). Die klarste Idee der tätigen Kraft entlehnen wir von unserem Geiste (l.c. § 4). LEIBNIZ sieht das Urbild aller Kraft in dem Streben des Ich (s. Monade). CONDILLAC erklärt: »Il y a en nous un principe de nos actions, que nous sentons, mais que nous ne pouvons définir: on l'appelle force. Nous sommes également actifs par rapport à tout ce que cette force produit en nous ou au dehors. Nous le sommes, par exemple, lorsque nous réfléchissons ou lorsque nous faisons mouvoir un corps. Par analogie nous supposons dans tous les objets qui produisent quelque changement une force que nous connaissons encore moins, et nous sommes passifs par rapport aux impressions qu'ils font sur nous« (Trait de sens. I, ch. 2, § 11). J. J. ENGEL leitet den Kraftbegriff aus dem »sens musculaire« ab (Mémoire sur l'orig. de l'idée de la force 1802). Nach FEDER ist Kraft das »Etwas, worin dasjenige enthalten ist, womit das Sein eines andern Dinges verknüpft ist«. »Wir empfinden etwas in uns, welches sich äußern muß, wenn gewisse Dinge, wie wir begehren, geschehen sollen. Dies ist unsere Kraft. Wir empfinden vieles, was wir nicht unserem Wirken zuschreiben können, was wir leiden müssen, und wodurch wir die Kräfte anderer Dinge kennen lernen« (Log. u. Met. B. 246 f.). G. E. SCHULZE betont: »Das Bewußtsein der Selbsttätigkeit unseres Geistes hat... auf die Bestimmung der Natur der den Dingen beigelegten Kräfte großen Einfluß gehabt. Es wird nämlich unter der Kraft etwas Inneres, Unkörperliches, den Hindernissen... Überlegenes und in dieser Hinsicht der Macht des menschlichen Wollens Ähnliches gedacht« (Üb. d. menschl. Erk. S. 138 f.). Der Kraftbegriff hat objective Gültigkeit (l.c. S. 140). Nach BOUTERWEK ist die Quelle des Kraftbegriffs die Kraft des[566] Ich, die Individualität (Apodikt. II, 53 f.). Eine »Naturkraft« ist eine »gedachte Ursache« (l.c. II, 57). MAINE DE BIRAN leitet den Kraftbegriff ab aus der »apperception interne immédiate ou conscience d'une force qui est moi et qui sert de type exemplaire à toutes les notions générales et universelles de causes, de forces« (Oeuvr. III, 5). Die Vorstellung der Kraft gewinnen wir aus dem »effort voulu« des Ich (l.c. II, 117).

Auf die innere Erfahrung weist auch E. H. WEBER hin (Tastsinn u. Gemeingef. S. 85). Wie J. ST. MILL und A. BAIN sieht H. SPENCER die Quelle des Kraftbegriffes in der durch die Muskelspannung bestimmten Widerstandsempfindung. Unserer Begriff von Kraft ist eine Verallgemeinerung jener Muskelempfindungen (Psychol. II, § 348, § 350). Nach DOIS-REYMOND hat der Kraftbegriff im Bewußtsein des Willens als Ursache seine Quelle (Reden I, S. 243). Nach ÜBERWEG fassen wir die Naturkraft nach Analogie unserer eigenen Willenskraft auf (Log. S. 84). O. SCHNEIDER leitet den Kraftbegriff aus dem Bewußtsein der gewollten Bewegung, dem Gefühl der Anstrengung bei Überwindung eines Widerstandes ab (Transcendentalpsychol. S. 148 f.). Nach LIPPS entstammt er unserem Kraftgefühl oder Gefühl der nicht vergeblichen Anstrengung (Gr. d. Log. S. 81). Ähnlich DILTHEY (Einl. 467), ERHARDT u. a. RIEHL erklärt: »Wir haben die Begriffe von Kraft und Arbeit aus der gewollten Muskelbewegung abstrahiert und auf die äußeren Bewegungserscheinungen übertragen« (Philos. Kritic. II 1, 243). Kraft ist die Substanz nach ihrem Wirken, nach ihrem Dasein ist sie Materie (l.c. S. 271). HAGEMANN erklärt: »Wir übertragen... den an uns gewonnenen Begriff der Kraft und Wirksamkeit auf die Außendinge, und wir haben allen Grund dazu« (Met.2, S. 55). SIGWART bemerkt: »Wir sind uns bewußt, daß wir eine Handlung vollziehen können, sobald wir nur wollen... dies ist der Ursprung des Begriffs eines Vermögens, einer Kraft« (Log. II2, 144 f.). Dieser Begriff wird später zum abstracten Relationsbegriff. Kraft ist die »Substanz, als etwas Unveränderliches gedacht« (l.c. S. 156). WUNDT betont: »Unsere Muskelempfindungen sind der Ursprung der Kraftvorstellung« (Beitr. zur Theor. d. Sinneswahrn. S. 429). Allmählich wird der anthropomorphe Charakter des Kraftbegriffs abgestreift. Kraft ist dann nichts als die an die Substanz gebundene Causalität (Syst. d. Philos.2, S. 279 ff.; Log. I2, S. 583 f., 614 