Sein

[330] Sein (einai, hyparchein. esse, essentia, existentia) ist ein Begriff, der aus einer Stellung des Denkens zu seinen Inhalten entspringt, wonach diese Inhalte in bestimmter Weise gesetzt, gewertet werden. »Sein« bedeutet zunächst als Existenz (Dasein) keine Qualität, keine dingliche Eigenschaft u. dgl., sondern die Meinung, daß ein Denkinhalt mehr bedeutet als ein bloßes Wort, eine bloße Vorstellung, Einbildung u. dgl., nämlich ein außer dem Denkacte und momentanen Erlebnis Vorfindbares, in einem allgemeinen, gesetzmäßigen Erlebniszusammenhange Enthaltenes. »A ist« bedeutet demnach: A ist der Name nicht eines Hirngespinstes, nicht eines Phantasiewesens, sondern der Name, Begriff eines zur Außen- oder Innenwelt Gehörenden, damit also dem bloßen Gedachtwerden selbständig Gegenüberstehenden, Unabhängigen, wenn auch deshalb noch nicht immer »Transcendenten« (s. d.). Der Existentialbegriff setzt schon die Wahrnehmung und Anerkennung bezw. Setzung einer Welt von Dingen, Eigenschaften und Beziehungen fester Art voraus. Das Existentialurteil (A ist, existiert. es gibt ein A) sagt aus, A sei der Begriff eines in der (Außen- oder Innen-)Welt Vorkommenden, Bestehenden, eines Gliedes des gesetzmäßigen Zusammenhanges möglicher Erlebnisse. In diesem Sinne kann alles Existenz haben: Physisches, Psychisches, Dinge, Eigenschaften, Beziehungen, wenn das Gedachte nur (mit Recht) mehr bedeutet als Gedachtes, insofern es eben bloß gedacht wird. Im engeren Sinne aber bedeutet Existieren, »Sein« noch mehr als das Mehr-als-gedachtwerden, es bedeutet das Für-sich-bestehen, ein Eigenes, Selbständiges, Wirkungsfähiges, eine Art Ich (s. d) darstellen. Das Ich erfaßt sich unmittelbar als ein Seiendes, Selbständiges, und in dem Gedanken des Seins (im engeren Sinne, dem Realsein) überträgt es den eigenen Wirklichkeitscharakter auf das Object. A ist, heißt nun: Es ist ein dem Ich an Selbständigkeit Analoges, Gleichwertiges, es hat (nicht bloß Object-, sondern auch) Subject-Wert. »Sein« als Copula (s. d.) bedeutet zunächst die Beziehung des Prädicats aufs Subject, nicht die Existenz des Subjectes, wohl aber doch (implicite, ursprünglich) die Auffassung des Subjects als »Träger« der Prädicatsmerkmale, als »Subject« im Ursinne des Wortes, als Ichheit. »S ist P« bedeutet ursprünglich: S hat P in sich, ist in P gegeben, wirksam, P gehört zu S als Zustand, Tätigkeit u.s.w. des S. nur wird später die ontologische Bedeutung durch die rein logische der Begriffsbeziehung verdrängt, welche aber[330] doch, im Geltungsbewußtsein, an das Existentiale erinnert (S ist P meint: S ist wahrhaft, wirklich, tatsächlich, »in re« P). – Im engsten Sinne bedeutet das Sein den Gegensatz zum Werden (s. d.), nämlich die feste, dauernde Existenz, die Existenz durch alle Zeit hindurch oder aber die zeitlose, überzeitliche Permanenz, das Mit-sich-identisch-bleiben, Beharren. Empirisch können wir nur relatives Sein setzen, aber das Denken verabsolutiert den Begriff des Beins, indem es das Seinsmoment, das in der Wirklichkeit dem des Werdens als Correlat gegenübersteht, hypostasiert. In Wahrheit ist die Wirklichkeit seiend und werdend zugleich, sie ist, bleibt ewig im Werden und wird, verändert sich als Seiendes. – Das Sein bedeutet auch oft die Wesenheit (s. d.), Essenz, das wesentliche, allgemeine Sein im Unterschiede von der Existenz, der besondern, zufälligen äußerlichen Form des Seins.

Der Seinsbegriff wird bald als angeboren, bald als apriorischer Begriff, als Kategorie, bald als (äußerer oder innerer) Erfahrungsbegriff, bald als aus der Stellung des Denkens zur Erfahrung entspringend bestimmt. Der Realismus (s. d.) bezieht das Sein auf transcendente (s. d.) Wirklichkeiten, der Idealismus (s. d.) auf Bewußtseinsinhalte, Immanentes (s. d.). »Existenz« wird bald als Eigenschaft, Modus der Objecte, bald als ursprünglicher Bestandteil der Vorstellungen, bald als gedanklicher Setzungscharakter, bald als Wahrnehmungsmöglichkeit, bald als Wirkungsfähigkeit, bald als Für-sich-sein u. dgl. gedeutet.

Die antike und mittelalterliche Philosophie fast das Sein (das oft mit dem Seienden und mit dem Wesen identificiert wird) als allgemeinsten Denkinhalt, der zugleich allgemeinster Weltinhalt ist, auf. Die Existenz wird vielfach als Form, als »Complement« des Seins bestimmt. Den Gedanken des absoluten Seins entwickeln zuerst die Eleaten (s. d.). Nach PARMENIDES gibt es (im Gegensatz zu HERAKLIT) kein Werden, nur das Sein ist, hat Wahrheit, ist das dem Denken correlate Object (Sext. Emp. adv. Math. VII, 111). Das Nichtseiende kann nicht gedacht werden, ist nicht (Plat., Soph. 237 A, 258 E. Arist., Met. XIV, 2. Mull., Fragm. I, 33. Plat., Parm. 163C: to mê esti legomenon haplôs sêmainei, hoti oudamôs oudamê estin oude pê metechei ousia to ge mê on). Sein und Denken (Gedachtwerden, Denkobject) sind identisch (s. d.): to gar auto noein estin te kai einai (Plot., Enn. V, 1, 8). Das Denken muß den Sinnentrug überwinden und die Welt als das Seiende erkennen. Dieses ist ungeworden, unvergänglich, einheitlich, ewig, unbeweglich, stetig, unteilbar, identisch mit sich, sphärisch, denkend: hôs agenêton eon kai anôlethron estin, oulon, mounogenes te kai atremes êd' ateleston, oide pot' ên oud' estai, epei nyn estin homou pan, hen xyneches, oude diaireton estin, epei pan estin homoion, akinêton, estin anarchon, apauson, tôuton t' en tôutô te menon kath' eauto te keitai sphairê (Simpl. ad Phys. f. 31. Mull., Fr. 1, 114 ff.). Das Sein kann nicht (aus dem Nichtseienden, welches nicht existiert) entstanden sein. Nach MELISSUS ist das Seiende ohne Vielheit einheitlich, unbewegt, unveränderlich, ewig, unbegrenzt (apeiron), nicht körperhaft (sôma mê echein, Simpl. ad Phys. 24, 110, 1 D. aiei eon ara estin. oute ara gegone to eon, oute phtharêsetai. aiei ara ên te kai estai, l. c. 22, 103, 13D). ei de apeiron, hen. ei gar dyo eiê, ouk an dynaito apeira einai, all' echoi an peirata pros allêla. apeiron de to eon. ouk ara pleiô ta eonta. hen ara to eon (l. c. 28 D). Auf das Werden führt das Sein PROTAGORAS zurück: ek de tês phoras te kai kinêseôs kai kraseôs pros allêla gignetai panta, ha dê phamen einai, ouk orthôs prosagoreuontes. esti men gar oudepot' ouden, aei de gignetai

