Demokratīe

[630] Demokratīe (griech., »Volksherrschaft«) bezeichnet sowohl eine Staatsform als eine politische Partei und Parteirichtung, wie denn auch die Ausdrücke Demokrat (Angehöriger der D.) und demokratisch (auf die D. bezüglich) in dieser zweifachen Bedeutung gebraucht werden. Das Wesen der demokratischen Staatsform besteht darin, daß die Staatsgewalt verfassungsmäßig der Gesamtheit der Staatsbürger zusteht. Die D. als Staatsform findet sich zuerst in Griechenland, wo sie die Herrschaft des Demos, d. h. der freien Vollbürger, bedeutete. Hat man dagegen das demokratische Streben (Demokratismus) im Auge, so versteht man unter D. diejenige Parteirichtung oder die Angehörigen derjenigen Partei, die dem Volkswillen in der Gesetzgebung und in der Verwaltung des Staates entscheidende Bedeutung eingeräumt wissen will. Parteibestrebungen können sich auch im Rahmen der Monarchie geltend machen. Die Dreiteilung der Staatsformen in Monarchie, D. und Aristokratie ist auf Aristoteles zurückzuführen. Andre unterscheiden nur zwei Staatsformen, je nachdem sich die Staatsgewalt in der Hand eines Einzelnen (Fürstensouveränität) oder einer Mehrheit von Personen (Volkssouveränität) befindet. In der Monarchie ist ein Einzelner der Regierende, während alle übrigen Staatsangehörigen Regierte sind. In der Republik, unter welcher Bezeichnung D. und Aristokratie zusammengefaßt werden, ist das Volk oder doch eine bevorzugte Klasse des Volkes der Regierende, die Einzelnen als solche sind die Regierten. In der demokratischen Republik besteht vollständige Gleichheit und Gleichberechtigung aller Staatsbürger, deren Gesamtheit die regierende Macht im Staate darstellt. In der Aristokratie dagegen wird diese Herrschaft durch einen bevorzugten Stand oder eine bevorzugte Klasse der Staatsangehörigen ausgeübt. Im Zusammenhang mit der Aristotelischen Dreiteilung der Staatsformen stehen die Bezeichnungen für die Ausartungen, und zwar für die Ausartung der Alleinherrschaft Tyrannis oder Despotie (Willkürherrschaft), für die Ausartung der Aristokratie Oligarchie, d. h. die Herrschaft einiger besonders reicher oder vornehmer Personen, für die Ausartung der D. Ochlokratie, die Herrschaft der Masse, des Pöbels.

Die D. insbes. ist entweder eine unmittelbare oder eine mittelbare, repräsentative. In ersterer regiert das Volk nicht bloß durch die Männer seiner Wahl, sondern es übt die wichtigsten Rechte der Staatsgewalt unmittelbar selbst aus, während es in letzterer nur mittelbar durch gewählte Vertreter herrscht. Die alte Welt kannte nur die unmittelbare D., weshalb diese auch die antike, die repräsentative dagegen die moderne D. genannt wird. Wie der spartanische Staat und die altrömische Republik das Muster einer Aristokratie, so war Athen das Muster der unmittelbaren oder antiken D. In der repräsentativen D., wie sie gegenwärtig in den meisten Schweizer Kantonen und nun auch in Frankreich, vor allem aber in den Vereinigten Staaten von Amerika besteht, ist das Volk die alleinige Quelle aller Gewalt, die Ausübung derselben erfolgt aber durch die 'von ihm gewählten Vertreter. Im europäischen Staatsleben ist der monarchische Gedanke zu fest gewurzelt, als daß die D. hier auf die Dauer Boden gewinnen könnte. Zudem haben wir in der konstitutionellen Monarchie diejenige Regierungsform der monarchischen Staatsform gefunden, die unbeschadet der Stellung des Herrschers auch dem Volke seinen Anteil an der Staatsverwaltung und an der Gesetzgebung sichert. Den aristokratischen Grundsätzen dagegen ist die Richtung unsrer Zeit nicht günstig, während demokratische Grundsätze in unserm Staatsleben mehr und mehr zur Geltung gelangen. Dahin gehören insbes. die Rechtsprechung in Strafsachen durch Volksgenossen (Schöffengericht und Geschworne), die Selbstverwaltung der Gemeinden, die Mitwirkung des Volkes durch seine Vertreter bei der Gesetzgebung und das allgemeine Stimmrecht. Die konstitutionelle Monarchie stellt sich als eine Verbindung der Monarchie mit demokratischen Gedanken dar, indem sie der Volksvertretung das Budgetrecht und das Recht der Kontrolle der Staatsfinanzverwaltung und damit mittelbar wenigstens der Verwaltung überhaupt, vor allem aber das Recht der Mitwirkung bei der Gesetzgebung einräumt. Der Volkswille kommt hier durch die Volksvertreter zur Geltung. Die Souveränität aber bleibt dem Monarchen. Sie findet in dessen Unverantwortlichkeit ihren Ausdruck; aber seine Anordnungen bedürfen der Gegenzeichnung der Minister, welche die Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung zu übernehmen haben. Man hat daher die konstitutionelle Monarchie auch wohl eine demokratische Monarchie genannt und von demokratisch-konstitutionellen Monarchien gesprochen.

Über das Wesen der D. als politischer Parteirichtung herrscht meist eine falsche Vorstellung. Man denkt sich die demokratische Partei schlechthin mit dem Endziel einer Republik, etuer D. als Staatsform, während sich in den letzten Jahrzehnten nicht wenige Politiker als Demokraten bezeichneten, die an dem monarchischen Gedanken festhielten. Auch jetzt nennen[630] sich z. B. die Angehörigen der süddeutschen Volkspartei Demokraten, ohne damit die Beseitigung der Monarchie als ihr Ziel bezeichnen zu wollen. Auch in Preußen haben Liberale die Parteibezeichnung der D. wieder aufgenommen (Philipps, Lenzmann u. a.), ohne etwa die Monarchie abschaffen zu wollen, wie denn auch 1848 der Führer der preußischen Demokraten, Benedikt Waldeck, die konstitutionelle Monarchie als sein Ziel bezeichnete. Waldeck formulierte die damaligen Forderungen der D. folgendermaßen: »Wir Demokraten wollen das Urwählerrecht, Selfgovernment, Gleichheit der Besteuerung und gleiche Rechte vor dem Gesetz«. Jener Umstand, daß man unter D. als politische Partei diejenige versteht, die den Schwerpunkt in die Verwirklichung des Volkswillens auf dem Gebiete der Gesetzgebung und der Verwaltung des Staates gelegt wissen will, macht es auch erklärlich, daß man selbst in einer demokratischen Republik, also in einem Staat, wo die D. als Staatsform besteht, von einer besondern Partei der D. sprechen kann. So stehen sich in den Vereinigten Staaten von Nordamerika die beiden großen Parteien der Demokraten und der Republikaner (s.d.) gegenüber. Anders liegt die Sache bei der Sozialdemokratie, welche die Errichtung eines freien Volksstaates, also einer Republik, mit sozialer Gleichstellung aller Volksgenossen anstrebt (s. Sozialdemokratie). Vgl. außer den Lehrbüchern des Staatsrechts und der Politik: A. de Tocqueville, De la démocratie en Amérique (15. Aufl., Par. 1868); Schvarcz, Die D. (unvollendet, Bd. 1: »Die D. von Athen«, 2. Aufl., Leipz. 1884; Bd. 2: »Römische Klassenherrschaft«, das. 1891 bis 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 630-631.
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