Drama [1]

[169] Drama (griech., »Handlung«), diejenige Gattung der Poesie, in der das dramatische Element (s. Dramatisch) herrscht, in der also der Dichter nicht selbst das Wort führt, sondern die Gestalten seiner Phantasie redend und handelnd einführt und durch Wirkung und Gegenwirkung zu einem bestimmten Ziel gelangen läßt. Wie nun in der epischen Dichtung nicht selten neben dem erzählenden Element noch andre Elemente der Poesie (s. Poesie) zum Ausdruck gelangen, oder wie sich in der Lyrik dem lyrischen Element auch das didaktische, beschreibende und erzählende Element gesellen können, so gelangt auch in der Gattung des Dramas sehr oft das dramatische Element nicht ausschließlich zur Geltung; aber die Oberherrschaft über die andern Elemente der Poesie muß es unbedingt behaupten. So werden erzählende Darstellungen, wie sie etwa in den beliebten Botenberichten des griechischen Dramas oder in Schillers »Wallenstein« in der Erzählung des schwedischen Hauptmanns vorliegen, als wirksame Unterbrechungen der aufgeregten dramatischen Handlung willkommen zu heißen sein; durch lyrische Einlagen, insbes. in den Monologen, aber auch an andern Stellen, wird der dramatischen Handlung nicht selten die höchste poetische Weihe gegeben (man denke etwa an die lyrischen Partien des »Faust«); desgleichen kann das reflektierende Element, wie etwa in Goethes »Iphigenie« oder gar im »Tasso«, einen erheblichen Bruchteil der Darstellung in Anspruch nehmen. Doch ist das Überwiegen der nicht dramatischen Elemente stets als Fehler anzusehen, wenn freilich auch als ein Fehler, auf den wegen poetischer Vollendung in der Ausführung dieser fremden Elemente (wie z. B. im »Tasso«) nur der kritische Verstand aufmerksam zu werden pflegt. Die dramatische Handlung stellt dar, wie das leidenschaftliche Begehren sich zu Entschließungen verdichtet, in Taten umsetzt und mit dem leidenschaftlichen oder vernunftgemäßen Wollen des Gesamtbewußtseins oder aber auch Einzelner in Widerspruch gerät. Die Gesamtheit dieser Willensbewegungen und der Reaktionen, zu denen sie Anlaß gibt, bildet die Handlung des Dramas. Da in ihr ein geschlossener Komplex von Willensbewegungen zum Ausdruck kommt, ist sie ausgezeichnet durch das Merkmal der Einheit, während in der erzählenden Dichtung eine Reihe verschiedener Handlungen dadurch, daß sie sich auf eine und dieselbe Person erstrecken, zu einem Ganzen zusammengefaßt werden können. Statt der die Regel bildenden Einheit der dramatischen Handlung ist eine Mehrheit zulässig, wenn diese mehreren Handlungen konzentrische Kreise bilden; andernfalls ist sie fehlerhaft. Auch Nebenhandlungen oder Episoden sind nur dann im D. am rechten Platz, wenn sie durch ihren Inhalt die Haupthandlung in schärfere Beleuchtung rücken; so ist die Nebenhandlung von Max und Thekla im »Wallenstein« von entschiedener Bedeutung für die poetische Vertiefung der Haupthandlung. Die einheitliche Begrenzung der dramatischen Handlung ist auch dadurch begründet, daß sie, dem Wesen des dramatischen Elements entsprechend, in der Gegenwart und vor unsern Augen die allmähliche Entwickelung der zu Taten sich vollendenden Seelenbewegungen vorführt,[169] während dagegen der erzählende Dichter häufig nicht deren ganze Folge und ihre Entwickelung darstellt, sondern nur deren Abschluß und Ergebnis.

