Strafe

[311] Strafe nennt man die nachtheilige Folge einer unsittlichen und rechtswidrigen Handlung, welche Den trifft, der die letztere sich hat zu Schulden kommen lassen. Schon die leibliche und geistige Natur, das unmittelbare Dasein des Menschen, ist dem Gesetz unterworfen, daß die Übertretung der Sittlichkeit üble Folgen nach sich zieht. Die Leidenschaften machen den Körper krankhaft und die Qualen des Gewissens sind die unausbleiblichen Folgen jeder unsittlichen Handlung. Da der Staat allein auf das Bewußtsein der dem Menschen angeborenen Sittlichkeit gegründet ist, sein Zweck kein anderer ist, als nach diesem Bewußtsein die Sittlichkeit unter dem Volke, welchem er angehört, zur Herrschaft zu bringen und in der Herrschaft zu erhalten, so kommt es ihm auch zu, mit Bewußtsein die Strafe dem Übertreter der Gesetze zu ertheilen. Ohne das Strafrecht kann der Staat nicht existiren, denn indem er straft, geschieht nichts Anderes, als daß er seine eigne sittliche Existenz gegen jede unsittliche Existenz des Einzelnen geltend macht. Der Zweck der Strafen, wie sie im Staate als die dem Übertreter der Gesetze mit Bewußtsein zugefügte Einschränkung oder Aufhebung seiner Persönlichkeit existiren, kann daher kein anderer sein, als die Existenz des Staates selbst, also die Existenz einer bewußten Herrschaft der Sitte, des Rechts. Nur insofern als der Staat für die Glückseligkeit seiner Mitbürger nicht nur im Allgemeinen, sondern auch in Bezug auf den Einzelnen sorgt, wird für diese selbst die Strafe einerseits zum Besserungsmittel, andererseits zum Warnungsmittel. Die Besserung und Warnung ist dagegen vorwaltender Zweck der Strafe im Familienleben. In diesem existirt der junge Mensch noch als geistig wie körperlich erst in der Entwickelung begriffenes Individuum und die Strafe ist nichts Anderes als eine wohlthätige Zucht, auf daß diese Entwickelung auf eine dem Wesen des Geistes angemessene Weise vor sich gehe. Vollgültige Mitglieder des Staats sind die erzogenen, nach den Zeitverhältnissen und äußerlichen Lebensbedingungen der Einzelnen vollständig ausgebildeten Menschen. Der Staat soll also nicht erziehen, sondern er soll in seinen Gesetzen den wahrhaft vernünftigen Willen seiner wahrhaft sittlich erzogenen Mitglieder aussprechen und diesen unbedingt geltend machen. Nur bei solchen Vergehen, welche aus offenbarer Unmündigkeit des Geistes, nicht aus Verdorbenheit des Einzelnen hervorgehen, mag der Staat die Erziehungspflicht der Familie übernehmen, und er thut dies zum Theil in den policeilichen Strafen und Maßregeln. Ein gänzlich verdorbenes Subject, welches der Existenz des Staates sich gradezu in den Weg stellt, sodaß es dieselbe in einzelnen seiner Glieder vernichtet, hat der Staat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, aus dem Wege zu räumen, es zeitlich zu vernichten. Ein solches Subject ist der Mörder, der mit Besonnenheit einem Mitgliede des Staats das Leben genommen hat; ihm gebührt mit allem Rechte die höchste aller Strafen, die Todesstrafe. Die Strafe, welche der Staat verhängt, soll aber niemals Rache sein, weil die Rache selbst unsittlich, also der Würde des Staats zuwider ist. Daher sind alle sogenannten qualificirten Todesstrafen, solche, welche mit Martern für den Verurtheilten[311] verbunden sind, in allen gebildeten Staaten mit wenig Ausnahmen abgeschafft worden, denn sie machen die Strafe zu einer Rache. Eben darum hat man in den cultivirten Staaten alle jene Strafen abgeschafft, welche in einer auch nicht das Leben angreifenden Marter bestehen, wie Abhauen der Hände, Abschneiden der Ohren, Ausstechen der Augen u. dergl., und mit Recht nur noch Strafen bestehen lassen, welche in gänzlicher oder theilweiser Beraubung der im schlechten Subject zur Willkür ausgearteten persönlichen Freiheit bestehen, also nach der Todesstrafe: Gefängniß, Ausschließung aus dem Staatsverbande (Deportation, Landesverweisung), Verlust des Staatsbürgerrechtes, Entfernung vom Amte, Unterwerfung unter policeiliche Aufsicht u. dergl. Bei Vergehungen, welche als eine vorübergehende Verirrung anzusehen sind und wo es darauf ankommt, daß der Staat seine Macht dem Einzelnen empfinden lasse, um ihn dadurch zur Besinnung zu bringen, sowie bei Verletzungen von Gesetzen, welche nicht aus der Sittlichkeit der Menschen selbst sich ergeben, sondern auf mehr oder weniger willkürlichen Verordnungen zu Gunsten des Staatshaushaltes beruhen (z.B. Stempelgesetzen, Gesetzen über Abgaben und Steuern), sind Strafen gerechtfertigt, welche die Persönlichkeit des Einzelnen nur momentan oder in gewissen Äußerungen derselben (Besitz, Vermögen) beschränken, wie körperliche Züchtigung, Geldstrafen u. dergl. Die öffentlichen Arbeiten, welche gewissen Verbrechern auferlegt werden, sollen nach den Grundsätzen, welche hier entwickelt worden, niemals ein den Kräften des Individuums angemessenes Maß überschreiten, auf daß nicht die Strafe den Schein der Rache annehme. Werden sie innerhalb der vernünftigen Grenzen gehalten, so dienen sie nicht nur zur Erhaltung des körperlichen Wohlseins, sondern können auch den arbeitscheuen Verbrecher an eine regelmäßige Thätigkeit gewöhnen und ihn dadurch bessern. Man unterscheidet die bürgerlichen Strafen in Criminalstrafen, welche auf wirkliche Verbrechen (s.d.) ertheilt werden; Civilstrafen auf Rechtsverletzungen gegen den Staat oder Einzelnen, welche nicht wirkliche Verbrechen sind; Policeistrafen gegen Übertretungen der bestehenden Verordnungen zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit; und Ordnungsstrafen oder Disciplinarstrafen zur Aufrechthaltung der nöthigen Ordnung im Staatsdienste. Die Gesetze geben zugleich die Strafe an, welche Denjenigen treffen soll, der sie übertritt; da aber in einzelnen Fällen die Vergehungen nicht selten von der Art sind, daß sich eine bestimmte Strafe für sie gar nicht im voraus festsetzen läßt, so muß es oft auch dem Richter überlassen bleiben, das Strafmaß zu bestimmen. Endlich sind nach einzelnen Gesetzgebungen auch sogenannte außerordentliche Strafen bei Verbrechern nöthig, denen wegen Mangel des Geständnisses oder vollständigen Beweises die volle Strafe, welche das von ihnen übertretene Gesetz ausspricht, nicht zuerkannt werden kann.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 311-312.
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