(Plat., Theset. 152 D). Die Einheitlichkeit[331] des unveränderlich Seienden lehren die Megariker (to on hen einai kai to heteron mê einai, mêde gennasthai ti mêde phtheiresthai mêde kineisthai to parapan (Plat., Soph. 246 B, 248 A). PLATO versteht unter dem Seienden das an sich wesenhafte Object des Denkens, die Idee (s. d.), im Unterschiede vom vergänglichen Sinnendinge, das nur raum-zeitliche Existenz (vgl. die Zusammenstellung der Platonischen Bedeutungen von einai, on, ousia bei Natorp, Platos Ideenlehre, S. 465 f.). Nach ARISTOTELES bezieht sich das Sein auf alle Kategorien als allgemeinstes Prädicat. das Seiende hat an allen Kategorien Anteil (Met. VII 1, 1028 a 10 squ.), ist aber kein Gattungsbegriff, weil es keine Arten hat (oute to hen oute to on einai genos, l. c. III 3, 998 b 22). das Sein ist immer das gleiche. Das Sein kommt einem Subjecte entweder kata symbebêkos oder kath' hauto, ôs alêthes on zu (l. c. V 7, 1017a squ.. VI 4, 1027b 33), ferner entelecheia und dynamei (hylikôs, l. c. XIII 3, 1078 a 30). Das Seiende wird im Begriffe (s. d.) erfaßt. Die Existenz ist das exô einai (l. c. XII 8, 1065a 24), hyparchein (s. Object). STRATO (vgl. Prokl. in Tim. 242 E) und die Stoiker erblicken im Seienden (on) die oberste Kategorie. Verschiedene Grade des Seins unterscheidet PHILO. PLOTIN betrachtet als Princip des Seienden ein Überseiendes, aus dem das Seiende emaniert (Enn. III, 8, 10). Das Sein ist Product des Geistes (nous). Indem das Eine sich schaut, wird es zugleich Denken und Sein (l. c. V, 2, 1). Denken und Seiendes sind identisch, der nous selbst ist alles (l. c. V, 4, 2). Das Seiende ist die intelligible Welt (l. c. VI, 2, 2). Das Sein ist ewiges Schaffen, Setzen (l. c. VI, 8, 20), ein schauend Sich-selbst-setzen des Absoluten (l. c. VI, 8, 16).

Nach GREGOR VON NYSSA ist das eminent Seiende Gott: to de kyriôs kai prôtôs on hê theia physis estin, hên ex anankês pisteuein en pasin einai tois ousin hê diamonê tôn ontôn katanankazei (bei Ritter VI, 129). Auch nach AUGUSTINUS ist wahrhaft seiend nur das der Veränderung nicht Unterworfene, Gott (Confess. VII, 11). Die Existenz ist ein »modus essendi«. SCOTUS ERIUGENA bestimmt: »Omnia, quae corporeo sensui vel intelligentiae perceptioni sucaumbunt, posse rationabiliter dici esse. ea vero, quae per excellentiam suae naturae non solum hylên, i.e. omnem sensum vel etiam intellectum rationemque fugiunt, iure videri non esse« (De div. nat. I, 3). »Inferioris enim affirmatio superioris est negatio, itemque inferioris negatio est superioris affirmatio... Hac item ratione omnis ordo rationalis et intellectualis creaturae esse dicitur et non esse. Est enim, quantum a superioribus vel a se ipso cognoscitur, non est autem, quantum ab inferioribus se comprehendi nen sinit« (l. c. I, 4). »Quiaquid enim causarum in materia formata in temporibus et locis per generationem cognoscitur, quadam humana consuetudine dicitur esse« (l. c. I, 5). »Quartus modus est, qui secundum philosophos non improbabiliter ea solummodo, quae solo comprehenduntur intellectu, dicit vere esse, quae vero per generationem... variantur, colliguntur, solvantur, vere dicuntur non esse, ut sunt omnia corpora« (l. c. I, 6.). Die Scholatsiker überhaupt unterscheiden »esse per essentiam« (göttliches Sein) und »esse participatum« (geschaffenes Sein), ferner Sein als Wesenheit (essentia) und Existenz, Dasein als verwirklichtes Sein. ALANUS AB INSULIS bemerkt: »Solus deus vere existit, id est simpliciter et immobiliter ens, cetera autem vere non sunt, quia numquam in eodem statu persistunt« (Regulae de sacra theol. 2). RICHARD VON ST. VICTOR erklärt: »Omne, quod est vel esse potest, aut ab altero habet esse, aut esse coepit ex tempore. Omne, quod est aut esse potest, aut habet esse a semetipso, aut habet esse ab alio, quam[332] a semetipso« (De trin. I, 6). – AVICENNA erklärt: »Esse omnium fieri est, prater esse primi, quad ab alio esse non habet.« ALBERTUS MAGNUS: »Esse continuus fluxus est ab ente primo in omne, quod causatum vel creatum est« (Sum. th. I, 22, 3). »Esse non praedicatur de substantia ut genus, vel differentia, nec potentia eius, nec ut actus: sed praedicatur ut creatum primum ab alio participaum« (l. c. I, 19, 3). THOMAS betont, das »ens« sei kein »genus« (Sum. th. I, 3, 5c. Contr. gent. I, 25). Das »esse« ist 1) »quidditas vel natura rei«, 2) »actus essentiae« (l sent. 33, 1, 1 ad 1). »Modus operandi uniuseuiusque rei sequitur modum essendi ipsius« (Sum. th. I, 89, 1c). »Ens« ist der Begriff, in welchem der Intellect »omnes conceptiones resolvit« (De verit. I, 1). »Illud quod primo cadit in apprehensione, est ens« (Sum. th. II, 4, 2). »Existere« ist »esse reale«, »subsistere«. Zu unterscheiden ist: »existere actu« und »intellectu«, »per se« und »in alio« (Sum. th. I, 75, 2 ad 2), »ens extra animam«, »per accidens«, »essentialiter« (Contr. gent. I, 25). DUNS SCOTUS erklärt: »Substantiae duplex est esse, sc. esse essentiae et existentiae. Esse existere primo consequitur ipsum individuum.« »Ens est duplex, scil. naturae et rationis. Ens autem naturae, in quantum tale, est cuius esse non dependet ab anima« (Elench. 1). Nach FRANC. MAYRONIS ist Existenz »illud esse, mediante quo quidditas existit« (bei Prantl, G. d. L. III, 290). Nach AEGYDIUS ist das »esse« des Dinges das Actuationsprincip der »essentia« des Dinges. Nach MENDOZA ist die Existenz der »actus entitativus«, »actus essendi« (Disp. met. VIII, 1, 2).

Nach GOCLEN ist Existenz der »modus rei, quo res dicitur extra nihilum et a suis causa producfa« (Lex. philos. p. 197). Nach MICRAELIUS bezeichnet »ens« »illud, quod actu est in mundo«. »Existentia« ist »actualis essentia, qua res hic et nunc est, id est in certo loco et tempore. estque vel realis, quam quid habet ex parte rei existens extra causas, vel obiectiva, quam res habent, prout sunt cognitae ab intellectu« (Lex. philos. p. 381 ff.). »Ens est primo cognitum seu conceptus generalissimus, quo aliquid concipitur extra nihilum positum.« »Ens reale est, quod extra intellectus fictionem in rerum natura vere ponitur realiter non obiective tantum« (l. c. p. 383). – Nach PATRITIUS ist das Sein »actus entis«, das Band aller Formen (Panarch. XIII, 28). CAMPANELLA bestimmt: »Existere est facere permanens sicut facere est existere fluens« (Univ. philos. VIII, 4, 3), womit die Relativität des Seins ausgesprochen ist »Cognoscere est esse.« »Notitia sui est esse suum, notitia aliorum est esse aliorum« (l. c. VI, 8, 4).