Die einheitliche dramatische Handlung läßt sich in mehrere Teile zerlegen, von denen bereits Aristoteles die Exposition, die Peripetie und die Katastrophe als die wichtigsten bezeichnete. Unter den neuern Theoretikern hat Gustav Freytag fünf Teile und drei Stellen unterschieden; die Teile sind nach ihm: 1) Exposition, 2) Steigerung, 3) Höhepunkt, 4) Umkehr und 5) Katastrophe; die Stellen oder »Momente« sind: 1) das erregende Moment gegen Ende der Exposition, 2) das tragische Moment vor Eintritt der Umkehr und 3) das Moment der letzten Spannung vor Eintritt der Katastrophe. Die fünf Teile entsprechen annähernd den üblichen fünf Akten unsrer Trauerspiele, können jedoch auch eine von diesen wesentlich abweichende Ausdehnung besitzen; so kommt es vor, daß sich die Steigerung bis tief in den dritten oder gar bis in den vierten Att hinein erstreckt. Freytag stellt sich Aufstieg und Abstieg der Handlung unter dem Bild einer Pyramide vor. So große Verbreitung diese seine Anschauung gefunden hat, so ist es doch oft unmöglich, sie ohne Zwang auf die konkreten Verhältnisse anzuwenden; die ungeheure Fülle der Erscheinungen läßt sich nicht in eine bestimmte Formel zusammenfassen; auch kann man nicht in allen Dramen von einer aufsteigenden und absteigenden Handlung, sondern in vielen nur von einer sich immer mehr steigernden Komplikation der Willensbewegungen reden; innerhalb dieser kann man einzelne tiefere Einschnitte der Handlung unterscheiden, d.h. solche Stellen, wo ein leidenschaftliches Wollen auftaucht oder sich in entscheidende Tat umsetzt, oder auch solche Stellen, wo der Handelnde durch die Gegner eine bedeutungsvolle Rückwirkung erfährt; so kann auch die Peripetie, d.h. der Schicksalswechsel, in der Regel der Übergang vom Glück zum Unglück, als ein solcher bemerkenswerter Einschnitt innerhalb einer Handlungsreihe besondere Beachtung verdienen. Freytags Hinweis auf Spiel und Gegenspiel, d.h. den Kampf mehrerer leidenschaftlich bewegter Willenskräfte, ist zutreffend; solcher Kampf ist durch das Wesen des dramatischen Elements begründet.

Von großem Einfluß auf den Bau des Dramas ist der Umfang der Vorgeschichte: ist sie groß, so wird auch die Exposition weitere Ausdehnung beanspruchen; setzt dagegen die Handlung mit geringen Voraussetzungen ein, so kann die Exposition knapp sein, wie in den meisten Dramen Shakespeares. Nicht alle Teile der Vorgeschichte brauchen in den der Exposition dienenden Teilen des Dramas gleich zu Anfang mitgeteilt zu werden; so werden z. B. manche Züge aus Wallensteins Jugendleben erst im fünften Akte von »Wallensteins Tod« in der Szene mit Gordon erwähnt; in der »Minna von Barnhelm« wird der wichtige Zug der Vorgeschichte, daß Tellheim Minnas Herz durch sein humanes Verhalten dem Feind gegenüber gewonnen habe, erst in der 6. Szene des 4. Aktes erwähnt. Gut ist die Exposition, wenn sie unmittelbar mit der eigentlichen Handlung verknüpft ist, wenn der Bericht über das Vergangene und die Entwickelung der das Stück ausmachenden Handlung Hand in Hand gehen, wie z. B. in der »Emilia Galotti«. Mangelhast dagegen ist die Exposition, wenn sich in ihr das erzählende Element breit geltend macht, wie z. B. in der Haute tragédie der Franzosen, oder wenn es gar in einem Prolog hervortritt, wie bei Euripides. Längere Vorspiele, wie etwa »Wallensteins Lager«, dienen in höherm Grade der Schilderung des Milieus als der Handlung.

Eine besondere Form nimmt das D. an, wenn die Handlung nicht in einer nach der Zukunft gerichteten Entwickelung als vielmehr in der Aufdeckung eines der Vergangenheit angehörenden Sachverhalts besteht: hier wird eine Analysis eines Tatbestandes geboten, der dem Handelnden selbst unbekannt oder wenigstens in seiner eingreifenden Bedeutung unbekannt geblieben war; man nennt dieses D. daher das analytische D., während das gewöhnliche D. mit seiner nach der Zukunft gerichteten Entwickelung der Handlung als das synthetische bezeichnet werden kann. Das bedeutendste analytische D. ist der »König Ödipus« von Sophokles; ein interessantes Seitenstück komischer Gattung hat Heinrich von Kleist in seinem »Zerbrochenen Krug« geliefert. Schillers »Maria Stuart« ist kein analytisches D. im strengen Sinne des Wortes, sondern ein synthetisches D. mit sehr umfangreicher Vorgeschichte. Wiederum eine andre Art des Aufbaues der Handlung bietet das novellistische D., das zuerst, besonders in Frankreich, zu Anfang des 19. Jahrh. gepflegt wurde, namentlich aber durch Henrik Ibsen in der dritten Periode seines Schaffens zu virtuoser Vollkommenheit weiter gebildet ist. Das Charakteristische dieses Dramas liegt darin, daß nicht nur die Vorgeschichte sehr umfangreich ist, sondern daß deren entscheidende Bestandteile erst spat, oft erst gegen Ende des Stückes, offenbart werden. So werden in »Römersholm« die Motive von Rebekkas Handeln gegenüber der unglücklichen Beate erst im letzten Akt aufgedeckt, und in den »Gespenstern« offenbart Frau Alving ebenfalls erst im letzten Akt ihres Gatten liederliches Leben und die Ursache von Oswalds Siechtum. Durch das anfängliche Verschweigen wichtigster Züge der Vorgeschichte wird eine starke, oft beinahe peinliche Spannung erweckt, die in der erzählenden Dichtung, besonders in der Novelle, beliebt ist; daher wird diese Form des Dramas als das novellistische D. bezeichnet.

