Handlung

[756] Handlung (lat. Actio), im philosophischen Sinne jede durch Vorstellungen (Motive) oder Gefühle bestimmte und in die materielle Außenwelt hinübergreifende Tätigkeit eines geistigen Wesens. Bei leblosen Dingen spricht man daher nicht von Handlungen, sondern bloß von (mechanischen) Wirkungen, ebenfalls bezeichnet man bei Menschen und Tieren[756] weder die rein physiologischen Lebenstätigkeiten (wie das Atmen etc.) noch auch die innerlich-geistigen Funktionen (wie das Denken etc.), sondern nur die aus seelischen Ursachen entspringenden willkürlichen Muskelbewegungen als Handlungen. Die H. ist das Schlußglied des nach außen gerichteten Willensprozesses und muß daher stets das Merkmal der Willkürlichkeit tra gen, woraus jedoch nicht folgt, daß sie frei im metaphysischen oder auch nur im moralischen Sinn ist. Vgl. Wille. – In der Ästhetik dient das Wort H. zur Bezeichnung eines nach künstlerischen Gesichtspunkten einheitlich geordneten Komplexes von Vorgängen, der in der epischen und dramatischen Poesie den Mittelpunkt der Darstellung bildet, während er von der bildenden Kunst und der Musik, ihren Ausdrucksmitteln entsprechend, ausgeschlossen ist. Die ästhetische oder richtiger poetische H. besteht aus drei Teilen: Anfang, Mitte und Ende; sie vollzieht sich durch Verwickelung oder Schürzung des Knotens einerseits und Entwickelung oder Lösung anderseits. Der Anfang legt die Sachlage dar, auf deren Grund sich eine Veränderung vollzieht; die Verwickelung entsteht dadurch, daß der Hauptperson des dichterischen Gebildes, dem »Helden«, sei es infolge seiner eignen Willensbetätigung, sei es ohne diese, eine Hemmung begegnet, durch die er aus seiner Bahn gelenkt wird; die Entwickelung oder Lösung bringt dann entweder die glückliche Überwindung der Hemmung durch die Helden oder aber seinen tragischen Untergang. Die ästhetische H. entwickelt sich nicht nur, wie die H. im Lebenssinn, durch die Betätigung des menschlichen Willens, sondern ebenso infolge von Naturereignissen, Schicksalswendungen und Zufall; sie besteht nicht in einem einfachen Gebilde wie die Lebenshandlung, sondern ist meist aus vielen Teilen zusammengesetzt, jedoch einheitlich geordnet. Auf Willensregungen beruht in der Regel die H. des Dramas (s. d.), während die epische Poesie die verschiedensten Ursachen des Geschehens zuläßt. Soweit sie auf Willensregungen beruht, unterscheidet man eine äußere und innere poetische H.: die erstere gibt sich nach außen kund durch ein Tun des Helden, die letztere beschränkt sich auf die innere Bewegung, das Wünschen, Sehnen, Begehren, Wollen, die Entscheidung und den Entschluß, ohne das Handeln einzubeziehen. Von poetischer Bedeutung ist zumeist die innere H., doch ist eine gewisse Unterstützung, wenigstens durch spärliche Züge der äußern für eine wirksame Darstellung unerläßlich. Der Aufbau der poetischen H. ist verschieden: man kann mit dem Anfang der darzustellenden Ereignisse beginnen oder in der Mitte einsetzen und zu dem Frühern an geeigneter Stelle zurücklenken, man kann retardieren, Einzelheiten nachtragen oder der Zeit vorauseilend bestimmte Züge voranschicken. Demgemäß unterscheidet Goethe fünf Motive, d. h. Bewegungsarten der poetischen H.: vorwärtsschreitende, rückwärtsschreitende, retardierende, zurückgreifende und vorgreifende Motive.

In der Malerei u. Skulptur bezeichnet H., von einer Gestalt gebraucht, daß sie in einer bestimmten, vom Willen abhängigen Tätigkeit begriffen zu sein scheint.

Im juristischen Sinne versteht man unter H. eine in die Sinnenwelt hervortretende Äußerung menschlichen Willens, und zwar sowohl ein Unterlassen als ein Tun. Eine H. kann Gegenstand und Entstehungsgrund eines Rechtes sein. Ersteres ist insbes. der Fall bei den Schuldverbindlichkeiten. In letzterer Beziehung teilt man die Handlungen ein in erlaubte (von denen die wichtigsten die Rechtsgeschäfte sind, s. d.) und unerlaubte (Delikte). Die mit einer öffentlichen, d. h. an den Staat zu verbüßenden Strafe bedrohten unerlaubten Handlungen nennt man strafbare Handlungen (Verbrechen, Vergehen, Übertretungen). – Im Geschäftsverkehr bedeutet H. auch soviel wie Handelshaus, kaufmännisches Geschäft. Veraltet soviel wie Handel, Handelsberuf.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 756-757.
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