Nach DESCARTES erfaßt das Ich sein eigenes Sein unmittelbar als denkendes (S. Cogito). CLAUBERG erklärt: »Existentia dicitur, per quam ens actu est, seu per quam habet essentiam actu in rerum natura constitutam« (Opp. P. 296). Nach GEULINCX kommt nur Gott und dem Ewigen ein wahres Sein zu (Met. P. 96 f.). Ähnlich lehrt SPINOZA, nur Gott, die Substanz (s. d.) habe absolutes Sein. Die Existenz ist in jedem Dingbegriff enthalten: »In omnis rei idea sire conceptu continetur existentia, vel possibilis vel necessaria« (Ren. Cart. pr. ph. I, ax. VI) Scholastisch wird von ihm Existenz als Vollkommenheit, als Macht (potentia) aufgefaßt (Eth. I, prop. XI, dem. II). Ontologisch (6. d.) wird behauptet, zum Begriffe der Substanz gehöre das Sein: »Ad naturam substantiae pertinet existere – ipsius essantia involvit necessario existantiam« (Eth. I, prop. VII). Gottes Essenz und Existenz sind eins (l. c. I, prop. -XX). »Esse essentiale« ist »modus ille, quo ras creatae in attributis Dei comprehenduntur«. »Esse ideae« – »prout omnia obiectiva in idea Dei[333] continentur.« »Esse existentiae« – »ipsa rerum essentia extra Deum et in se considerata, tribuiturque rebus postquam a Deo creatae sunt« (Cog. met. I, 2). BAYLE erklärt scholastisch, Existenz sei »ce par quoi la chose est formellement et intrinsèquement hors de l'état de possibilité et dans l'état d'actualité« (Syst. de philos. p. 158).

Aus dem Wesen unseres Geistes selbst, aus innerer Erfahrung stammt der Seinsbegriff nach LEIBNIZ: »Les idées intellectuelles et do réflexion sont tirées de notre esprit. Et je voudrais bien savoir, comment nous pourrions avoir l'idée de l'être, si nous n'étions des êtres nous-mêmes et ne trouvions ainsi l'être en nous« (NOUV. Ess. I, ch. 1, § 23). Aus dem Selbstbewußtsein leitet den Seinsbegriff D'ALEMBERT ab (Mélang. philos.), später auch ROYER – COLLARD u.a. – BONNET erklärt: »Toutes les choses qui sont, soit les idées, soit les corps, ont une qualité commune, celle d'être« (Ess. anal. XV, 251). Nach HOLBACH ist Existieren »éprouver les mourements propres à une essence déterminée« (Syst. de la nat. I, ch. 4, p. 48). DESTUTT DE TRACY erklärt: »Etre voulant et être résistant, c'est être réellement, c'est être« (Elem. d'idéol. I, ch. 8, p. 137). Vgl.

TURGOT, Encycl., Art. »Existence«.

LOCKE erklärt: »When ideas are in our mind, we consider things to be actually there, as well we consider things to be actually without us. which is, that they exist, or have existence« (Ess. II, ch. 7, § 7). »Of real existence we have an intuitive knowledge of our own, demonstrative of God's, sensitive of some for other things« (l c. ch. 3, § 21). Nach DIGBY ist Existenz »propria hominis affectio«. »Res enim quaelibet particularis in homine existit per quandam (ut ita dicam) sui insitionem in ipso existentiae sive entis trunco iuxtaque experimur nihil a nobis loquendo exprimi, cui entis appellationem non tribuamus, nihil mente concipi quod sub entis notione non apprehendamus« (Treat. of the nat. Of bodies, 1644. Demonstr. immortal. an. II, 1, § 8). Nach COLLIER ist alle objective Existenz nur Existenz im Bewußtsein. »lt is with me a first principle, that whatsoever is seen, is« (Clav. univ. p. 5). »bodies, which are supposed to exist, do not exist externally« (l. c. p. 6). es gibt nur für sie »inexistence in mind.« Nach BERKELEY ist alles objective Sein nur Sein im Bewußtsein, »percipi«, Vorgestellt-sein oder Vorgestellt-werden-können (Princ. II). »Sage ich: Der Tisch, an dein ich schreibe, existiert, so heißt das: ich sehe und fühle ihn. wäre ich außerhalb meiner Studierstube, so könnte ich die Existenz desselben in dem Sinne aussagen, daß ich, wenn ich in meiner Studierstube wäre, denselben percipieren konnte, oder daß irgend ein anderer Geist denselben gegenwärtig percipiere« (l. c. III). Absolute Existenz ist für ein Object (s. d.) ein Widerspruch (l. c. XXIV). – Nach HUME ist etwas vorstellen und etwas als existierend vorstellen dasselbe. Die »idea of existence« ist »nothing different from the idea of any object« (Treat. III, sct. 7). »There is no impression nor idea of ansy kind, of which we have any consciousness or memory, that is not conceiv'd as existent. – The idea of existence is the very same with the idea of thot we conceive to be existent. – To reflect in any thing simply and to reflect in it as existent, are nothing different from each other. Whatever we conceive, we conceive to be exustent.« Die Vorstellung der Existenz fügt zur Vorstellung eines Gegenstandes nichts hinzu (»makes no addition to it«, Treat II, sct. 6). Wir kennen nur die Existenz von Perceptionen. Nach REID schließt die Wahrnehmung die gegenwärtige Existenz ihres Objectes ein, während die Imagination sich neutral[334] verhält (Inqu. ch 2, sct. 3). Die Existenz eines Wahrgenommenen muß der Geist notwendig annehmen (l. c. sct. 5). Scholastisch erklärt CHR. WOLF Existenz als »complementum possibilitatis«, »actualitas« (Ontolog. § 174). Nach BAUMGARTEN ist sie »complexus affectionum in aliquo compossibilium« (Met. § 55). – Nach CRUSIUS besteht Existenz darin, »daß ein gedachtes Ding irgendwo und zu irgend einer Zeit sei« (Vernunftwahrh. § 46). Nach LAMBERT ist der Existenzbegriff mit dem Denken notwendig verbunden (Neues Organ. Aleth. § 71, S. 499). Nach FEDER ist »Sein« das »beständige Scheinen bei dem ordentlichen Zustande der menschlichen Natur, bei der richtigen Empfindung« (Log. u. Met. S. 136). – MENDELSSOHN erklärt: »Wenn wir von uns selbst ausgehen..., so ist Dasein bloß ein gemeinschaftliches Wort für Wirken und Leiden« (Morgenst. I, 5). »A sein und als A gedacht werden, ist der Sprache sowie dem Begriffe nach eben dasselbe« (l. c. 1. 6). Ein »Vorhandensein« läßt sich nur durch die Sinne beweisen, nicht aus der bloßen Möglichkeit (Üb. d. Evid. S. 38). Nach PLATNER ist Existenz »nichts anderes als wirken« (Philos. Aphor. I, § 848). »Existenz ist ein einfacher Begriff, keine Eigenschaft eines wirklichen Dinges, sondern dessen Wirklichkeit selbst, welche vorausgesetzt wird vor der Gedanklichkeit irgend einer Eigenschaft« (l. c. § 849). Der Begriff »Existenz« entsteht empirisch »aus dem Gefühl meines eigenen Wirkens und dann aus der wahrgenommenen Einwirkung äußerer Dinge auf mein Vorstellungsvermögen« (Log. u. Met. S. 113). »Existenz ist ein einfacher Begriff« (l. c. S. 115). BOUTERWEK betont: »Ohne das unmittelbare Bewußtsein des Daseins hätten wir gar keinen Begriff vom Dasein« (Lehrb. d. philos.. Wiss. I, 99). Nach HERDER ist Sein »kräftiges Dasein zur Fortdauer« (Verst. u. Erfahr. I, 134). LICHTENBERG bemerkt: »Mir kommt es immer vor, als wenn der Begriff sein etwas von unserem Denken Erborgtes wäre, und wenn es keine empfindenden und denkenden Geschöpfe mehr gibt, so ist auch nichts mehr« (Verm. Schr. 1801, II, 12 f.).