Neben der Einheit der Handlung forderte die französische Theorie, Aristoteles mißdeutend, für das D. auch die Einheit des Ortes und der Zeit. Die Einheit des Ortes kann lediglich durch technische und äußerliche Forderungen begründet werden: ein allzu häufiger Szenenwechsel hindert die Vertiefung der Illusion. Anders steht es mit der Forderung von der Einheit der Zeit: wenn das D. einen in sich geschlossenen Komplex leidenschaftlicher Willensbewegungen darstellt, so wird es nur eine verhältnismäßig begrenzte Zeit in Anspruch nehmen, oder umgekehrt, wo das Zeitmaß allzu breit ausgedehnt ist, wird diese Ausdehnung als ein Symptom einer nicht einheitlich geschlossenen Handlungsreihe angesehen werden dürfen. Freilich, die Forderung von 12 oder 24 Stunden, wie sie Hédelin, Corneille u.a. für das D. aufgestellt haben, ist ganz äußerlich und unhaltbar; die einheitlich geschlossene Handlung eines Dramas kann sich auf Tage, Wochen oder Mon ate, selten aber über Jahre erstrecken.

Eine besondere Form der dramatischen Dichtung hat sich neuerdings in dem sogen. Milieudrama gebildet. In ihm wird nicht eine an einzelne Personen geknüpfte Handlungsreihe vorgeführt, sondern statt dessen werden die Zustände innerhalb eines bestimmten Kreises dargestellt, teils durch Handlungen mehr episodischen Charakters, teils durch Erzählung und Reflexion. Eine Hauptperson, einen Helden, gibt es in dieser Art Dramen nicht; der Held ist vielmehr[170] das Gesamtbewußtsein, das sich in den Zuständen dieses Kreises verrät. Das Milieudrama ist gut, soweit es sich, wie etwa in Hauptmanns »Webern«, größtenteils durch das dramatische Element, durch Handlung, darstellt; unbrauchbar dagegen, wenn in ihm überwiegend das erzählende, beschreibende und reflektierende Element zur Geltung kommt. Dieses gilt jedoch in der Hauptsache nur von dem ernsten D.; in dem komischen D. darf die Milieuschilderung mit Fug und Recht einen größern Raum behaupten. In ihm sollen die dauernden Eigenschaften und Zustände in ihrer komischen Nichtigkeit dargestellt werden, und die Handlung, die in der Regel auch in stereotypen Formen verläuft, dient nur zur Illustrierung dieser Eigenschaften und Zustände. Sie darf daher weniger geschlossen sein; nicht selten besteht sie aus mehreren konzentrischen Kreisen und wird, ohne daß der Wert der Dichtung darunter leidet, durch episodisches Beiwerk überwuchert.

In jedem D. stehen Charaktere und Begebenheiten in Wechselwirkung, und nur in abstracto sind beide voneinander zu trennen. Wohl aber kann in dem einen Falle das Schwergewicht mehr in einer kunstvollen und ungewöhnlichen Verknüpfung der Begebenheiten gelegen sein, im andern mehr in der eigenartigen leidenschaftlichen Willensbetätigung der Personen. Das erstere D., in dem die Handlung oder dramatische Fabel die Hauptsache ist, wird Situations- oder Fabeldrama, die letztere Art, in der der Charakter überwiegt, Charakterdrama genannt.