ff., 625; II2 1, 327 ff.; s. unten). TH. ZIEGLER: »Der Begriff der Kraft ist... nichts anderes als die Übertragung unserer eigenen, in allerlei Gefühlen sich uns offenbarenden und uns zum Bewußtsein kommenden Activität und Causalität auf das Wirken der Dinge in der Außenwelt und auf die Art, wie wir uns dasselbe vorstellen« (Das Gef.2, S. 72). Auf die Introjection des subjectiven Kraftgefühls in die Dinge führt den Kraftbegriff P. RÉE zurück (Philos. S. 171 ff.). Ähnlich NIETZSCHE: (WW. VIII 2, S. 93; XV, S. 298; s. unten). SIMMEL erklärt: »Die Gefühle der physisch-psychischen Spannung, des Impulses, der Willenshandlung projicieren wir in die Dinge hinein, und wenn wir hinter ihre unmittelbare Wahrnehmbarkeit jene deutenden Kategorien setzen, so orientieren wir uns eben in ihnen nach den Gefühlserfahrungen unserer Innerlichkeit« (Philo(s. d.) Geld. S. 507). Nach W. JERUSALEM wird im primitiven Urteilsacte jeder Vorgang in der Umgebung nach Analogie unserer selbst auf einen Willen als Ursache zurückgeführt. Indem dann das Subjectswort zum »Träger von Fähigkeiten« schlechthin wird, verliert das Urteil seinen grob anthropomorphischen Charakter. »Der Wille, der im Subjecte die durch das Prädicat bezeichnete Tätigkeit hervorgebracht, wird zur Kraft, die ebenso im [567] Dinge wohnt und nur des persönlichen Charakters entbehrt« (Urteilsfunct. S. 140 f.). »Was einmal die Subjectsfunction übernimmt, ist Kraftcentrum, und zwar objectiv vorhandenen Kraftcentrum, und als dessen potentielle oder actuelle Wirkungen werden die Vorgänge, die Tatsachen, die Gesetze des Geschehens gefaßt« (l.c. S. 156).

Nach HUME entspringt der Begriff der Kraft (power, force, energy, efficacy, agency; Treat. III, sct. 14) weder aus der Vernunft (l.c. S. 213), noch aus der Sinneswahrnehmung (l.c. S. 216), noch kann uns die innere Erfahrung von der Wirksamkeit unseres eigenen Willens die Kraft begreiflich machen (l.c. S. 218). Die Notwendigkeit (s. d.), die wir der Kraft zuschreiben, ist nichts als die subjective Nötigung, von der »Ursache« zur »Wirkung« überzugehen (l.c. S. 225; vgl. Inquir. VII; s. unten). –

Der animistische (s. d.) Ursprung des Kraftbegriffes zeigt sich noch bei THALES (s. Hylozoismus). ANAXAGORAS bestimmt als Urkraft den »Geist« (s. d.). EMPEDOKLES betrachtet als Naturkräfte Liebe (philia) und Streit (neikos), welche die Dinge (Elemente, (s. d.)) bald zusammen-, bald auseinanderbringen (Aristot., Met. II 4, 1000a 27; Sext. Empir. adv. Math. VII, 115). HERAKLIT betrachtet den »Kampf« (s. d.) als die Kraft, der alle Veränderung entspringt. PLATO schreibt zuweilen den Ideen (s. d.) Kräfte zu. ARISTOTELES erblickt in den »Formen« (s. d.) die von innen gestaltenden Naturkräfte. Die dynamis ist Princip der Bewegung (archê kinêseôs, Met. V 12, 1019a 15). Es gibt dynamis tou poiein und tou paschein (l.c. IX 1, 1046a 20), alogoi und meta logou dynameis (l.c. IX 1, 1046b 3). Die Stoiker betrachten die Kraft (to poioun) als das Wesentliche des pneuma (s. d.), das aber zugleich Stoff ist. In den Dingen sind die logoi spermatikoi (s. d.) als Ausflüsse der göttlichen Urkraft (Diog. L. VII, 134). PLOTIN bestimmt die Ideen (s. d.) als noerai dynameis Geistige Kräfte sind ferner die henades (s. d.) bei PROKLUS, die Äonen (s. d.) der Gnostiker (s. d.). (Nach BASILIDES emaniert die dynamis mit der sophia aus der phronêsis, Iren. I, 24.) Die Atomisten kennen nur äußere, nur Bewegungskräfte (vgl. Atom).

Die Scholastiker betrachten als Kräfte die »formae substantiales« (s.d.) und »qualitates occultae« (s. d.). Kraft- und Vermögensbegriff (s. d.) werden nicht scharf voneinander geschieden. Die »potentia« ist nach THOMAS »principium operationis« (Sum. th. I, 25, 1 ob. 3). Es gibt »potentia activa« und »passiva« (l.c. I, 77, 3c), »potentia cum ratione« und »irrationalis« (l.c. I, 79, 12a).

Innere Kräfte nehmen PARACELSUS, J. B. VAN HELMONT u. a. an. Nach TELESIUS sind Wärme und Kälte die elementaren Naturkräfte (s. Princip). Nach CAMPANELLA ist die »facultas« »potestativae essentialis virtus ad actum et actionem energens« (Dial. I, 6). G. BRUNO erblickt in der göttlichen Natur (s. d.) die Urkraft (De la causa III).