Daß Existenz, Sein keine Eigenschaft der Dinge, sondern Position, Setzung (s. d.) durch das Denken (anderseits eine Kategorie, s. d.) ist, betont KANT. Sein ist »kein reales Prädicat, d. i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne. Es ist bloß die Position eines Dinges oder gewisser Bestimmungen an sich selbst. Im logischen Gebrauche ist es lediglich, die Copula eines Urteils..., das, was das Prädicat beziehungsweise aufs Subject setzt« (Krit. d. rein. Vern. S. 472). »Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr als hundert mögliche« (l. c. S. 473). »Denn durch den Begriff wird der Gegenstand nur mit den allgemeinen Bedingungen einer möglichen empirischen, Erkenntnis überhaupt als einstimmig, durch die Existenz aber als in dem Context der gesamten Erfahrung enthalten gedacht.« »Unser Begriff, von einem Gegenstande mag also enthalten, was und wieviel er wolle, so müssen wir doch aus ihm herausgehen, um diesem die Existenz zu erteilen. Bei Gegenständen der Sinne geschieht dieses durch den Zusammenhang mit irgend einer meiner Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen. aber für Objecte des reinen Denkens ist ganz und gar kein Mittel, ihr Dasein zu erkennen, weil es gänzlich a priori erkannt werden müßte, unser Bewußtsein aller Existenz aber... gehöret ganz und gar zur Einheit der Erfahrung« (l. c. S. 474). »Das Dasein ist die absolute Position eines Dinges und unterscheidet sich dadurch auch von jeglichem Prädicat, welches als ein[335] solches jederzeit bloß beziehungsweise auf ein anderes Ding gesetzt wird« (WW. II, 115 ff.).

Den Begriff des Seins als Position, Setzung gestaltet J. G. FICHTE idealistisch und actualistisch, indem nach ihm das Sein Product einer (geistigen) Tätigkeit ist. »Alles, was ist, ist nur insofern, als es im Ich gesetzt ist, und außer dem Ich ist nichts« (Gr. des g. Wiss. S. 12). »Freiheit ist das einzige wahre Sein und der Grund alles andern Seins« (Syst. d. Sittenl. S. 59). »Wissen und Sein sind nicht etwa außerhalb des Bewußtseins und unabhängig von ihm getrennt, sondern nur im Bewußtsein werden sie getrennt.« »Es gibt kein Sein außer vermittelst des Bewußtseins« (l. c, S, VII).»Das Sein durchaus und schlechthin als Sein ist lebendig und in sich tätig, und es gibt gar kein anderes Sein als das Leben« (WW. VI, 361). Nach SCHELLING drückt Sein »das reine absolute Gesetztsein« aus, Dasein ein »bedingtes eingeschränktes Gesetztsein« (Vom Ich, S. 123 ff.). »A ist«- »es hat eine eigene identische Sphäre des Seins« (l. c. S. 156). Das Sein drückt nur »ein Begrenztsein der anschauenden oder producierenden Tätigkeit aus. In diesem Teile des Raumes ist ein Kubus, heißt nichts anderes als: in diesem Teil des Raumes kann meine Anschauung nur in der Form des Kubus tätig sein« (l. c. S. 114). Im Ich sind Wissen und Sein identisch (l. c. S. 385). Später erklärt er: »Es ist überall nur ein Sein, nur ein wahres Wesen, die Identität, oder Gott als die Affirmation derselben« (WW. I 6, 15z). Das Sein besteht in drei Potenzen als: Sein-könnendes, Rein-seiendes, Bei-sich-seiendes. Das Seiende selbst ist der absolute Geist (WW. II 1, 288 ff.. II 3, 204 ff., 239 f.). Im Absoluten sind Sein und Denken identisch (ß. d.).

Die Identität (s. d.) von Denken und Sein lehrt HEGEL. Das Sein ist die Idee (s. d.) selbst in ihrer Allgemeinheit. »Sein ist die Allgemeinheit in ihrem leeren abstractesten Sinne genommen, die reine Beziehung auf sich, ohne weitere Reaction nach außen oder innen,« »Identität mit sich« (WW. XI, 69). Das »Ist« ist »die leerste dürftigste Bestimmung« (ib.). »Das Sein ist der Begriff nur an sich, die Bestimmungen desselben sind seiende, in ihrem Unterschiede andere gegeneinander, und ihre weitere Bestimmung (die Form des Dialektischen) ist ein Übergehen in anderes« (Encykl. § 84). »Das reine Sein macht den Anfang, weil es sowohl reiner Gedanke, als das unbestimmte einfache Unmittelbare ist, der erste Anfang aber nichts Vermitteltes und weiter Bestimmtes sein kann« (l. c. § 86). »Dieses reine Sein ist nun die reine Abstraction, damit das Absolut-Negative, welches, gleichfalls unmittelbar genommen, das Nichts (s. d.) ist« (l. c. § 87). Sein ist »einfache Beziehung auf sich selbst« (l. c. § 193), »einfache Unmittelbarkeit« (Log. I, 62), ist im Begriffe enthalten (l. c. III, 174). Die (metaphysische) Kategorie des Seine specificiert sich dialektisch in die des Daseins. »Das Sein im Werden, als eins mit dem Nichts, so das Nichts eins mit dem Sein, sind nur verschwindend. das Werden fällt durch seinen Widerspruch in sich in die Einheit, in der beide aufgehoben sind, zusammen. sein Resultat ist somit das Dasein« (Encykl. § 89). »Das Dasein ist Sein mit einer Bestimmtheit, die als unmittelbar oder seiende Bestimmtheit ist, die Qualität. Das Dasein als in dieser seiner Bestimmtheit in sich reflectiert ist Daseiendes, Etwas« (l. c. § 90). Dieses wird dann zum Für-sich-sein (H. d.). Existenz ist das »durch Grund und Bedingung vermittelte und durch das Aufheben der Vermittlung mit sich identische Unmittelbare« (Log. II, 118). »Die Existenz ist die unmittelbare Einheit der Reflexion-in-sich und der Reflexion-in-anderes. Sie ist daher die unbestimmte Menge von Existierendem[336] als In-sich-reflectierten, die zugleich ebensosehr in anderes scheinen, relativ sind und eine Welt gegenseitiger Abhängigkeit und eines unendlichen Zusammenhanges von Gründen und Begründetem bilden. Die Gründe sind selbst Existenzen, und die Existierenden ebenso nach vielen Seiten hin Gründe sowohl als Begründete« (Encykl. § 123). »Wenn wir den besonderen Dingen ein Sein zuschreiben, so ist das nur ein geliehenes Sein, nur der Schein eines Seins, nicht das absolut selbständige Sein, das Gott ist« (WW. XI, 50). Die »Einheit des Begriffs und des Seins ist es, die den Begriff Gottes ausmacht« (Encykl. § 51). J. E. ERDMANN erklärt: »Der Begriff als das vernünftige Sein, die Idee als der ewige reale Gedanke des Gegenstandes, hat allein wahres Sein. Die Wirklichkeit steht deswegen dem Gedanken nicht gegenüber, sondern wahre Wirklichkeit hat alles nur im Begriff, d.h. Gedanken« (Grundw. §121). Nach E. ROSENKRANZ ist Sein an sich »die Abstraction von jeder Bestimmtheit« (Syst. d. Wiss. §10 ff., S. 14). Daß der Begriff das Sein sei, lehren auch H. F. W. HINRICHS (Grdl. d. Philos. d. Log. S. 182 ff.) u.a. – Speculativ-rationalistisch bestimmt das Sein auch als allgemeinen, objectiven Denkinhalt C. H. WEISSE: »Wer den Gedanken des Sein denkt, wer ihn rein und in völliger Abgezogenheit von allen weiteren Bestimmungen und von allem und jedem besonderen Inhalte denkt, der weiß zugleich und weiß allein unmittelbar, ohne anderweite Denkvermittlung, daß das, was er denk', das schlechthin Allgemeine und Notwendige ist« (Grdz d. Met. S. 108). Dasein ist Endlichkeit (l. c. S. 130, 145). Der metaphysische Urbegriff des Seins nimmt die Bedeutung an »die Kraft, das Vermögen haben, als Körper im Raume da zu sein« (l. c. S. 422). HILLEBRAND erklärt: »Das Denken setzt in seiner reinen Selbsttätigkeit als seinen notwendigen Anfang das Sein, sowohl an sich selbst (am Denken) als außer sich, sich gegenüber« (Philos. d. Geist. I, 7). Das Sein liegt notwendig im Denken, ist seine Voraussetzung (l. c. S. 8). Dasein ist »eine in unendlicher Vielheit des Einzelnen unmittelbar bestimmte concrete Wirklichkeit« (l. c. S. 11). Das Sein der Substanzen ist identisch mit dem Wirken (l. c. S. 17). Nach CHR. KRAUSE ist Sein die »Form der Wesenheit« (Vorles. S. 175). Sein ist »Satzheit der Wesenheit«, »satzige Wesenheit ist Seinheit« (ib.). – W. ROSENKRANTZ bemerkt: »Alles Wandelbare setzt ein Unwandelbares voraus, welches das Wesen und wahrhaft Seiende... in ihm ist« (Wissensch. d. Wiss. I, 133).