Das D. kann, wie alle Gattungen der Dichtung, entweder in der wirklichen Welt oder in einer imaginären Phantasiewelt spielen; die erstere Art überwiegt. In der Phantasiewelt spielt insbes. das neuerdings beliebt gewordene Märchendrama, das aber nur als symbolische Problemdichtung berechtigt, als solche jedoch in hohem Grade fähig ist, den verwickelten Kulturgehalt der Gegenwart zu spiegeln; auch die phantastische Komödie, wie sie Shakespeare angebaut hat, wird hierzu dienen können. Wie alle Poesie, so kann auch das D. verschiedenen Kulturschichten angehören, volkstümliches, konventionelles und individuelles Leben festhalten. Das Volksdrama, das im 16. Jahrh., bevor es berufsmäßige Schauspieler gab, herrschte, hat sich, wie in den Oberammergauer Passionsspielen, vereinzelt erhalten und ist in neuester Zeit, in der die Pflege der sogen. Heimatkunst wieder stärker in den Vordergrund getreten ist, auch anderwärts neu belebt worden.

Geschichte des Dramas.

Geschichtlich sind die Anfänge des Dramas bei allen Völkern aus der Nachahmung wirklicher oder als wirklich geglaubter Handlungen hervorgegangen. Die begleitenden Reden wurden dabei entweder (wie noch heutzutage bei den sogen. Stegreifkomödien) von den Darstellern selbst im Augenblick der Darstellung erfunden oder denselben zugleich mit der darzustellenden Handlung von dem Dichter in den Mund gelegt. Was zunächst das außereuropäische D. betrifft, so ziehen in China die Schauspieler gleich Seiltänzern umher und stellen Begebenheiten, meist Liebes- und Kriminalgeschichten, ohne geschlossene Handlung und sorgfältige Motivierung in dialogisierter Form dar. Als Urheber des regelrechten Dramas wird der Kaiser Hiuentsong (702–756) genannt; er soll aus Wechselrede und Wechselgesang das erste D. geschaffen haben. Ein chinesisches Schauspiel: »Die Waise von Tschao«, hat Voltaire für die französische Bühne bearbeitet; ein andres: »Der Geizige«, erinnert an Molière; auch historische Dramen sind der chinesischen Literatur nicht fremd. Reicher entfaltet tritt das D., obgleich erst verhältnismäßig spät, bei den Indern auf, wo sich auch die Anfänge dramaturgischer Regeln finden. Sie unterscheiden ein höheres, aus Scherz und Ernst gemischtes Schauspiel, das belehren, und ein niederes Lustspiel, das nur (mit derben Späßen, Wundern und Zauberpossen) die Masse ergötzen will. Die einzelnen Teile der Handlung, Exposition, Peripetie und Katastrophe (welch letztere, da das indische D. keinen tragischen Schluß kennt, meist durch Dazwischenkunft eines Wunders zum Besten gelenkt wird), treten deutlich auseinander, ebenso Haupt- und Nebenhandlung; auch die Besonderheiten der einzelnen Kasten und Berufsarten sowie der Geschlechter werden (sogar durch den Gebrauch verschiedener Dialekte) gekennzeichnet; im ganzen aber bleibt die Verknüpfung der Begebenheiten eine lose, und der Hauptreiz der Dichtung besteht in der oft überraschend schönen Ausmalung des Einzelnen. Gipfel der indischen Dramatik sind das dem König Sudraka zugeschriebene »Tonwägelchen« und die Werke des Kalidâsa (s. Sanskrit, Literatur), dessen »Sakuntala« die Liebesgeschichte der Brahmanentochter Sakuntala und des Königs Duschmanta, und dessen »Vikramorvasi« die Liebe des Purûravas zur Nymphe Urvasî behandelt. Aber auch Konversationsstücke, die in der höhern menschlichen Gesellschaft spielen, Intrigenstücke und allegorische Dramen sind auf der indischen Bühne zu Hause. In Peru fanden die spanischen Konquistadoren bei den Eingebornen ein in der Quichuasprache abgefaßtes D., »Ollanta« (deutsch von J. J. v. Tschudi und Graf Wickenburg, 1875), vor, das öffentlich ausgeführt wurde, und dessen Inhalt der einheimischen Geschichte der Inkas von Cuzco entnommen war.