GALILEI bestimmt die Kraft (impetus) als stetige Folge momentaner Impulse (Dial. delle nuove science III, 2). Den mechanischen Kraftbegriff hat DESCARTES. »Hic vero diligenter advertendum est, in quo consistat vis cuiusque corporis ad agendum in aliud, vel ad actioni alterius resistendum: nempe in hoc uno, quod unaquaeque res tendat, quantum in se est, ad permanendum in eodem statu, in quo est, iuxta legem... Hinc enim id, quod alteri coniunctum est, vim habet nonnullam, ad impediendum ne disiungatur; id, quod disiunctum est, ad manendum disiunctum; id, quod quiescit, ad perseverandum in suo motu, hoc est, in motu eiusdem celeritatis, et versus eandem partem. Visque illa debet[568] aestimari tum a magnitudine corporis, in quo est, et superficiei, secundum quam istud corpus ab alio disiungitur; tum a celeritate motus, ac natura, et contrarietate modi, quo diversa corpora sibi mutuo occurrunt« (Princ. philos. II, 43). SPINOZA schreibt jedem Wesen einen »conatus«, »in suo esse perseverare« zu (vgl. Erhaltung). NEWTON definiert die Kraft als »eine auf den Körper geübte Tätigkeit, um seinen Zustand der Ruhe oder gleichförmigen Bewegung in gerader Richtung zu ändern« (Nat. philos. princ. math. II, def. 4).

LEIBNIZ sieht in der Kraft (force, effort, acte, entelechie) das Wesen der Substanz (s. d.), »le constitutif de la substance«, »le principe d'action«, sie »rend la matière capable d'agir et de résister« (Gerh. IV, 472). Sie ist kein leeres Vermögen, sondern ein Mittleres zwischen dem Vermögen zu wirken und dem Wirken selbst. Sie enthält eine entelecheia (s. d.), ein Streben, eine Actualität, die nur der Beseitigung des Hindernisses bedarf (wie bei dem gespannten Bogen), um von selbst zu wirken (Erdm. p. 121). Die klarste Vorstellung von Kraft haben wir durch innere Erfahrung (Nouv. ESS. II, ch. 21, § 4). Der Kraftbegriff selbst wird nicht durch »imaginatio«, sondern durch den »intellectus« gebildet (Erdm. p. 124). Ihrer inneren Natur nach ist die Kraft etwas Psychisches, ein Streben von einem Vorstellungszustand zum andern (Monadol. 15). Es gibt »primitive« und »abgeleitete« Kräfte (Gerh. VI, 236). Die passive Kraft ist der Widerstand (die antitypia, (s. d.)), durch den ein Körper sowohl der Durchdringung als auch der Bewegung widersteht (Math. Schrift. ed. Pertz III, 100). Die active Kraft schließt die Tendenz zur Handlung ein (l.c. S. 101). Die derivative Kraft ist der Impetus, die Tendenz zu einer bestimmten Bewegung (l.c. S. 102). »Lebendige« Kraft ist die in der actuellen Bewegung sich äußernde Kraft (l.c. S. 235). Die Kraftsumme im All ist constant (Erdm. p. 775). – CHR. WOLF definiert: »Die Quelle der Veränderungen nennt man eine Kraft« (Vern. Ged. I, § 115). Kraft ist »dasjenige, worinnen der Grund von der Bewegung zu finden« (l.c. § 623). »Alle Kräfte bestehen in einer festen Bemühung, etwas zu tun oder den Zustand eines Dinges zu ändern« (l.c. § 624). »Quod in se continet rationem sufficientem actualitatis actionis, vim appelamus« (Ontolog. § 722). »Posita vi ponitur actio« (l.c. § 723). Die Kraft besteht »in continuo agendi conatu« (l.c. § 724). »Vis continuo tendit ad mutationem status subiecti« (l.c. § 725). CRUSIUS bestimmt: »Die Möglichkeit eines Dinges B, welche an ein anderes Ding A verknüpft ist, heißt in dem Dinge A in dem weitesten Verstande eine Kraft« (Vernunftwahrh. § 29). In den Substanzen sind mehrere Grundkräfte (Met. § 73). Nach MENDELSSOHN ist die »Kraft« so viel wie »die beständigen Eigenschaften des A, oder das Fortdauernde in demselben« (Morgenst. I, 2). PLATNER sieht in der Kraft das Constituens der Substanz (s. d.). In einer Substanz gibt es eine »Grundkraft«, von welcher die übrigen Kräfte abhängen (Philos. Aphor. I, § 930 ff., 932). Kraft oder Vermögen im weiteren Sinne ist ein Name für die »bleibenden Bestimmungen, Eigenschaften«, in welchen die Möglichkeit aller Richtungen der substantiellen Kraft gegründet ist (l.c. § 934). – BONNET bemerkt: »Les parties de la matière sont liées entr' elles, et cette liaison suppose nécessairement une force qui l'opère; car les parties de la matière sont indifférentes par elles-mêmes à toute liaison ou à toute situation particulière. De plus, la matière résiste, et cette résistance suppüose encore un force qui l'opère« (Ess. analyt. VI, 46). Nach HUME ist »Kraft« für uns nichts als der unbekannte Umstand, wodurch das Maß oder die Größe der Wirkung eines Gegenstandes bestimmt wird (Inquir. VII, 1; Treat. III, sct. 14). LAPLACE[569] erklärt: »La force n'étant connue que par l'espace qu'elle fait décrire dans un temps déterminé, il est naturel de prendre cet espace pour sa mesure« (Mécan. céleste I, 1, C. 2).

