Erwiderung von Verbrechen

[81] Erwiderung von Verbrechen (Retorsion, auch Anrechnung oder Kompensation) ist die Tatsache, daß die von dem Täter begangene strafbare Handlung mit einer gleichartigen, gegen den Täter gerichteten Handlung von dem Verletzten erwidert worden ist. Die Tatsache der E. kann strafrechtlich insofern von Bedeutung werden, als dem Richter die Möglichkeit geboten werden kann, einerseits die erklärliche Aufregung des zuerst Angegriffenen (des Retorquierenden oder Retorquenten), anderseits den Umstand zu berücksichtigen, daß dieser sich selbst Sühne genommen hat, das durch die zu bestrafenden Handlungen beiderseits bereits erlittene Übel auf die zu verhängende Strafe in Anrechnung zu bringen und so zur Strafumwandlung, ja selbst zur Verschonung mit aller Strafe zu gelangen. Dies ist auch der Standpunkt des Deutschen Strafgesetzbuchs (§ 199 und 233). Wenn nämlich leichte Körperverletzungen mit solchen, Beleidigungen mit leichten Körperverletzungen oder letztere mit erstern auf der Stelle (d. h. solange die durch die Kränkung hervorgerufene Gemütsbewegung fortdauert) von dem Verletzten selbst erwidert werden, so kann der Richter für beide Angeschuldigte oder für einen von ihnen eine der Art oder dem Maß nach mildere Strafe eintreten lassen oder von der Bestrafung des einen oder beider völlig absehen. Wenn dagegen eine Beleidigung mit einer Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, so ist der Richter nicht zur Milderung der Strafe, sondern lediglich dazu berechtigt, beide Beleidiger oder einen von ihnen für straffrei zu erklären. Vgl. Steinitz, Die sogen. Kompensation im Reichsstrafgesetzbuch (Bresl. 1894).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 81.
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