In Europa erwuchs das D. zuerst in Griechenland aus dem Dionysoskult. Die Anfänge der Tragödie wurzeln in dem Dithyrambus genannten bakchischen Chorgesang, wie er sich in einzelnen Gegenden des Peleponnes entwickelt hatte, wo die Mitglieder des Chors im Kostüm der bocksähnlichen Satyrn, der Begleiter des Dionysos, und daher selbst Böcke (τράγοι, tragoi) genannt, an den Festen des Gottes unter mimischem Tanz ihre Lieder saugen; dieser Gesang hieß τραγωδία (trăgōdía), d.h. Gesang der Böcke, und die Bezeichnung erhielt sich, als das nach Athen als Bestandteil der Dionysien verpflanzte Satyrspiel sich zu einer dramatischen Handlung gestaltete und an Stelle des Bockkostüms eine der dargestellten Handlung gemäße Verkleidung des Chors trat. Den Grund zum eigentlichen D. legte in Athen um 534 v. Chr. Thespis, indem er dem Chor einen Schauspieler gegenüberstellte, der zwischen den Liedern in den Spielraum eintrat und die einzelnen Phasen einer fortschreitenden Handlung erzählte, und zwar zum Unterschied von den lyrischen Rhythmen und der dorischen Sprache der Lieder in dem der gewöhnlichen Rede näher stehenden iambischen Metrum und dem attischen Dialekt, auch wohl mit dem Chorführer Reden wechselte. Der Gebrauch von Masken verstattete dem Schauspieler, in verschiedenen Rollen aufzutreten. Diese Art der Darstellung, die nur aus Erzählung und dem Reflex derselben, den weit überwiegenden Liedern und Tänzen des Chors bestand, erhielt sich bis auf Äschylos, der durch Einführung eines zweiten, dem ersten untergeordneten Schauspielers (des Deuteragonisten im Gegensatze zum Protagonisten) den eigentlichen Dialog und das eigentlich Dramatische schuf und den Chorgesang dem dialogischen Teil unterordnete; einen[171] dritten Schauspieler (Tritagonist) fügte um 469 Sophokles hinzu; nur selten und ausnahmsweise wurde noch ein vierter verwendet. Auch der szenische Apparat wurde von Äschylos teils geschaffen, teils vervollkommt; ferner bildete er eine feste Sprache und einen erhabenen Stil aus und machte die Heldensage zum ausschließlichen Inhalt der Dichtung. Tragisch in unserm Sinne brauchte die attische Tragödie weder zu schließen noch überhaupt zu sein; war sie es, so ergab sich dies aus dem gewählten Sagenstoff, den freilich die Dichter nach ihren Zwecken vielfach umgestalteten; Erfordernis ist nur die ernsthafte Behandlung eines ernsthaften Stoffes. Schon vor Äschylos scheint sich ein gewisses Herkommen für Umfang wie Gliederung der einzelnen Stücke festgestellt zu haben, ebenso die Einrichtung, daß an jedem der drei Theatertage der großen Dionysien je vier neue Stücke, eine sogen. Tetralogie, von einem Dichter zusammen ausgeführt wurden, von denen das letzte, das sogen. Satyrdrama, seinem Stoffe nach ebenfalls der Heldensage angehörte, aber durch seinen aus Satyrn bestehenden Chor die Erinnerung an das ursprüngliche Satyrspiel erhielt. Als ursprüngliches Element der Dionysosfeier wurde der Chor trotz aller Beschränkungen, welche die Ausbildung des Dramas mit sich führte, beibehalten, so daß die Tragödie aus zwei Elementen bestand, dem eigentlich dramatischen mit dem iambischen Trimeter als vorwiegendem Metrum und dem melisch-orchestischen in den mannigfaltigen Formen der dorischen Melik, derart, daß durch die Chorpartien die Handlung gegliedert wurde. Herkömmlich ist es, daß die Bühne selbst stets als die Öffentlichkeit, das Freie gedacht ist, daher die Dekoration der Hinterwand nie das Innere eines Hauses darstellte. Ferner bedingte die vom ersten Auftreten an meist ununterbrochene Anwesenheit des Chors, der, gewissermaßen ein ideales Publikum, der Handlung als Teilnehmer oder doch teilnahmsvoller Zuschauer auf der Orchestra zwischen der Bühne und den eigentlichen Zuschauern beiwohnte, daß der Ort der Handlung höchst selten gewechselt wurde. So mußte vieles, was moderne Gewohnheit auf die Bühne selbst verlegt, als außerhalb derselben geschehen berichtet werden, meist in Form von Botenreden.