KANT erklärt, die Kraft sei nur die Beziehung der Substanz A zu etwas anderem B. Man darf keine ursprüngliche Kraft als möglich annehmen, wenn sie nicht von der Erfahrung gegeben ist (De mund. sens. sct. V, § 28). Die »wahrhaft lebendige Kraft« wird nicht von draußen im Körper erzeugt, sondern ist »der Erfolg der bei der äußerlichen Sollicitation in dem Körper aus der innern Naturkraft entstehenden Bestrebung« (WW. I, 168). Später bestimmt Kant die Kraft als eine »Prädicabilie« (s. d.) des reinen Verstandes, als (apriorischen) Verstandesbegriff, der nur für Erscheinungen (s. d.) Geltung hat. »Bewegende Kraft« ist »die Ursache einer Bewegung«. Durch eine solche Kraft erfüllt die Materie (s. d.) den Raum (Met. Anf. d. Naturwiss. S. 33). Anziehende, abstoßende (Zurückstoßungs-)Kraft, Flächenkraft, durchdringende Kraft werden definiert (l.c. S. 34 f., 67). Doch ist es »über dem Gesichtskreis unserer Vernunft gelegen, ursprüngliche Kräfte a priori ihrer Möglichkeit nach einzusehen, vielmehr besteht alle Naturphilosophie in der Zurückführung gegebener, dem Anscheine nach verschiedener auf eine geringere Zahl Kräfte und Vermögen« (l.c. S. 104). (Natur-) »Kraft« ist etwas den Phänomenen Angehörendes, ein notwendiger Begriff unseres Denkens, um die Objecte der Erfahrung logischphysikalisch miteinander zu verknüpfen. – Nach KRUG kommt der Materie (s. d.) eine ursprünglich »bewegende« Kraft zu (Handb. d. Philos. I, 336). Nach SCHELLING ist »jeder immanente Grund von Realität aus dem Begriff« Kraft; die »absolute Identität« ist Kraft (WW. I 4, 145). Kraft ist »Extensität, bestimmt durch Intensität«. Die Intensität einer Kraft »kann nur gemessen werden durch den Raum, in dem sie sich ausbreiten kann, ohne =0 zu werden« (Syst. d. transcend. Ideal. S. 217). Die Dinge sind Producte von Kräften. Denn »Kraft allein ist das Nichtsinnliche an den Objecten« (Naturphilos. S. 308). Kraft ist ein Verstandesbegriff, kann nicht unmittelbar Gegenstand der Anschauung sein. Die Grundkräfte der Materie (s. d.) sind verstandsmäßige Ausdeutungen des An – sich der Dinge (l.c. S. 322). Die Materie als solche ist selbst Kraft (l.c. S. 327). Nach STEFFENS ist die Kraft »die Identität der Intensität und Extensität« (Grdz. d. philos. Naturwissensch. S. 23). Im Sinne HEGELS (vgl. Log. II, 170) erklärt K. ROSENKRANZ: »Jedes Wesen faßt als Ganzes seine Teile in sich zusammen und ist die Möglichkeit ihrer Vermehrung oder Verminderung. Als das In-sich-sein des Wesens, welches seine Unterschiede einfach in sich geschlossen hält, ist es die Kraft. Die Kraft ist nicht eine neue Qualität des Daseins oder ein apartes Wesen, sondern das Wesen selber, wie es sich als Erscheinung aus sich als dem Grund setzt und in seinem Erscheinen als Gesetz und Inhalt und Totalität derselben tätig ist« (Syst. d. Wissenschaftsl. S. 71). C. H. WEISSE betrachtet die Kraft (die dynamis) als das Substantiale des Körpers (Grdz. d. Met. S. 420 f.).

