Verbrechen

[571] Verbrechen ist jede durch ein Strafgesetz bedrohte, dem Rechte eines Andern widersprechende Handlung. Insofern der Staat berechtigt ist, durch Policeigesetze auf seinen Zweck mittelbar hinzuwirken und durch diese an sich nicht rechtswidrige Handlungen zu verbieten, sofern gibt es besondere Rechte des Staats auf Unterlassung dieser speciell verbotenen Handlungen, und es entsteht, wenn die Verletzung dieser Rechte mit Strafe bedroht wird, der Begriff von Policeiübertretungen oder Vergehen, welche von den wirklichen Verbrechen wohl zu unterscheiden sind. Diese Unterscheidung, welche für den Gesetzgeber von großer Bedeutung ist und auch von ausländischen Gesetzgebungen, z.B. der franz., streng beobachtet wird, hat aber bei uns in Deutschland noch nicht die verdiente Berücksichtigung gefunden, indem nach gemeinem deutschen Rechte beide Gattungen nach gleichem Princip beurtheilt werden. – Da Erhaltung der Rechte überhaupt Zweck der Strafgesetze ist, so sind sowol die Rechte der Unterthanen, als auch die dem Staate, als moralischer Person, zukommenden Rechte Gegenstand ihrer schützenden Drohungen. Wer nun durch Übertretung eines Strafgesetzes unmittelbar die Rechte des Staats verletzt, begeht ein öffentliches oder Staatsverbrechen, ist aber das Recht eines Unterthanen unmittelbarer Gegenstand der Verletzung, so ist ein Privatverbrechen vorhanden. Durch Unterlassungen kann nur dann ein Verbrechen begangen werden, wenn ein besonderer Rechtsgrund (Gesetz oder Vertrag) die Verbindlichkeit zum Handeln in sich schließt und das Nichthandeln mit Strafe bedroht ist. Nur ein Individuum, nicht aber eine moralische Person (Gesellschaft) kann ein Verbrechen begehen und selbst, wenn alle Mitglieder einer Gesellschaft sich desselben Verbrechens schuldig machen, werden sie nur als Individuen und nicht als Gesellschaft bestraft. Da ein Verbrechen nothwendig ein Strafgesetz voraussetzt, so kann es nur von einem Menschen begangen werden, der einer höhern gesetzgebenden und richterlichen Gewalt unterworfen ist, daher ein Souverain im eigentlichen Sinne des Worts kein Verbrechen begehen kann. Vermöge dieses Grundsatzes war nach der ehemaligen deutschen Reichsverfassung nur der Kaiser eines Verbrechens unfähig, wogegen die sogenannten Landesherren, als unmittelbare Bürger und Unterthanen des deutschen Reichs, dessen Gesetzen unterworfen waren. Seitdem aber mit Auflösung des Reiches ein Theil der Landesherren die volle Souverainetät erlangt hat, ist die bürgerliche Unsträflichkeit auch auf sie übergegangen und nur die Übrigen (die Standesherren) müssen, gleich andern Unterthanen, die Strafgesetze des Landes anerkennen, dessen Oberherrlichkeit sie unterworfen sind. Nur wer den Gesetzen eines bestimmten Staates unterworfen ist, kann auch von diesem wegen begangener Verbrechen bestraft werden, daher ein Ausländer nur dann, wenn er die That innerhalb der Grenzen des Staates begangen, wodurch das forum delicti commissi begründet wird. Eine bestimmte Übertretung ist erst dann vollständig, wenn Alles geschehen ist, was zum Begriff des Verbrechens gehört. Bei dem unternommenen Verbrechen lassen sich drei Hauptgrade unterscheiden: 1) die geendigte Unternehmung, wenn alle zur Hervorbringung einer gesetzwidrigen Wirkung erfoderlichen Handlungen geschehen sind, ohne daß jedoch der beabsichtigte Erfolg wirklich entstand, 2) der nächste Versuch, wenn der Verbrecher schon die Haupthandlung, d.i. diejenige Handlung angefangen hatte, deren Endigung den gesetzwidrigen Erfolg unmittelbar hervorbringen [571] sollte und konnte, und 3) der entfernte Versuch, wenn er Handlungen begangen hat, durch welche erst die Haupthandlung vorbereitet werden sollte. Jede Übertretung setzt eine bestimmte Person, als wirkende Ursache voraus. Diese Person, in deren Willen und Handlung die hinreichende Ursache enthalten ist, welche das Verbrechen als ihre Wirkung hervorbrachte, heißt Urheber (autor delicti). Dieser kann das Verbrechen entweder selbst begehen (unmittelbarer oder physischer Urheber), oder durch absichtliche Bestimmung des Willens eines Andern die Begehung der That veranlassen (mittelbarer oder intellectueller Urheber). Wer an dem Verbrechen des Urhebers absichtlich durch solche Handlungen oder Unterlassungen Theil nimmt, welche zwar an und für sich das Verbrechen nicht hervorbringen, aber durch Beförderung der Wirksamkeit des Urhebers zu dessen Begehung mit beitragen, heißt Gehülfe. Durch die Theilnahme mehrer Personen an der Entstehung eines und desselben Verbrechens entsteht der Begriff der Complicität oder Concurrenz der Verbrecher. Es können sowol Gehülfen und Urheber als auch mehre Urheber (Miturheber) bei einem und demselben Verbrechen concurriren. In letzterm Falle begründet entweder schon die Handlung eines jeden Einzelnen für sich das Dasein eines Verbrechens, z.B. jeder Theilnehmer hat auf einen Ermordeten einen tödtlichen Hieb geführt, oder erst der Inbegriff aller Handlungen zusammen bildet das vollständige Verbrechen, z.B. der eine Räuber hält die Pistole auf die Brust des zu Beraubenden, der Andere plündert ihn aus. Wenn Mehre durch gegenseitiges Versprechen wechselseitiger Hülfe die Begehung eines Verbrechens gemeinschaftlich beschließen und sich zu gemeinschaftlicher Ausführung desselben verbinden, so ist ein Complott vorhanden. Da hier der Einfluß jedes Einzelnen bestimmt wird, auch die vertragsmäßig begründete Erwartung des Beistandes und der Mitwirkung aller Übrigen, so ist jeder Mitverbündete in Ansehung dessen die Erwartung der Übrigen bis zu vollendeter That fortdauerte, als intellectueller Urheber des vollendeten Verbrechens zu betrachten, wenn er auch an dessen Ausführung keinen thätigen Antheil genommen hat. Das Complott wird zur Bande, wenn der Zweck der Vereinigung nicht ein bestimmtes einzelnes Verbrechen, sondern eine ganze Gattung, mithin eine unbestimmte Menge einzelner Verbrechen ist.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 571-572.
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