Als »absolute Position«, »Anerkennung« des gedanklich Nicht-Aufzuhebenden bestimmt das Sein HERBART (Met. II, 82, 408). Der Begriff des Seins ist »eine Art zu setzen«, er bedeutet, es solle bei dem einfachen Setzen eines Was sein Bewenden haben (Hauptp. d. Met. S. 22 ff.). »Gegenstände sind gesetzt worden. diese Gegenstände werden dergestalt bezweifelt, daß sie ganz verschwinden sollen. Sie verschwinden aber nicht. die Setzung dauert also fort. aber sie ist darin verändert, daß ihr Gesetztes nicht mehr für einerlei gilt mit demjenigen, worauf sie ursprünglich gerichtet war. Die Qualität wird dem Zweifel preisgegeben. das Gesetzte soll etwas anderes, Unbekanntes sein. Hier bleibt bloß der Begriff dessen übrig, dessen Setzung nicht aufgehoben wird. Die bloße Anerkennung des Nicht- Aufzuhebenden nun ist der Begriff des Seins« (Met. II, § 201). Das Sein wird nicht empfunden, es »kommt erst zum Vorschein in seinem Gegensatze gegen das, was nicht ist, sondern bloß gedacht wird«, entsteht begrifflich aus einer doppelten Verneinung (l. c. § 202). »In der Empfindung ist die absolute Position vorhanden, ohne daß man es merkt. Im Denken muß sie erst erzeugt werden aus der Aufhebung ihres Gegenteils« (l. c.[337] § 204). »Niemand wird glauben, daß gar nicht., sei. denn es ist klar, daß alsdann auch nichts erscheinen würde« (Lehrb. zur Einl.5, S. 216). Die Qualität (s. d.) des Seienden ist »schlechthin einfach«. Das Seiende hat keine Negationen (l. c. ff. 219 ff., 224).

Als apriorischen, übersinnlichen Begriff bestimmt das Sein BIUNDE (Empir. Psychol. I 2, 11 ff.). Er ist eine »Grundform, in welche wir alles, was ist und erscheint, selbständig, obgleich mit Notwendigkeit, hineinschlagen« (l. c. S. 15). »Alles wird für uns erst ein Object oder fängt doch an, es zu werden, wenn wir den Begriff des Seins darauf anwenden« (l. c. S. 17). Das Sein kann nicht wahrgenommen werden (l. c. S. 18). Nach ROSMINI enthält jede Anschauung eines Objectes implicite schon ein Seinsurteil (Log. § 320 ff.). Die Idee des Seine ist die universalste, ist angeboren, a priori, ursprünglich schon dem Geiste präsent als das »essere possibile«. Sie ist die Quelle aller übrigen Kategorien, der »idee pure« und »non pure«. »II fatto ovvio e semplicissimo da cui parte, è che l'uomo pensa l'essere in un modo universale.« »Quando io metto l'attenzione mia esclusivamente in quella qualità che è a tutte commune, cioè nell' essere, allora suol dirsi che io penso l'essere, o l'ente... in universale« (Nuovo saggio II, p. 15). »L'idea pura dell' essere non è un' immagine sensibile« (l. c. p. 16). »L'idea dell' essere non ha bisogno d' alcun' altra idea ad essa aggiunta per essere concepita« (l. c. p. 23). »L' idea dell' ente è innata« (l. c. p. 60). »Tutte le idee acquisite procedono dall' idea innata dell' ente« (l. c. p. 76. vgl. III, 257 ff.). Die Ursprünglichkeit der Seinsidee betont GIOBERTI. Das Sein wird unmittelbar geistig geschaut. Das Sein schafft daß Existierende (s. Ontologismuß). Auf das Seiende geht die »Scienza ideale« (Introd. I, 4 ff.. vgl. FERRI, Dell' idea dell' essere, 1888).

In verschiedener Weise wird als Meinung des Seinsbegriffes die Unabhängigkeit von unserem Denken, das Selbstständig-, Für-sich-sein bezeichnet. So von L. FEUERBACH: »Sein ist etwas, wobei nicht ich allein, sondern auch die andern, vor allem auch der Gegenstand selbst beteiligt ist. Sein heißt Subject sein, heißt für sich sein« (WW. II, 309. X, 97). Das Sein ißt die »Grenze des Denkens«, die »Position des Wesens« (ib.). »Das Sein ist eins mit dem Dinge, welches ist« (WW. II, 206). ULRICI erklärt: »Es ist der Begriff des reellen Seins, alles dasjenige zu sein, was unabhängig von unserem Denken und somit gleichgültig dagegen, ob es von uns gedacht wird oder nicht, also nicht bloß in und für uns, sondern an sich existiert« (Log. S. 46). Zum Sein gehört die Notwendigkeit des Nicht-anders-denken-könnens (l. c. S. 47). Der abstracte Gedanke des Heine ist weder Kategorie noch Begriff (l. c. S. 238 f.). Für das absolute Denken ist daß Sein ein »Gesetztes« (l. c. S. 240). Für unser Denken »ist zunächst das subjective Sein das Sein seiner selbst als unterscheidende Tätigkeit, das objective der gegebene Stoff, den unsere unterscheidende Denktätigkeit an der producierenden und deren Producten hat« (l. c. S. 214). Unser Denken unterscheidet daß fremde Sein von seinen Gedanken (l. c. S. 242). PLANCK bemerkt: »Indem... das Denken schon rein von sich aus... Unterscheidung eines Andern oder Objectiven ist, so ist es in dieser ersten ursprünglichen Setzung eines Andern Gedanke des Seins, welcher also in seiner wahren, rein logischen Form durchaus nichts von irgend welchem gegebenen Inhalte und von einer Abstraction aus der sinnlichen und geistigen Anschauungswelt enthält, sondern rein logische (apriorische) Unterscheidungsform ist« (Testam. ein. Deutsch. S. 310). J. BAUMANN bestimmt: »Den Begriff des Seins leiten wir nicht aus dem Sein[338] der Ideen in uns, welches gleich dem ist, daß sie gedacht werden, ab, sondern aus unserem Sein.« Die Umstände der äußern Wahrnehmungen »zwingen uns, äußere von uns und unserem Denken unabhängige Existenz zu setzen« (Lehr. v. R. u. Z. II, 578 f.). Nach HAGEMANN ist ein Seiendes »alles, was eine Realität hat, es mag wirklich oder bloß gedacht sein«. Das Dasein bezeichnet »ein bestimmtes Sein, welches nicht durch unser Denken gesetzt ist, sondern demselben unabhängig gegenübersteht« (Met.2, S. 13 f.). Nach AD. DYROFF bedeutet Existieren, »daß der Gegenstand des Gedankens mehr ist als eine bloße Fiction, ein Erzeugnis reiner Willkür oder ein einfaches Gedankenerzeugnis« (Üb. d. Existentialbegr., 1902, S. 3). »Das Wort Existenz findet sonach auf alle einzelnen Bewußtseinsinhalte Anwendung, die sich dem Denken in irgend einer Weise als gegenständlich zeigen Wer einen leeren Raum, wer Fernkräfte annimmt, glaubt, daß der Begriffsinhalt sein Dasein nicht lediglich der frei schaffenden Vorstellungstätigkeit verdanke, sondern mitbedingt sei durch ein Etwas, das von dieser verschieden ist« (l. c. S. 4). »Nicht heißt etwas existierend, wenn das anerkennende Urteil wahr ist, sondern umgekehrt ist das anerkennende Urteil wahr, wenn das in ihm anerkannte Etwas existiert« (l. c. S. 15). Der Begriff der Existenz geht von der Erfahrung aus, wird zuerst an Inhalten der Sinneswahrnehmung entwickelt, hat als objective Voraussetzung den Unterschied von Wahrnehmung und Erinnerung, wird aber durch das Denken erzeugt. »Der naive Existentialbegriff bezeichnet, daß einem Bewußtseinsinhalt etwas von diesem Verschiedenes entspricht, was zugleich mehr ist als bloßer Bewußtseinsinhalt« (l. c. S. 61. ähnlich schon G. v. HERTING, John Locke u. d. Schule von Cambridge, 1892, S. 88). – Nach SIGWART steht das »Sein« dem bloß Vorgestellten, Gedachten, Eingebildeten gegenüber. »Was ist, das ist nicht bloß von meiner Denktätigkeit erzeugt, sondern unabhängig von derselben, bleibt dasselbe, ob ich es im Augenblick vorstelle oder nicht,« »es steht mir, dem Vorstellenden, als etwas von meinem Vorstellen Unabhängiges gegenüber, das nicht von mir gemacht, sondern in seinem unabhängigen Dasein nur anerkannt wird« (Log. I2, 90). Sein ist objectives »Wahrgenommen-werden-können« (l. c. S. 92), es ist »In-Beziehung-stehen« (l. c. S. 95). Das Wirken ist eine Folge des Seins. Der Gedanke des Seins ist mit dem angeschauten Object unmittelbar verbunden (l. c. S. 94). Die Vorstellung des Seins steckt in allen Objecten der Vorstellung mit. So auch nach A. RIEHL (Philos. Krit. II 2, 168). Existenz gehört aber nicht zum Inhalte der Vorstellung, sondern »drückt das Verhältnis der Dinges zu unserem Bewußtsein aus, die Beziehung, in der dasselbe mittelst des Erregung unserer Sinne zu unserem Bewußtsein steht. Was aber fähig ist, auf unsere Sinne zu wirken, beweist eben dadurch seine von den Sinnen unabhängige Wirklichkeit.. auch auf andere Dinge« (l. c. S. 130). – Nach CZOLBE ist das Sein eine elementare Eigenschaft der Dinge (Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 96). Nach E. DÜHRING ist der allgemeine Seinsbegriff »der gedankliche Hinblick auf das Ganze der Dinge und das Absehen von den besondern Gestalten« (Log. S. 175 f.). Das Ursein kann als Zustand ohne Vorgänge gedacht werden, ist ein »Sich-selbst-gleiches« (Wirkl. S. 12 f.). Nach KIRCHMANN ist nur das Widerspruchslose des Wahrnehmungsinhaltes ein Seiendes (Kat. d. Philos.3, S. 55). »Im Gegenstande ist der Inhalt in der Seinsform befaßt, in der Vorstellung in der Wissensform. Bei dem Wahrnehmen teilt sich nur der Inhalt des Gegenstandes den Wissen mit. die Seinsform geht nicht mit über, in ihr liegt das, was den Inhalt zu einem starren, körperlichen und wahrhaft[339] ausgedehnten macht und als solches nicht in das Wissen mit übergeht. Dieses reine Sein, als bloße Form, kann deshalb positiv nicht erkannt, sondern nur als das Nicht-Übergehende und Nicht-Wißbare empfunden werden« (1, c. S. 53 f.).