Die Komödie (d.h. das Lied des Komos) erwuchs aus dem beim Komos, dem dionysischen Festzug, üblichen mutwilligen Liedern und Tänzen, aus denen sich im dorischen Megara eine Art Lokalposse gestaltet haben soll. Nach Attika verpflanzt und hier weiter entwickelt, bildet sie seit 465 einen Bestandteil der Dionysien wie die Tragödie, von der sie die Grundformen (Gliederung, Chor, Schauspielerzahl, Masken u.a.) entnahm, in der Praxis aber grundverschieden war. Hat jene allgemein eine menschliche Bedeutung, so ist sie lediglich auf das athenische Publikum berechnet und wurzelt durchaus nur im athenischen Leben, dessen verschiedensten Gebieten sie zu ihren frei erfundenen Gebilden den Stoff entnimmt, nicht die wirklichen Erscheinungen schildernd, sondern in phantastischer, grotesker Weise karikierend. Zwar ist ihr Zweck, Lachen zu erregen, aber im Grunde hat sie die ernste patriotische Absicht, die Mißbräuche und Entartungen der Zeit aus Licht zu ziehen und der Lächerlichkeit preiszugeben. Durch das Ende der alten Demokratie und das Eingehen des Chors, durch den der Dichter in der sogen. Parabase mit dem Publikum selbst in Beziehung trat, der Grundbedingungen ihres Daseins beraubt, mußte diese sogen. ältere Komödie eingehen. Immer mehr wandte sich die Komödie dem öffentlichen Leben und ihrer ursprünglichen Richtung auf Verspottung ab und der Schilderung des gewöhnlichen Lebens zu. So entstand die unserm bürgerlichen Lustspiel vergleichbare sogen. neuere Komödie, wie die Tragödie ein vollkommen geregeltes Spiel, das mit seiner Komik und in der Umgangssprache die Handlung durchführte und darin sowie in der treuen Schilderung der Charaktere nach dem Leben ihre Hauptkunst sah.

Bei den Römern beruht das D. durchaus auf dem griechischen. Die heroische Stoffe behandelnden Tragödien waren mehr oder minder freie Bearbeitungen griechischer Originale; der griechischen Form schlossen sich an die Versuche, Stoffe der römischen Geschichte zu dramatisieren. Ebenso ist die römische Komödie anfangs nur Bearbeitung griechischer Vorlagen der neuern Komödie, deren Form und Charakter auch maßgebend für die folgenden Darstellungen italischen Lebens bleibt. Erst im letzten Jahrhundert der Republik kommen zu kunstmäßiger Behandlung die einheimischen alten Volksspiele, die Atellana, mit stehenden Charaktermasken, und der Mimus, von denen letzterer alle andern dramatischen Gattungen in der Kaiserzeit überlebt. Wie die griechischen Mustern nachgebildeten Komödien des Plautus und Terenz für die Entwickelung des modernen Lustspiels, so sind die nach griechischer Technik gearbeiteten Tragödien des Seneca für die Entwickelung der modernen Tragödie von Einfluß gewesen.

Das mittelalterliche D. hat sich aus dem sogen. officium entwickelt, das als Teil des Gottesdienstes an den großen Kirchenfesten die Geburt oder Grablegung Christi oder das Erscheinen der heiligen drei Könige symbolisch darstellte, wozu mit verteilten Rollen anfangs gesungen, später gesprochen wurde. Im 10. Jahrh., wo diese Offizien zuerst in Handschriften auftreten, zeigen sie in den verschiedenen Ländern so auffallende Übereinstimmungen, daß man zu deren Erklärung auf Entstehung in der Zeit der Reichseinheit unter Karl d. Gr. zurückschließt. Aus diesen Offizien entstanden dann die sogen. Mysterien (s. d.), Weihnachts- und Passionsspiele (s. d.), geistliche Schauspiele, die anfänglich in lateinischer Sprache von den Geistlichen selbst, seit dem 13. Jahrh. aber auch von Weltlichen in den Volkssprachen, zuerst in den Kirchen, späterhin auf eignen Schaubühnen dargestellt wurden. Durch die Einführung allegorischer Figuren, Personifikationen der verschiedenen einander bekämpfenden Tugenden und Laster, entstanden die sogen. Moralitäten (s. d.), die allmählich, wie erstere, in die Hände von Brüderschaften (wie die Basoche [s. d.] die Confrérie de la Passion [s. d.] u.a. in Paris) gerieten und so die Veranlassung zur Gründung stehender Bühnen wurden. In diesen gab Frankreich den Ton an, nach dessen Vorgang sich in Deutschland die Passionsspiele (von denen sich jene in Oberammergau und in einigen Tälern Tirols bis heute erhalten haben), in England die Mirakelspiele ausbildeten; im komischen Genre ging Italien mit seiner sogen. »commedia dell' arte« voran (der altitalischen Stegreifkomödie mit den stehenden Charaktermasken des Arlecchino, Pantalone, Tartaglia, Graziano, der Kolombine etc., deren jede in einer besondern Mundart sprach). Diese »commedia dell' arte« wurde in Deutschland durch die volkstümliche Gestalt des Hanswurstes und die (bürgerlichen) Mummereien und Fastnachtsschwänke (besonders in den Reichsstädten) nachgeahmt. Mit der Renaissance kam zuerst in Italien ein Kunstdrama, mit der Reformation bei den neuern romanischen[172] und germanischen Völkern (in Spanien, England, Frankreich und Deutschland) ein nationales D. empor. Jenes ging in der Tragödie in äußerlicher Nachahmung der klassischen Formen, in der Komödie dagegen in burlesker Darstellung frivoler Zucht- und Sittenlosigkeit auf, von der sich auch ernste Männer, wie Machiavelli und G. Bruno, nicht frei hielten. Dieses bildete (Spanien im katholischen, England im protestantischen Sinne) die dramatischen Anfänge des Mittelalters weiter aus, während Frankreich und Deutschland mit denselben gebrochen haben, um, jenes das römische, dieses das hellenische Ideal in ihrer Weise zu erneuern.