Nach SCHOPENHAUER ist die Kraft von der Ursache (s. d.) völlig verschieden, sie ist »das, was jeder Ursache ihre Causalität, d.h. die Möglichkeit zu wirken, erteilt« (W. a. W. u. V. II. Bd., C. 4; Vierf. Wurz. C. 4, § 20). Die Naturkräfte sind von allem Wechsel ausgenommen, außer aller Zeit, stets und überall vorhanden (Vierf. Wurzel C. 4, § 20). Jede echte, ursprüngliche Naturkraft ist qualitas occulta, physikalisch unerklärbar (ib.). Die Materie (s. d.) manifestiert sich nur durch Kräfte, jede Kraft inhäriert einer Materie[570] (Parerga II, § 75). Kraft ist »jede Ursache, die man willkürlich oder gezwungen als eine letzte betrachtet« (Anmerk. S. 20). »Wir sind genötigt, bei Kräften zuletzt stehen zu bleiben, weil die Kategorie der Causalität in aufsteigender Linie Befriedigung sucht, d.h. von der Wirkung zur Ursache fortschreitet; wo sie die Ursache nicht mehr findet, setzen wir eine Kraft... gleichsam ein Merkzeichen, das wir anheften, um anzudeuten, wie weit wir im Regreß gekommen« (l.c. S. 144). Die Naturkräfte sind Erscheinungen des Willens (s. d.). »Die einzelne Veränderung hat immer wieder eine ebenso einzelne Veränderung, nicht aber die Kraft zur Ursache, deren Wirkung sie ist. Denn das eben, was einer Ursache immer die Wirksamkeit verleiht, ist als solche grundlos, d.h. liegt ganz außerhalb der Kette der Ursachen und überhaupt des Gebietes des Satzes vom Grunde und wird philosophisch erkannt als unmittelbare Objectität des Willens, der das An-sich der gesamten Natur ist« (W. a. W. u. V. I. Bd., § 26; Parerga II, § 75). »Daß das Wesen der Kräfte in der unorganischen Natur identisch mit dem Willen in uns ist, stellt sich jedem, der ernstlich nachdenkt, mit völliger Gewißheit und als erwiesene Wahrheit dar« (Neue Paralipom. § 163). – Zu metaphysischen Processen setzen den Kraftbegriff direct oder indirect auch folgende Philosophen in Beziehung. HERBART erklärt: »Vermittelst des Zusammen eines Wesens mit einem andern wird... auf jedes Accidenz das Sein bezogen, welches außerdem unmöglich wäre. Aber das Zusammen verdankt jedes Wesen dem andern, mit ihm darin begriffenen. Insofern sind die Accidenzen des einen zuzuschreiben dem andern, als einer Kraft« (Hauptp. d. Met. S. 38). Ursprünglich, für sich, ist kein Wesen Kraft, es ist es erst im »Zusammen« (s. d.) mit andern, in welchem die Wesen einander »stören« und sich selbst »erhalten«, was in unserer »zufälligen Ansicht« (s. d.) als Wirksamkeit sich darstellt. Ein Wesen kann auf unendlich vielerlei Art sich als Kraft äußern, »es hat aber gar keine Kraft, am wenigsten eine Mehrheit von Kräften« (l.c. S. 43; Allgem. Met. II). BENEKE versteht unter Kraft »das Wirkende in dem Geschehen«. Es gibt in der Seele ursprüngliche »Urkräfte«, auf deren Grundlage alle übrigen Kräfte erzeugt werden (Lehrb. d. Psychol.3, § 19). In den Dingen sind die Kräfte das Ursprüngliche, für die Erkenntnis ist es umgekehrt, denn wir müssen von der Erfahrung erst auf Kräfte schließen (l.c. § 20). In der Seele gibt es eine Vielheit von Urkräften, die aber in inniger Verbindung miteinander stehen (ib.), sie sind, vor ihrer »Erfüllung«, Strebungen (l.c. § 25; vgl. Seelenvermögen). Eine Eigenschaft der »sinnlichen Urvermögen« ist die Kräftigkeit, d.h. die Vollkommenheit, mit der die Reize angeeignet worden sind (l.c. § 33; vgl. Syst. d. Met. S. 311 ff.). J. H. FICHTE erklärt: »Das reale Wesen wird zur Kraft und zu Kräften erst durch die Verbindung mit anderen realen Wesen und die dabei eintretende Behauptung seiner Qualität der unterschiedenen Qualitäten des andern gegenüber« (Psychol. I, 6 f.). »Potentielle« Kraft ist das Maß von Intensität, welches jedem Realwesen eignet. »Lebendige« Kraft ist »die, welche an der einzelnen Gegenwirkung in bestimmter, aber nicht veränderlicher Stärke hervortritt«. Die potentielle Kraft ist »das Gesamtkraftmaß eines realen Wesens, welches in einem gegebenen Zustande desselben unveränderlich und unüberschreitbar dasselbe bleibt« (l.c. I, 7). Nach ULRICI ist die »Widerstandskraft« die »erste fundamentale Bestimmung des Seienden als Seienden«. Das Seiende als solches ist die »Kraft des Bestehens«, an welche alle andern Kräfte gebunden sind (Leib u. Seele S. 37). »Kein Körper, keine Substanz, also auch kein Atom wirkt für sich allein, selbsttätig,[571] unabhängig; keinem Stoffe kommt an und für sich eine Kraft oder Tätigkeit zu, die er unmittelbar und unbedingt ausübte« (Gott u. d. Nat. S. 59). Nach M. CARRIERE ist die Kraft »die Substanz der Dinge«. Das All ist ein »System von Kräften«. Es gibt »selbstlose« und »selbstseiende« Kräfte (Sittl. Weltordn. S. 32, 69). In der Kraft gibt es »das Vermögen, das ihr für sich zukommt« und die »Energie, die sie übt, sobald die Bedingung dazu eintritt« (l.c. S. 133). Nach O. CASPARI sind die Kräfte das Dauernde, das Wesen der Dinge. Die Kraft ist etwas Relatives, bedingt einen Widerstand (Zusammenh. d. Dinge S. 5, 10, 14 ff., 17, 21). Caspari lehrt einen »Kraft-Constitutionalismus« (l.c. S. 22). E. V. HARTMANN nennt die Kraft ein »spiritualistisches Princip« (Philo(s. d.) Unbew.3, S. 464). Sie ist Streben (actus) und zugleich Ziel des Strebens (l.c. S. 484). Ihrem inneren Wesen nach ist sie Wille (l.c. S. 485). Die Atomkräfte sind »individuelle Willensacte« (l.c. S. 486). »So wenig der subjectiv ideale Stoff einen Widerstand leisten kann, ebensowenig kann das Ich als subjectiv ideale Erscheinung eine Kraft entfalten oder auf den Stoff einwirken. Wenn das Bewußtsein die Willensintensität selbst zu erfassen meint, so erfaßt es in Wahrheit doch nur die Gefühlsintensität der durch das unbewußte, bewußtseinstranscendente Wollen ausgelösten Spannungsgefühle, also einen subjectiv idealen Widerschein der dynamisch-thelistischen Activität« (Kategorienlehre S. 346). Nach H. SPENCER ist die unerkennbare Urkraft das Absolute, Gott (s. d.). Spencer spricht von der »inscrutable power manifested to us through all phenomena« (First princ. § 31). MAINLÄNDER bemerkt: »Die Welt, die Gesamtheit der Dinge an sich, ist ein Ganzes von reinen Kräften, welche dem Subject zu Objecten werden« (Philo(s. d.) Erlös. S. 23). Alle Kräfte als solche sind entstanden (l.c. S. 44). Im Selbstbewußtsein erfassen wir die Kraft als »Willen zum Leben« (l.c. S. 44). Es gibt ein Gesetz der »Schwächung der Kraft« im Universum, Wille (s. d.) ist die Kraft an sich nach BAHNSEN, C. PETERS u. a. Nach WALLACE sind alle Kräfte wahrscheinlich Willenskräfte (Beitr. zur Theor. d. nat. Zuchtwahl 1870). Nach R. HAMERLING ist der Wille die allem Sein innewohnende Triebkraft (Atomist. d. Will. I, 263; II, 50). L. NOIRÉ erklärt: »Alles, was uns von außen als Kraft erscheint, ist innerlich Wille« (Einl. u. Begr. ein. monist. Erk. S. 193). Auch nach WUNDT liegen den Kräften Willenseinheiten (s. d.) zugrunde (s. unten). NIETZSCHE sieht das innere Wesen der Kraft als »Willen zur Macht« (s. d.) an (WW. XV, 280, 296). Die Dinge sind »dynamische Quanta, in einem Spannungsverhältnis zu allen anderen dynamischen Quanten«, sie bestehen aus Kraftcentren, »Herrschaftsgebilden«, »Willens-Punctationen, die beständig ihre Macht mehren oder verlieren« (WW. XV, 297, 299 f.). Nach LACHELIER ist Kraft Tendenz nach einem Ziele, nach Realisation; die Welt besteht aus einfachen geistigen Kräften. Ähnlich nach RENOUVIER (s. Monaden). Nach FOUILLÉE wirken in der Welt »idées-forces« (s. d.). Nach DROSSBACH ist Kraft »das auf Realisierung des Ideals, auf Vollkommenheit der Verhältnisse, mithin auf ein Ziel gerichtete Streben« (Üb. d. Obj. d. sinnl. Wahrnehm. S. 141). Nach F. ERHARDT ist die Kraft (Das Bewegliche im Raume, Wechselwirk. zwisch. Leib u. Seele S. 101 ff.) das Ding an sich der Materie (Met. I, 575, 577). Sie ist selbst die Substanz, bedarf keines Trägers (l.c. S. 580 f.). Nach L. DUMONT ist die Kraft die Menge der Causalität, durch welche das Sein sich offenbart; von »innen« ist sie bewußt (Vergn. u. Schm. S. 163 f.). R. WAHLE schreibt die wahre Kraft den »Urfactoren« zu. Die phänomenale Welt ist unkräftig (Erkl. d. Eth. Spinoz. S. 193). – Nach[572] ÜBERWEG sind Kraft und Materie zweifache Auffassungen einer »untrennbaren Einheit« (Log. S. 84). Nach E. HAECKEL sind sie »nur verschiedene unveräußerliche Erscheinungen eines einzigen Weltwesens, der Substanz« (Der Monism. S. 14; Welträts.). Nach L. BÜCHNER bilden Kraft und Stoff eine Einheit. Die Kräfte sind Eigenschaften der Stoffe (Kr. u. St.15, S. 31). Die Kraft muß man betrachten »als einen Tätigkeitszustand oder als Bewegung des Stoffes oder der kleinsten Stoffteilchen oder auch als eine Fähigkeit hierzu, oder noch genauer als einen Ausdruck für die Ursache einer möglichen oder wirklichen Bewegung« (l.c. S. 10). – Nach HAGEMANN sind Kraft und Stoff für sich genommen nur Abstracta. »Betrachten wir nämlich die Körper in ihrem wirkungslosen Dasein als das Raumerfüllende, Beharrliche, was aus sieh nicht zur Bewegung oder zur Ruhe kommt, so nennen wir dieses Stoff oder Materie. Dasjenige hingegen, was den verschiedenen Eigenschaften und Wirkungsweisen der Körper zugrunde liegt, nennen wir die Kräfte derselben« (Met. S. 65).