Die Existenz eines reinen Seins bestreitet LOTZE. Sein ist »Stehen in Beziehungen«. Ein beziehungsloses Sein ist undenkbar (Mikrok. III2, 468 ff.. vgl. Met.., S. 36). »Daß ein Ding sei, ist uns ursprünglich nur dadurch klar, daß es von uns empfunden oder wahrgenommen wird. Allein, wenn wir das durch den Satz ausdrücken wollten, das Sein bestehe nur in dem Wahrgenommenwerden (esse = percipi), so würde sich dagegen sogleich der Widerspruch erheben, damit sei gar nicht das ausgedrückt, was wir mit dem, Begriffe des Seins meinten. Die Empfindung sei zwar für uns das Mittel, das Sein der Dinge wahrzunehmen, es selbst aber bestehe in einer Wirklichkeit, die diese Wahrnehmung nur möglich mache. Es entsteht also die Aufgabe: das Sein der Dinge unabhängig von ihrem Empfinden-werden, also unabhängig von uns, vorzustellen.« »Der gewöhnliche Verstand nun löst dieselbe ganz einfach dadurch, daß er die Dinge dann, wenn sie nicht Object unserer Wahrnehmung sind, doch untereinander in bestimmten Beziehungen stehend denkt... Diese Beziehungen sind das, was das Dasein der Dinge dann, wenn wir sie nicht wahrnehmen ausmacht, und sie enthalten zugleich den Grund, warum sie später in bestimmter Ordnung wieder Gegenstände unserer Wahrnehmung werden können. Mithin ist, kurz ausgedrückt, jetzt das Sein der Dinge gleichbedeutend mit einem Stehen in wechselseitiger Beziehung« (Grdz. d. Met. S. 11). »Position und Affirmation... sind für sich kein Sein, sondern der vollständige Begriff dieses lezteren besteht erst in der Bejahung oder Setzung irgend einer bestimmten Beziehung« (l. c. S. 13). Auch M. CARRIERE betont: »Das Sein der Dinge besteht in ihren gegenseitigen Beziehungen« (Sittl. Weltordn. B. 39). Sein ist nichts Ruhendes, Starres, sondern »sich selbst bestimmende Tätigkeit« (Ästhet. I, 31). »Das Sein ist Tätigkeit, das Wesen ist, was es tut« (l. c. I, 100).

Verwandt damit ist die Bestimmung des Seins als Wirken. Nach SCHOPENHAUER ist das Sein der anschaulichen Objecte ihr Wirken (W. a. W. u. V. I. Bd., § 5. Üb. d. Seh. C. 1, § 1). Der Inhalt des Begriffs des Seins ist das »Ausfüllen der Gegenwart« (Neue Paral. § 97). Sein ist das »Product der Tätigkeit der Kategorien«. »Sobald diese gegebene (durch die Sinnlichkeit) Wahrnehmungen vereinigt haben, sagen wir: es ist« (Anmerk. S. 56 f.. vgl. S. 161). Nach E. v. HARTMANN ist die Existenzform die Wirkungsform der Dinge (Krit. Grundleg. S. 159). »Alles äußerliche oder materielle Sein, alles Dasein ist durchaus nur Beziehung der Kräfte aufeinander oder dynamische Beziehung, genauer ein System solcher Beziehungen... Dasein ist Spiel der Kräfte, labiles Gleichgewicht, das beständig gestört und beständig wiederhergestellt wird, nicht caput mortuum einer vergangenen Produktion, sondern beständiges Produciertwerden, ein ständiges Entstehen und Vergehen der momentanen Action, bei der nichts beständig ist als die Gesetzmäßigkeit der Beziehungen und die Fortdauer der dynamischen Intensität« (Kategor. S. 176 ff.). Nach DREWS ist Sein »Wirkendsein« (Das Ich S. 265). Nach DEUSSEN ist die Existenz die Form der Objecte als solcher (Elem, d. Met, S. 27), Existieren bedeutet in Raum und Zeit wirken (l. c. S. 11). – Wirkungsfähigkeit, Wirken ist das Sein nach B. ERDMANN (Log. I, 77). Das Prädicat der Existenz ist kein Merkmal des Subjects. »Existieren« ist »eine causale Relationsbestimmung, und als solche zwar kein Merkmal im logischen Sinne, zweifellos aber... ein logisches Prädicat«[340] (l. c. I, 111). Die Vorstellung der Existenz ist weder neben noch in der Vorstellung des Gegenstandes gegeben (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. X, 334). Die Existentialurteile sind »Resultate eines Vorstellungsverlaufes, der die Prädicate dem Anschauungsinhalte nachträglich zuführt« (l. c. S. 335). Nach W. JERUSALEM ist der Existenzbegriff »Resultat einer Abstraction«, er wird nur angewendet, wenn ein bestimmtes Nichtsein ausgeschlossen werden soll (Urteilsfunct. S. 209). »Jede Vorstellung enthält den Existenzbegriff implicite in sich. Alls, was wir vorstellen, müssen wir als seiend, als existierend vorstellen« (l. c. S. 210). Existenz ist ein Prädicat, welches »Wirkungsfähigkeit« bedeutet. Es ist ein »Niederschlag der Erfahrung, daß gewisse für wirkungsfähig gehaltene Kraftcentren nicht existieren« (l. c. S. 212. Lehrb. d. Psychol.3, S. 144). Auch JODL hält die Existenz für unmittelbar mit der Wahrnehmung gegeben. die Anerkennung derselben ist aber ein späterer Act der Reflexion (Lehrb. d. Psychol. S. 617). – Nach AD. STEUDEL ist das Sein undefinierbar (Philos. I 1, 289 ff.). R. WAHLE bemerkt: »Das Sein läßt sich nicht weiter begreifen. Sein und Vorkommnis sind für uns ein und dasselbe Ding unter verschiedenen Ausdrücken.« »Die Begriffe sein, beharren und gleich sein sind für das Bewußtsein dieselben« (Das Ganze d. Philos. S. 89 f., 180).