Während im antiken D. das ohne eigne Schuld des Helden über ihn hereinbrechende Schicksal das eigentlich treibende Element der dramatischen Bewegung ist, erscheint im neuern D. in höherm Grade der Held als durch seine eigne Tat sein Schicksal herausfordernd, so daß jenes überwiegend Situations- oder Fabel-, das neuere überwiegend Charakterdrama wird. In letzterm haben die Engländer, vor allen Shakespeare, das Höchste geleistet; das klassische D. der Deutschen (Goethe und Schiller) hat dann beide Weisen zu vermählen versucht. Der Gang der Handlung wird im neuern D. breiter, die Charakteristik mannigfaltiger und individueller, die Darstellung dem äußern Leben. ähnlicher und realistischer. Die Beschränkung, welche die Gegenwart des Chors auf der antiken Schaubühne der örtlichen und zeitlichen Anlage der Handlung auferlegte, fällt weg. Schauplatz der Darstellung bleibt zunächst die schmucklose Bretterbühne des Mittelalters. Im Gegensatze zu ihrer Einfachheit wird die größte Sorgfalt auf Ausmalung der Charaktere und Motive der Handelnden sowie auf glänzende poetische Diktion und die Phantasie erregende Darstellung verwendet. Das Schöne wird durch das Interessante gewürzt, dem Tragischen das Komische und umgekehrt beigemengt. Die Höhe des Dramas in Spanien bezeichnet nach dessen volkstümlicher Seite hin Lope de Vega, nach dessen höfischkunstmäßiger Seite Calderon; in England erreichte die Höhe des Dramas Shakespeare. Jenes behält etwas Konventionelles, weil nach katholischer (überhaupt nach geistlicher) Vorstellung der natürliche Gang der Handlung jederzeit durch ein göttliches Wunder unterbrochen werden kann und oft genug wirklich wird; das D. Shakespeares dagegen stellt die rein menschliche (weltliche) Auffassung dar. Nach ihm haben durch Ben Jonson und dessen Schule antike und französische Einflüsse auch in England Eingang gefunden. In Frankreich, dem einstigen Sitz des mittelalterlichen Schauspiels, kämpften im Anfang spanische mit antikklassischen Mustern; letztere gewannen, vornehmlich durch den Einfluß der von Richelieu gestifteten Akademie, die Oberhand, und die französische Tragödie wurde durch Corneille nach den Vorschriften des von ihm selbst mißverstandenen Aristoteles geschaffen. Die Anlage der Handlung wurde durch die Forderung der sogen. Einheit des Ortes und der Zeit unnatürlich eingeschränkt, aber die Einheit und Geschlossenheit der Handlung, die übersichtliche Motivierung und die Konzentration der Aufmerksamkeit auf die innern Konflikte des Handelnden wurde in hohem Grad erreicht. Dagegen ward durch den Mangel an sichtbaren Ereignissen die rhetorische Ausschmückung begünstigt, durch das Streben nach Anstand und formeller Gemessenheit nicht selten die Naturwahrheit und Freiheit des Ausdrucks gehemmt. Die Blüte des Dramas in Frankreich bezeichnen Corneille, Racine und Voltaire in der Tragödie, Molière in der Komödie, die, dem rationalen Wesen des französischen Geistes entsprechend., hauptsächlich Charaktergemälde ist. Die Philosophie des 18. Jahrh., das Zeitalter der Rückkehr zur Natur und der Aufklärung, brachte auch im französischen D. eine Umwandlung hervor, die sich in der Erfindung des sogen. bürgerlichen Trauerspiels durch Diderot, das die Tragik im alltäglichen Leben und in Prosa behandelte, und des modernen Sittenbildes durch Beaumarchais, das die zeitgenössischen Einrichtungen dem Gelächter oder