Als (objectiver oder subjectiver) causaler Beziehungsbegriff wird die Kraft verschiedentlich formuliert. R. MAYER faßt die Kraft im Sinne der Energie (s. d.), als Arbeitsleistung, auf und spricht den Gedanken der »Erhaltung der Kraft« aus (vgl. Energie, dort auch HELMHOLTZ). Es gibt nur eine einzige Kraft. »In ewigem Wechsel kreist dieselbe in der toten wie in der lebenden Natur; dort und hier kein Vorgang ohne Formänderung der Kraft.« Formen der Kraft sind Fallkraft, Bewegung, Wärme u.s.w. Das Hypothetische im Kraftbegriffe wird eliminiert (Bemerk. üb. d. Kräfte d. unbelebt. Nat. 1842; Die organ. Beweg. 1846). Nach E. H. WEBER ist die Kraft »die unbekannte Ursache derjenigen Wechselwirkung der Körper, die sich durch Bewegung oder durch Druck äußert, die aber für uns kein Phänomen ist«. »Der einzige Fall, wo wir von dieser unbekannten Ursache etwas mehr wissen, ist eben der, wo unser Wille die Ursache oder ein Teil der Ursache des Denkens ist, den wir fühlen« (Tastsinn u. Gemeingef. S. 85). Nach REDTENBACHER besteht die Kraft »in der Fähigkeit der Körper, wechselseitig anziehend oder abstoßend einzuwirken und dadurch die Zustände ihres Seins verändern zu können« (Das Dynamidensyst. 1857, S. 11 ff.). Nach LOTZE bezeichnet die Kraft »nichts weiter als die Fähigkeit und die Nötigung zu einer nach Art und Größe bestimmten zukünftigen Leistung, die allemal eintreten wird, sobald eine bestimmte Bedingung realisiert sein wird, und die solange nicht eintritt, als diese Bedingung nicht realisiert ist« (Gr. d. Met. § 61). Nur in Beziehung zueinander haben die Körper Kräfte (ib.). FECHNER bemerkt: »Was man jedem Körper an Kraft besonders beilegt, ist nur der Anteil, mit dem er je nach seiner Individualität und Stellung zu andern Körpern zur Erfüllung des Gesetzes beiträgt« (Üb. d. physikal. u. philosoph. Atomenlehre2, S. 121). Nach O. LIEBMANN ist die Kraft »der in rerum natura liegende objective Realgrund, daß das Gesetz gilt«. Die Kraft ist ein »Grenzbegriff« (Anal. d. Wirkl.2, S. 285); sie ist das »Realprincip« des Geschehens (ib.). Nach VOLKMANN ist die Kraft »eine unbekannte Eigenschaft der Ursache« (Lehrb. d. Psychol. II4, 279). Nach VOLKELT ist sie »Betätigung der Ursache nach der Richtung hin« (Erfahr. u. Denk. S. 234). Nach WUNDT ist Kraft »die an die Substanz gebundene Causalität«. Physikalisch ist sie »die Beschleunigung, die an einer Masse von bestimmter Größe hervorgebracht wird« (Log. I2, S. 583 f., 614 ff., 625; II2 1, 327 ff.; Syst. d. Philos.2, S. 279 ff.). Die Materie (s. d.) ist das System der Ausgangs- und Angriffspunkte der Kräfte (l.c. Log. II2, 1, S. 327 ff.; Syst. d. Philos.2, S. 284 ff.; Philos. Stud. X, 11 ff.; XII, 3. Artikel).[573] Die Kraft einer Substanz ist die Eigenschaft, vermöge deren sie ihre Wirkung ausübt. Alle Kräfte in der Natur sind »bewegende Kräfte und wirken zwischen räumlich getrennten Teilen der Materie«. Sie sind alle »Centrallkräfte«, d.h. »sie gehen von bestimmten Punkten des Raumes aus, an denen sich substantielle Träger der Kräfte (Kraftpunkte oder Kraftatome) befinden«. Die vier allgemeinsten »dynamischen Principien« sind: 1) das Trägheitsprincip, das den Charakter einer »permanenten Hypothese« hat; 2) das »Princip der Centralkräfte«: »Jede Kraft wirkt in der geraden Verbindungslinie ihres Ausgangs- und Angriffspunktes, und ihre Wirkung besteht in einer Geschwindigkeitsänderung, die der Größe der Kraft direct und der Masse, auf die sie wirkt, umgekehrt proportional ist«; 3) das »Princip der Gegenwirkung«; 4) das »Princip der Kräfteverbindung« (Syst. d. Philos.2, S. 476 ff.; Log. I2, S. 614 ff.; II2 l, 327 ff.). Die »Kraftgleichungen« »enthalten als Wirkungen die Beschleunigungen irgend welcher Massen, als Ursachen die Componenten samt den mit ihnen verbundenen speciellen Bedingungen, unter denen die Componenten stehen« (Log. II2 1, 327 ff.). Die psychische Kraft besteht in der »Wirksamkeit des wollenden Ich in Bezug auf die ihm gegebenen Vorstellungen«, sie ist rein actuell (s. d.), bedeutet im engeren Sinne »die Wirkungsfähigkeit in Bezug auf die active Apperception der Vorstellungen« (Log. I2, S. 625 ff.). Nach R. WAHLE ist Kraft empirisch »passive und active Beeinflussungsfähigkeit«. Die Kraft selbst ist ein völliges x, ein Postulat, daß Veränderung nicht durch Bleiben erfaßt werde (Das Ganze d. Philos. S. 113 ff.).