Apriori ist der Seinsbegriff nach O. SCHNEIDER: »Sein und Nichtsein sind Erzeugnisse apriorischer Denkverrichtungen, sind Stammbegriffe des Denkens« (Transcendentalpsychol. S. 128). – Nach R. HAMERLING schließt der Seinsbegriff die Kategorien in sich als seine Bestimmungen (Atom. d. Will. I, 93 f.). In jedem Qualitätsurteil ist ein Existenzurteil miteingeschlossen. die Copula »ist« bejaht Prädicat und Subject (l. c. S. 120). Empirisch erfaßt das Seiende das Sein zunächst im Gefühl der eigenen Existenz (l. c. I, 108). »Esse est percipere.« Das Sein ist abstrahiert aus der Existenz des Ich (l. c. I, 115). Ähnlich erklärt NIETZSCHE, Sein sei Verallgemeinerung des Begriffs »Leben«, »Beseeltsein« (WW. XV, 289). »Denn esse heißt ja im Grunde nur atmen: wenn es der Mensch von allen andern Dingen gebraucht, so überträgt er die Überzeugung, daß er selbst atmet und lebt, durch eine Metapher, das heißt durch etwas Unlogisches, auf die anderen Dinge und begreift ihre Existenz als atmen nach menschlicher Analogie« (WW. X, 58). Das einzige Sein ist das Werden (s. d.).

Als lebendiges Für-sich-sein, Innen-sein, actives Bewußtsein fassen das Sein verschiedene Spiritualisten (s. d.) auf (s. auch oben). So z.B. E. BOIRAC (L'idée du phénom.). Nach L. DAURIAC heißt Existieren für sich und für andere sein (Croyance et Réalité, 1889). So L. BUSSE: »Sein ist Für-sich-sein«, Ich-sein, Bewußtsein (Philos. u. Erk. I, 127, 229, 234 f.), schon LOTZE, HAMERLING u.a. »Es gehört eben zur Natur des Seins, zu wirken, alles Sein ist lebendige Tätigkeit, Actualität. ein totes ruhendes Sein gibt es gar nicht« (l. c. S. 193). Nach B. EUCKEN ist das Sein Product der Selbsttätigkeit des Geistes (Kampf um ein. geist. Lebensinh. S. 45). Nach J. BERGMANN ist das absolute Sein ewiges Producieren, actives Bewußtsein, ewiges Werden, »actives Beharren« (Sein u. Erk. S. 133). Jedes Urteil setzt das Dasein seines Gegenstandes voraus. »Das Dasein eines von unserem Ich verschiedenen Dinges besteht... in seinem Zusammensein mit andern Dingen in der Welt oder, kürzer, in seinem Enthaltensein in der Welt« (Begr. d. Das., Arch. f. system. Philos. II. Bd., 1896, S. 151, 280 f.). Alles Vorgestellte stellen wir als existierend vor (l. c. 13. 150). »Wenn wir ein Ding als etwas vom Denken Unabhängiges, dem [341] Denken gegenüber Selbständiges denken, so denken wir seine Natur und Wesenheit ab eine solche, durch die es in diesem Verhältnisse zum Denken stehe, und diese Seite unserer Natur und Wesenheit ist es, was wir mit dem Worte Existenz bezeichnen« (l. c. S. 166). »Jeder vorgestellte Gegenstand, dessen Existenz, innerlich möglich ist, existiert wirklich« (l. c. S. 171). Alles Seiende denken wir als »zusammenseiend mit unserm Ich in einem Ganzen« (l. c. S. 302. vgl. Sein u. Erk. S. 10 ff., 20 ff., 44 ff., 48 ff., 55).

