Aberglaube

[7] Aberglaube oder Afterglaube ist ein unechter oder falscher, auf bloßem Wahne beruhender Glaube, welcher aus Irrthum oder Beschränktheit des Verstandes und Schwäche des Gemüths entsteht. In seiner Phantasie erdichtet sich der Abergläubige willkürlich einen Zusammenhang unsichtbarer Ursachen mit sichtbaren Wirkungen, und erwartet in solchem Irrwahne etwas ganz Übernatürliches, und den Gesetzen der gesunden Vernunft und Erfahrung gradezu Widerstreitendes. Dieses thut er sowol in Beziehung auf sinnliche und irdische Dinge, indem er z.B. glaubt, durch Zaubersprüche gesund oder krank, reich oder arm werden zu können, als auch in Beziehung auf Gott und Religion, wenn er glaubt, Gott sei ein zorniges und rachsüchtiges Wesen, das durch Geschenke und äußere Büßungen versöhnt oder durch irgend einen ihm gleichsam erzeigten Dienst bewogen werde, uns wieder einen Dienst zu thun. Man unterscheidet daher einen physischen und religiösen Aberglauben. Beide beruhen aber auch auf einer Schwäche des Gemüths, welches gern in Staunen und Bewunderung versetzt ist und sich daher diesem Gefühle ohne alle Prüfung leicht hingibt. Der Abergläubige hascht daher überall nach Wundern; er glaubt nicht nur an Sterndeuterei, Zauberei, Hexerei, Wahrsagen, Geistercitiren, Teufelsbeschwörungen u. dergl., sondern hat auch falsche religiöse Ansichten. Seltene Naturerscheinungen dienen dem Aberglauben ganz vorzüglich zur Nahrung. Die leicht getäuschte Phantasie bereitet dabei sich und Andern ein unermeßliches Feld, auf dem die Saat des Aberglaubens mit verderblichen Früchten: Denkscheu, Dummheit, Glaubens- und Gewissenszwang, Verfolgungswuth und Geistestyrannei im Finstern reichlich wuchern kann. Nur einer allgemeinen Verbreitung richtiger Vorstellungen und Begriffe durch eine vernunftgemäße Erziehung und Belehrung des Volkes kann die Nacht des Aberglaubens weichen.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 7.
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