Richter [1]

[707] Richter (Jean Paul Friedrich), gewöhnlich wie auf seinen bis 1796 erschienenen Schriften Jean Paul genannt, einer der ausgezeichnetsten deutschen Dichter und humoristischen Schriftsteller, außerordentlich reich an Witz und komischer Laune, an Gemüth, romantischer Phantasie und vielseitiger Ansicht von der Welt, war am 21. März 1763 zu Wunsiedel im damaligen Markgrafthum Baireuth geboren und der Sohn des Tertius am dasigen Gymnasium und nachherigen Pfarrers zu Schwarzenbach an der Saale. Nachdem R. durch einen kurzen Besuch des Gymnasiums zu Hof seine Vorbildung für die Universität vollendet hatte, ging er 1780 nach Leipzig, um Theologie zu studiren, gab aber dies bald auf, um in den mannichfaltigsten Gebieten des Wissens Befriedigung zu suchen und seinem Genius zu leben. Mit Satiren ( »Grönländische Processe«, 2 Bde., Berl. 1783–85; »Auswahl aus des Teufels Papieren«, Gera 1788) begann R. seine schriftstellerische Laufbahn unter großen Bedrängnissen, welche ihn 1785 nöthigten, nach Hof zurückzukehren und da sich hier noch die Sorge für eine bejahrte, theure Mutter hinzugesellte, 1790 bewogen, den Unterricht der Kinder mehrer Familien in Schwarzenbach zu übernehmen. Hier blieb R. bis 1794, obgleich inzwischen nach Herausgabe seiner »Unsichtbaren Loge« (2 Bde., Berl. 1793) eine größere Theilnahme für seine Schriften und damit die Hoffnung auf Verbesserung seines Einkommens eingetreten war. Nach Hof zurückgekehrt, ließ er »Hesperus« (4 Bde., Berl. 1794), »Quintus Fixlein« (Baireuth 1796), »Blumen-, Frucht- und Dornenstücke, oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvocaten Siebenkäs« (4 Bde., Berl. 1796–97) erscheinen, welche sämmtlich zu seinen vortrefflichsten Werken gehören und die Blicke des ganzen gebildeten Deutschlands auf ihn lenkten. Als R. daher nach dem Ableben seiner Mutter seit 1797 in Leipzig, Weimar, Gotha und Berlin vorübergehend verweilte, ward er überall mit der einem der ersten Geister der deutschen Literatur gebührenden Auszeichnung aufgenommen. In dieser Zeit kamen auch mehre von seinen vorzugsweise ein philosophisches Gepräge tragenden Schriften zu Stande, wie »Das Campanerthal, oder über die Unsterblichkeit der Seele« (Erfurt 1798), und »Palingenesien, enthaltend Fata und Werke vor und in Nürnberg« (2 Bde., Gera 1798). Im Mai 1801 vermählte er sich mit einer Tochter des geheimen Obertribunalraths Maier in Berlin, hielt sich dann in Meiningen, 1803 in Koburg auf, wählte aber zuletzt Baireuth zum bleibenden Wohnort, von dem er auch nur auf kurze Zeit einen Ausflug nach Süddeutschland, an den Rhein, nach Berlin oder Dresden unternahm. Von seinen spätern humoristischen Schriften sind besonders »Titan« (4 Bde., Berl. 1800–3), »Flegeljahre« (4 Bde., Tüb. 1804), »Katzenberger's Badereise« (2 Bde., Heidelb. 1809), »Des Feldprediger Schmelzle Reise nach Flätz« (Tüb. 1809) hervorzuheben, auch ließ er noch mehre philosophische Werke, wie die »Vorschule der Ästhetik« (3 Bde., Hamb. 1804; 3. Aufl. Tüb. 1814) und »Levana, oder Erziehungslehre« (Braunschw. 1817) erscheinen; unvollendet hinterließ er und erst nach seinem Tode kam heraus »Selina, oder über die Unsterblichkeit« (Stuttg. 1827). Der Herzog von Sachsen-Meiningen zeichnete R. durch den Titel eines Legationsraths aus, vom Großherzog von Frankfurt (s. Dalberg) aber bezog er seit 1809 ein Jahrgeld von 1060 rhein. Gldn., dessen Auszahlung 1815 König Max von Baiern übernahm; die Universität Heidelberg ertheilte ihm 1817 das Diplom eines Doctors der Philosophie und im J. 1820 ward er von der Akademie zu München zum Mitglied aufgenommen. Auch zu den Zeitereignissen stehen mehre seiner Schriften in näherer Beziehung, wie z.B. das »Freiheitsbüchlein und Abhandlung über Preßfreiheit« (Tüb. 1805); »Friedenspredigt« (Heidelb. 1808); »Mars und Phöbus Thronwechsel im J. 1814« (Tüb. 1814); »Politische Fastenpredigten«. (Tüb. 1817). Durchaus selbständig in seiner humoristischen Darstellungsweise, dabei von unendlicher Tiefe des Gemüths und der Weltanschauung, häufig zwar zu verschwenderisch mit dem bildlichen Ausdrucke, aber immer mit der edelsten Begeisterung dem Himmel wie der Erde zugewendet und den Adel seiner Gesinnung nie verleugnend, hat sich R. durch seine auch mit dem Gepräge der reinsten Sittlichkeit gezierten Schriften ein unvergängliches Denkmal errungen, das ebenso sehr sein ausschließliches wie der deutschen Literatur und des deutschen Volkes Eigenthum ist. Denn nur deutsche Gemüther und deutsche Bildung vermögen dem erhabenen Fluge seines Genius zu folgen, der mit seinen Ideen und Betrachtungen in allen Abstufungen dichterischer Gefühle und menschlicher Empfindungen den ganzen Kreis des irdischen Thuns und Wissens zu erleuchten, wie die grenzenlosen Regionen des Jenseits zu beseelen verstanden hat, daher auch keine Übertragung dem Auslande die Schätze dieses Geistes einigermaßen vollständig zu eröffnen im Stande ist. Was auch immer in Hinsicht der Form, wie z.B. zu subjective Haltung der Charaktere, manierirte Schreibart, mangelhafte Anlage, den Schriften R.'s zum Vorwurf gemacht wird, ihr innerer Gehalt entschädigt für alle diese Schwächen. In seinen letzten Jahren litt R. an einer Augenkrankheit, die 1826 ihn ganz des Augenlichts beraubte, und starb nach schnellem Sinken seiner Lebenskräfte am 17. Nov. 1825. Noch kurz vor seinem Tode hatte er angefangen, die Sammlung seiner sämmtlichen Werke vorzubereiten, welche in 60 Bänden (Berl. 1816–28) erschienen sind und zu deren näherm Verständniß, sowie hinsichtlich R.'s nicht weniger originellen Privatlebens das von ihm selbst begonnene, nach seinem Tode aber aus Briefen und mündlichen Nachrichten vervollständigte Werk »Wahrheit aus I. Paul's Leben« (8 Bde., Bresl. 1826–33), sowie die Schriften seines Neffen Spazier: »R. in seinen letzten Tagen« (Bresl. 1825) und »I. P. Friedr. R., ein biographischer Commentar zu dessen Werken« (5 Bde., Lpz. 1833), auch Döring's »Leben und Charakteristik R.'s« (2 Bde., Lpz. 1830) die Mittel gewähren.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 707.
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