der Entrüstung preisgab, offenbarte. Die Wirkung desselben wurde in Deutschland sichtbar, das bis dahin unter Gottscheds Führung, der den Hanswurst in Leipzig von der Bühne verbannte, das klassische D. der Franzosen nachgeahmt hatte. Lessing, der Geistesverwandte Diderots, machte durch seine Dramaturgie letzterm Einfluß ein Ende und schuf ein deutsches D. (Trauerspiel und Lustspiel) in Prosa nach dem Vorgang Diderots. Indem er gleichzeitig auf die Alten und Shakespeare als Muster des Dramas hinwies, zeigte er dem klassischen D. in Deutschland den Weg, den Goethe (in seinen Jugenddramen mehr an Shakespeare, in seiner Reise mehr an die Alten sich anlehnend) und vor allen der nationalste Dramatiker Deutschlands, Schiller, einschlug, in dem die Versöhnung beider Gegensätze am weitesten gediehen ist. Seitdem hat die dramatische Literatur wesentlich durch virtuose Belebung vorhandener Richtungen Bereicherungen erfahren. Nicht nur haben die deutschen Romantiker in allen dramatischen Stilarten sich versucht, die modernen Charakteristiker (H. v. Kleist, Grabbe, Hebbel, Ludwig u.a.) sich insbes. Shakespeare zum Vorbild genommen, sondern auch im französischen D. ist, in der Tragödie durch die Nachahmung Shakespeares und des spanischen Theaters, in der Komödie durch die geistreiche, aber frivole Behandlung sozialer Probleme, ein Umschwung herbeigeführt worden, der durch die Namen Victor Hugo, A. Dumas, A. de Vigny u.a. bezeichnet wird. Im Konversationsstück ist Scribe, dank der gesellschaftlich noch immer tonangebenden Stellung der Franzosen, das kosmopolitische Muster und seine Darstellungsweise das Vorbild, während die (weder moralische noch moralisierende, aber im Sinne der französischen »Moralisten«) moralistische oder Sittenkomödie Beaumarchais' durch die dramatischen Sittenbilder der A. Dumas Sohn, E. Angier, V. Sardou, Pailleron u.a. zum lehrreichen Sittenspiegel der modernen Gesellschaft geworden ist. Die modernste Poesie der europäischen Kulturländer hat mit ihrer erst naturalistischen, dann symbolistischen Stilrichtung wie der Poesie überhaupt, so auch dem D. neue Impulse gegeben. Ibsen, weitaus der größte und vielseitigste Förderer der dramatischen Kunst, hat Inhalt und Technik nen belebt und umgeformt; sein weniger bedeutender Landsmann Björnson schuf im ersten Teil von »Über unsere Kraft« ein gewaltiges Problemdrama; unter den Russen ragen Tolstoi (»Die Macht der Finsternis«) und Gorki (»Nachtasyl«) durch grotesken Realismus, unter den Deutschen G. Hauptmann durch große Lebenswahrheit, unter den Italienern d'Annunzio, unter den Spaniern Echegaray, unter den Belgiern Maeterlinck, unter den Holländern Heyermans hervor. Bedeutsame Aufschlüsse über das Wesen des Dramas geben Lessings »Hamburgische Dramaturgie« und Schillers und Goethes Briefwechsel. Vgl. außerdem A. W. Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur (Heidelb. 1809, 2. Aufl.[173] 1817); Freytag, Die Technik des Dramas (9. Aufl., Leipz. 1901); Carriere, Die Kunst im Zusammenhang der Kulturentwickelung (3. Aufl., das. 1877–86, 5 Bde.); Klein, Geschichte des Dramas (das. 1865–1876, 13 Bde., unvollendet); R. Prölß, Geschichte des neuern Dramas (das. 1880–83, 3 Bde.); Creizenach, Geschichte des neuern Dramas (Halle 1894 bis 1903, Bd. 1–3).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 169-174.
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