Gegensatz

[361] Gegensatz: 1) logischer (Opposition)das Verhältnis, in welchem zwei Begriffe oder zwei Urteile zueinander stehen, die einander ausschließen. Es gibt einen contradictorischen (s. d.) und einen conträren (subconträren) Gegensatz. ARISTOTELES erklärt: antikeimena legetai antiphasis kai tanantia kai ta pros ti kai sterêsis kai hexis kai ex hôn kai eis ha eschata ai geneseis kai phthorai (Met. V 10, 1018a 20). Er unterscheidet: antiphatikôs (contradictorisch), enantiôs (conträr), kata têê lexin monon antikeimena (De interpret. 6, 17a 26; 7, 17b 16; Categ. 10, 13b 27. Anal. prior. II 15, 63b 23). So auch CICERO (Top. 11). Die Scholastiker unterscheiden »oppositio terminorum« und »oppos. enunciationum«. Nach ÜBERWEG ist Opposition »der Gegensatz, der zwischen zwei Urteilen von verschiedener Qualität und verschiedenem Sinne bei gleichem Inhalt besteht« (Log. § 97).

Schema der Opposition

[361] »Gegensatz« ist 2) ontologischer (realer) Gegensatz (»Repugnanz«), Widerstreit zweier Dinge, zweier Qualitäten, zweier Tätigkeiten, dynamische Entgegensetzung, Willens-Gegensatz, Gegensatz der Gefühle (physischer-psychischer Gegensatz, ethischer, socialer Gegensatz).

Die Pythagoreer stellen eine Tafel von zehn Gegensatz-Paaren als Principien der Dinge auf (peras kai apeiron, peritton kai artion, hen kai plêthos, dexion kai aristeron, arrhen kai thêly, êremoun kai kinoumenon, euthy kai kampylon, phôs kai skotos, agathon kai kakon, tetragônon kai eteromêkes, ARISTOTELES, Met. I 5, 986a 22 squ.). HERAKLIT macht den Gegensatz zum Princip der Entwicklung. Im »Gegenlauf« (enantiodromia, Stob. Ecl. I, 60) des Geschehens ist in allem das Entgegengesetzte vereinigt, schlägt eines in das Gegenteil um (taut' einai zôn kai tethnêkos, kai to egrêgoros kai to katheudon, kai neon kai gêraion (Fragm. 78). Alles erfolgt kat' enantiotêta nach der enantia rhoê, palintropia (Plat., Cratyl. 413 E, 420 A; panta te ginesthai kath' eimarmenên kai dia tês enantiotropês hêrmosthai ta onta, Diog. L. IX 1, 7; ginesthai te panta kat' enantiotêta, l.c. 8; panta ... metaballei eis enantion oion ek thermou eis phychron Arist. Phys. III 5, 205a 6; vgl. Sext. Empir. Pyrrh. hypot. III, 230). Die Gegensätze gehen in einer Einheit zusammen wie Bogen und Leier (palintropos harmoniê kosmou hokôster lyrês kai toxou, Plut., Is. et Osir. 5). Nach PLOTIN sind Gegensätze Dinge, die nichts Identisches an sich haben (Enn. VI, 3, 20). – CHR. WOLF definiert: »Opposita sunt, quorum unum involvit negationem alterius« (Ontol. § 272). KANT betont den Unterschied zwischen logischer und realer Opposition. »Einander entgegengesetzt ist, wovon eines dasjenige aufhebt, was durch das andere gesetzt ist. Diese Entgegensetzung ist zweifach; entweder logisch durch den Widerspruch, oder real d. i. ohne Widerspruch« (WW. II, 75 ff.). Die »dialektische« Opposition ist von der auf dem Satze des Widerspruches fußenden »analytischen« zu unterscheiden (Krit. d. r. Vern. S. 410). Nach J. G. FICHTE, besonders aber nach HEGEL schlägt jeder Begriff (im logischen Denken) in seinen Gegensatz um, um sich mit ihm in einem höheren Begriffe zu vereinigen (Dialektik, (s. d.) u. Widerspruch). Nach HILLEBRAND kann es keinen metaphysischen, realen Gegensatz geben, d.h. einen solchen, welcher im Sein unausgleichbar wäre (Phil. d. Geist. I, 23). Nach HERBART ist der »Gegensatz zweier Vorstellungen« ein voller, »wenn eine von beiden ganz gehemmt werden muß, damit die andere ungehemmt bleibe« (Psychol. als Wiss. I, § 41). Vorstellungen, die einander entgegengesetzt sind und zusammentreffen, werden zu Kräften, die einander widerstehen, hemmen (Lehrb. zur Psychol.3, S. 15). Der Grund des Widerstehens ist die Einheit der Seele (l.c. S. 21). Entgegengesetzte Vorstellungen verschmelzen (s. d.) miteinander, soweit sie nicht gehemmt werden (l.c. S. 21 f.). Nach MÜNSTERBERG ist entgegengesetzt in der Vorstellungswelt das, »was antagonistische Handlungen anregt« (Grdz. d. Psychol. I, 550). WUNDT sieht in dem psychologischen »Gesetz der Entwicklung in Gegensätzen« eine Anwendung des Gesetzes der Contrastverstärkung (s. d.) auf umfassendere Zusammenhänge. »Diese besitzen nämlich... die Eigenschaft, daß Gefühle und Triebe, die zunächst von geringer Intensität sind, durch den Contrast zu den während einer gewissen überwiegenden Gefühlen von entgegengesetzter Qualität allmählich stärker werden, um endlich die bisher vorherrschenden Motive zu überwältigen und nun selbst während einer kürzeren oder längeren Zeit die Herrschaft zu gewinnen.« Mehr als im individuellen tritt das Gesetz im geschichtlichen Leben, im Wechsel geistiger Strömungen[362] hervor (Gr. d. Psychol.5, S. 401 f.; Syst. d. Phil.2, S. 598; Log. II2, 2, S. 282 ff.; Phil. Stud.X, 75 ff.). Vgl. Widerstreit, Widerspruch, Element.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 361-363.
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