Den idealistischen Kraftbegriff, nach welchem Kraft nichts ist als Gesetzmäßigkeit (s. d.), Notwendigkeit empirischer Verknüpfungen, haben die Kantianer (s. d.) und Immanenzphilosophen (s. d.). Nach SCHUPPE bedeuten die Begriffe: Kraft, Vermögen, Fähigkeit, Anlage nur »Causalbeziehungen«, nicht Wahrnehmungsinhalte (Log. S. 72). Sie bedeuten nur die direct zum Sein der Dinge gerechnete Notwendigkeit, nach welcher dem a ein b folgt. »Um wessenwillen ein Ereignis möglich genannt wird, um deswillen wird einem Dinge die Kraft, es zu bewirken, zugesprochen« (l.c. S. 73). Die psychischen Kräfte (Vermögen, Anlagen) sind »das direct zum psychischen Sein gehörige, es ausmachende Gesetz, daß unter bestimmten Umständen die und die Regungen oder Bestimmtheiten bewußt werden oder im Bewußtsein auftreten« (l.c. S. 73). SCHUBERT-SOLDERN versteht unter Kraft die gesetzmäßige Notwendigkeit des Eintretens bestimmter Veränderungen unter bestimmten Bedingungen (Gr. ein. Erk. S. 62), die Erwartung einer bestimmten Veränderung (l.c. S. 144).

Den (metaphysischen) Kraftbegriff will aus der Physik d'ALEMBERT eliminieren (Trait. de dynam., préf.). So auch COMTES Positivismus (s. d.). Ferner KIRCHHOFF (Vorles. üb. mathem. Phys. I, S. 5 ff). CZOLBE betont: »Das Verlangen, für die Bewegung als Ursachen nicht nur unbekannte, sondern auch undenkbare Kräfte zu finden, beruht... nur auf der theologischen Neigung nach einer Welt des Unbegreiflichen, die hier ausgeschlossen ist. Der Begriff Kräfte kann wohl aus Bequemlichkeitsrücksichten für die unsichtbaren, elementaren Bewegungen der Atome gebraucht werden, ihn aber für die tiefere Ursache derselben anzusehen, ist durchaus falsch und verwirrend. Derartige Kräfte gibt es nicht« (Gr. u. Ursp. d. m. Erk. S. 82). Kraft ist nichts als der im Raume befindliche anschauliche Gegensatz (Neue Darstell. d. Sensual. S. 110). Nach DUBOIS-REYMOND sind Kraft und Materie Abstractionen der Dinge, die vereinzelt keinen Bestand haben. Die Kraft ist nur »eine versteckte Ausgeburt[574] unseres Hanges zur Personification«. In Wahrheit ist sie nichts als »das Maß, nicht die Ursache der Bewegung« (Untersuch. üb. tier. Elektricit. I, Vorw. S. XLI, XLII). E. MACH hält die Anwendung des Kraftbegriffs für »Fetischismus« (Populärwiss. Vorles. S. 259). Es gibt nur »Abhängigkeiten« (s. d.). Ähnlich R. AVENARIUS, auch STALLO, HERTZ. Nach OSTWALD ist der physikalische Grundbegriff nicht die Kraft oder Materie (s. d.), sondern die Energie (s. d.). Kraft ist »das, was sich der Bewegung der Körper widersetzt« (Vorles. üb. Naturphilos.2, S.157). Masse ist nur »die besondere Eigenschaft, von der die Energie eines bewegten Körpers außer seiner Geschwindigkeit abhängt« (l.c. S. 185), »Capacität für Bewegungsenergie« (l.c. S. 283 f.), »die Eigenschaft eines gegebenen Objectes unter dem Einfluß von Bewegungsursachen eine bestimmte Geschwindigkeit anzunehmen« (Energet. S. 6 f., 13). Nach H. CORNELIUS bezeichnen »Massen« und »Kräfte« nichts anderes als »gesetzmäßige Zusammenhänge von Wahrnehmungen«. Der Wert dieser Begriffe »beruht nur darin, daß durch ihre Einführung die Beschreibung unserer Erfahrungen eine Vereinfachung erfährt« (wie bei MACH; Einl. in d. Philos. S. 327). Ähnlich H. KLEINPETER. CLIFFORD erklärt: »Eine gewisse veränderliche Eigenschaft des Stoffes (der Grad der Veränderung seiner Bewegung) hat sich als beständig an seine relative Lage zu anderem Stoffe gebunden herausgestellt; betrachtet man sie beschrieben durch Ausdrücke, die sich auf diese Lage beziehen, so heißt sie Kraft. Kraft ist somit eine Abstraction, die sich auf objective Tatsachen bezieht; sie ist eine der Arten der Ordnung meiner Empfindungen« (Von d. Nat. d. Dinge an sich S. 34). Vgl. SECCHI, Die Einheit der Naturkräfte 1876. – Vgl. Causalität, Gesetz, Vermögen, Substanz, Object, Wirken, Energie, Ich, Seele, Seelenvermögen.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 565-575.
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