Als Bewußtsein, Bewußtseins-, Wahrnehmungs-Möglichkeit wird das Bein idealistisch, immanent, positivistisch (s. d.) bestimmt. Nach J. ST. MILL ist Existenz permanente Wahrnehmungsmöglichkeit (s. Object). Nach SPENCER ist Existenz Fortdauer (»persistence«) im Bewußtsein (Psychol. § 59), Fortdauer eines Zusammenhanges (l. c. § 467). »Sein« bedeutet Bleiben, Feststehen, Existenz ist fortdauerndes Sein (l. c. § 394. vgl. § 63). Nach HODGSON ist Existenz »presence in consciousness« (Philos. of Reflect. I, 165). Ähnlich mehrere englische Idealisten (s. d.). Auch nach BOSTRÖM ist esse = percipi, und zwar nicht bloß für andere, sondern auch für sich, also in spiritualistischem Sinne. – Nach A. V. LECLAIR sind Denken und Sein nur zwei begriffliche Auffassungen desselben Gegebenen. Denken ist »das Haben der Bewußtseinsdata unter Gesichtspunkten der Tätigkeit«, Sein – der »Individualinhalt, an dem wir uns überhaupt erst einer Tätigkeit bewußt werden« (Beitr. S. 18). Sein ist »nur der höchste Gattungsbegriff alles desjenigen, was Bewußtseinsdatum ist oder sein kann« (ib.). Denken ist stets »Denken eines Seins«, Sein ein Gedachtes, Denkinhalt (l. c. S. 19). Es gibt aber verschiedene Species des Seins, verschiedene Wirklichkeitsgrade (l. c. S. 21). Nach SCHUPPE ist alles Sein Bewußt-sein. »Es gehört zu dem Sein selbst, daß es in sich die beiden Bestandteile, den Ich-Punkt und die Objectenwelt... in dieser Einheit zeigt, daß jedes von ihnen ohne das andere in nichts verschwindet, eines mit dem andern gesetzt ist« (Log. S. 22). »Der Begriff des wirklichen Seins geht nicht in der bloßen Empfindung auf, sondern schließt die absolute Gesetzlichkeit ein, nach welcher je nach Umständen und Bedingungen bestimmte Empfindungsinhalte bewußt werden. Diese Notwendigkeit gehört zum Sein, und der Widerspruch unter Empfindungen beweist, daß? eine von ihnen nicht wirkliches Sein bedeuten kann, nur Schein. Die absolut zuverlässige Gesetzlichkeit, daß ich und jeder andere, die nötigen Bedingungen vorausgesetzt, z.B. die der Anwesenheit am bestimmten Orte, eine Wahrnehmung bestimmter Art machen würde, ist nicht nur Beweis für die Existenz dieses Wahrnehmbaren, sondern ist gleichbedeutend mit seiner Existenz, auch wenn gerade niemand diese Wahrnehmung macht... Der Begriff des existierenden Unwahrgenommenen geht in solchem auf, was seinem Begriffe nach Wahrnehmbares ist, z.B. Rotes, Rundes« (l. c. S. 29 f.). Das Sein ist nur als in notwendigen Zusammenhängen stehend denkbar (l. c. S. 65. vgl. S. 167). Existenz ist also Wahrnehmbarkeit nach festen Gesetzen (Grdz. d. Eth. 55 ff.. Erk. Log § 23 f.), Object sein, d.h. zu einem Bewußtsein gehören (Log. S. 28). Mit dem Bewußtsein identificiert das Sein REHMKE (Welt als Wahrn. u. Begr. S. 71, 92, 98 ff.). M. KAUFFMANN erklärt: »Das Dasein oder die Wirklichkeit eines Dinges besteht in seiner Gegenwart im Bewußtsein« (Fund. d. Erk. S. 9). Und SCHUBERT-SOLDERN: »Was soll denn das Wort Gegeben-sein, Bestehen, Dasein u.s.w. bedeuten, wenn es einen Sinn über das Bewußtsein hinaus haben soll« (Gr. ein. Erk. S. 98). Erkenntnistheoretisch ist alles Bewußtseinsinhalt (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 6. Bd., 1882, S. 139 ff., 169).[342] Sein ist kein Gattungsbegriff, es gibt nur bestimmte Seinsarten (Gr. d. Erk. S. 192. vgl. S. 9). Nach ILARIU-SOCOLIU ist alles Sein ein Werden, und dieses ist »Denken schlechthin«, von welchem das bewußte Denken einen Specialfall bildet (Grundprobl. d. Philos. S. XV f.). Die Wahrnehmungsinhalte selbst haben objective Existenz. »Das Sein guckt sozusagen aus einer jeden Wahrnehmung hervor und gibt sich da dem gewöhnlichen Menschen als Außenheits-Coëfficient: es tritt bei ihm als Glaube an die Realität des Wahrnehmungsinhaltes... auf. Desgleichen ist es in jeder Erinnerung vorhanden« (l. c. S. 185). Nach H. CORNELIUS hat die Beharrlichkeit der Existenz eines nicht gegenwärtig wahr- genommenen Objects nur die Bedeutung, »daß gewisse Wahrnehmungen gemacht werden können, deren einfacher und zusammenfassender Ausdruck eben mit der Behauptung der Existenx jenes Objects gegeben wird« (Vers. ein. Theor. d. Existentialurt., 1894, S. 55). »Existieren und Vorgefundenwerden, Gegenstand des Bewußtseins sein, ist für die Bewußtseinsinhalte ein und dasselbe« (Psychol. S. 99 f.). Objective Existenz meint die Erwartung eines bestimmten Inhalts (l. c, B. 106 f.). »Obgleich uns keine andern als eben psychische Daten, Bewußtseinserlebnisse zu Gebote stehen, gewinnen wir doch aus diesen Daten vermöge einer natürlichen Theorienbildung den Begriff einer von unserer Wahrnehmung unabhängigen Existenx« (l. c. S. 114). Existieren ist dauerndes Stehen in gesetzmäßigen Zusammenhängen (Einl. in d. Philos. S. 263 f.). Das Existentialurteil ist ein »Ergebnis vergangener Erfahrungen«. Das Existentialgefühl ist »die besondere Relationsfärbung, die jeder auf den Gegenstand bezüglichen Vorstellung vermöge der vielfältigen Erwartungszusammenhänge zukommt, in welche wir dieselbe auf Grund unserer Erfahrungen einordnen müssen« (l. c. S. 276). Das »bleibende Sein« ist nur das bleibende Gesetz für die Veränderung der Erscheinungen (l. c. S. 100 f.). – R. AVENARIUS versteht unter »Existential« einen »Charakter« der »Fidentialität« (Bekanntheit), infolgedessen das Wahrgenommene sich als »Sachhaftes« gegenüber dem »Gedankenhaften« abhebt (Krit. d. rein. Erfahr. II, 32 ff.). Nach G. SIMMEL ist das Sein keine Eigenschaft der Dinge, sondern der Vorstellungen. »indem wir einer Vorstellung das Sein zusprechen, drucken wir damit das Vorhandensein gewisser Beziehungen derselben zu unserem Empfinden und Handeln aus. Die Realität ist etwas, was zu den Vorstellungen psychologisch hinzukommt« (Einl. in d. Mor. I, 5). Das Sein ist eine Art »Localzeichen« der Vorstellung (l. c. E.. 6).

Aus dem Urteil leitet den Existenzbegriff F. BRENTANO ab (Psychol. I, 276). »A ist« bedeutet: A wird als wahr anerkannt (l. c. I, 279). Durch Reflexion auf das bejahende Urteil wird der Existenzbegriff gewonnen (Vom Urspr. sittl. Erk. S. 61). »Die Begriffe der Existenz und Nichtexistenz sind die Correlate der Begriffe der Wahrheit (einheitlicher) affirmativer und negativer Urteile. Wie zum Urteil das Beurteilte... gehört, so gehört zur Richtigkeit des affirmativen Urteils die Existenz des affirmativ Beurteilten, zur Richtigkeit des negativen die Nichtexistenz des negativ Beurteilten, und ob ich sage, ein negatives Urteil sei wahr, oder, sein Gegenstand sei nicht existierend: in beiden Fallen sage ich ein und dasselbe« (l. c. S. 76). Nach A. MARTY bezeichnet der Existenzbegriff nur »die Beziehung irgend eines Gegenstandes... auf ein mögliches Urteil, das ihn anerkennt und dabei wahr oder richtig ist« (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos., 1884, S. 171 f.). Existenz ist nichts als »Gegenstand eines wahren anerkennenden Urteils sein können« (l. c. 18. Bd., S. 441). »Existierend heißt alles, was mit Recht anerkannt werden kann« (l. c. 19. Bd., S. 32 f.).[343] Alles, was mit Recht anerkannt wird, besteht oder existiert, auch wenn es keine Realität ist. Sein heißt nicht Realsein (l. c. S. 279 f.). Der Existenzbegriff gehört zu den »aorista, d.h. zu den Prädicaten, welche sowohl Realem als Nichtrealem zukommen können« (l. c. S. 38). An der Beschaffenheit der Gegenstände selbst liegt es, daß man die Existenz mit Recht von ihnen aussagen kann (l. c. S. 77). Nach A. MEINONG sind »Dasein« und »Bestand« zwei »Objective« (s. d.) (Üb. Gegenst. höh. Ordn. S. 186. Üb. Annahm. S. 191). »Existentialgefühl« ist das Gefühl der Lust oder Unlust, welches sich auf einen bestimmten Vorstellungsinhalt bezieht, insofern dieser zugleich auch Inhalt eines bejahenden oder verneinenden Existentialurteils ist. Aus dem Urteil leitet den Existenzbegriff auch HILLEBRAND ab (Neue Theor. d. Kat. Schl. B. 20, 27 f.). – Nach H. RICKERT hat »Sein« nur Sinn als Bestandteil eines Urteils (Gegenst. d. Erk. S. 84). Begrifflich früher als das Sein ist das Sollen (l. c. S. 83). – WUNDT zählt das Sein zu den reinen Wirklichkeitsbegriffen (s. Kategorien). Unter dem Seinsbegriffe sind drei, auf logischen Functionen beruhende, Postulate zusammengefaßt: Gegebensein (Existenz), objectives Gegebensein, unverändertes Gegebensein (Philos. Stud. II, 167 ff.). Der Begriff des Seins ist »kein Begriff, der sich auf irgend welche tatsächlichen Eigenschaften oder Beziehungen der Gegenstände zurückführen läßt«. Er kommt so zustande, »da, die logische Forderung erhoben wird, von allen solchen Eigenschaften und Beziehungen, insbesondere also auch von allen Veränderungen zu abstrahieren und so den Gegenstand nur unter dem Gesichtspunkte, daß er ist, im Begriff festzuhalten« (Syst. d. Philos.2, S. 227). Vgl. H. BERGSON, Mat. et Mém. p. 159 ff.. O. WEIDENBACH, Das Sein, 1900. K. MARBE, Exper.-psychol. Unters. üb. d. Urt., 1901. – Vgl. Wesen, Object, Werden, Substanz, Realität, Wirklichkeit, Bewußtsein, Immanenzphilosophie, Realismus, Idealismus, Relativismus, Parallelismus (logischer), Wissen, Nichts, Identitätsphilosophie.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 330-344.
Lizenz:
Faksimiles:
330 | 331 | 332 | 333 | 334 | 335 | 336 | 337 | 338 | 339 | 340 | 341 | 342 | 343 | 344
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Selberlebensbeschreibung

Selberlebensbeschreibung

Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon