Demokrătie

[835] Demokrătie (v. gr.), 1) Volksherrschaft, Staatsform, welche auf dem Grundsatze ruht, daß der Wille der Mehrheit aller freien Staatsbürger auch Gesetz für die Minderheit ist. A) Die absolute od. antike D., wie sie in der Verfassung Athens ihren reinsten Ausdruck fand, nachdem die Herrschaft der Aristokraten beseitigt war, beruhte auf einer unmittelbaren Betheiligung aller freien Bürger des Staates an den über die öffentlichen Angelegenheiten beratbenden u. beschließenden Volksversammlungen. Die Volksversammlung war die höchste Autorität des Staates, u. aus der Anerkennung derselben flossen alle übrigen demokratischen Staatseinrichtungen. Zu diesen rechnet Herodot die Rechtsgleichheit für Alle, die Ausschließung jeder Willkührmacht, die Besetzung der Ämter durch das Loos u. die Verantwortlichkeit der Beamten. Solche unmittelbare Ausübung der Volkssouveränetät war nur möglich in einem Staate von geringer räumlicher Ausdehnung u. bei einem Volke, dessen überwiegende Mehrheit auf der einen Seite Bildung genug besaß, um das eigene Interesse in dem der Gesammtheit zu finden, auf der anderen Seite aber auch die nöthige Muße hatte, um sich mit den öffentlichen Angelegenheiten, sei es in berathender, sei es in ausübender Weise, zu befassen. Beide Bedingungen fanden in Athen ihre glücklichste Vereinigung. Der Sorge für die nöthigsten Bedürfnisse des Lebens war der freie Bürger durch die Sklavenarbeit überhoben, u. das Bewußtsein, an Bildung u. Gesittung der Sklaven wie dem Barbaren weit überlegen zu sein, gab ihm das stolze Selbstgefühl, welches allein einem demokratischen Staatswesen inneren Halt u. Festigkeit zu gewähren vermag. Als dieses Selbstgefühl nachließ u. gegen das Streben nach Reichthum u. materiellen Genuß des Lebens zurücktrat, brach der Staat, in welchem an die Stelle der D. eine Ochlokratie (Pöbelherrschaft) getreten war, zusammen. Die antiken D-n entwickelten sich mit den Fortschritten der Cultur u. Civilisation aus den Aristokratien, welche wiederum die Monarchie verdrangt hatten. Monarchische u. aristokratische Elemente finden sich in den meisten antiken Verfassungen mit den demokratischen vereinigt, so in Sparta u. in Rom. In der römischen Republik scheiterte die Entwickelung der absoluten D. an dem Wachsthum des Staates u. seiner nach Außen gerichteten triegerischen [835] Tendenz. Die Patricier behaupteten, wenn sie auch nach u. nach das Feld mit den Plebejern theilten, bis in die letzten Zeiten der Republik ihre Bedeutung u. traten ihre Autorität, als die Achtung vor dem Gesetze erschüttert war, den Kaisern ab, welche die Macht des Staates in Einer Hand concentrirten. Die alte Verfassung der Germanen ruhte, ungeachtet des bei ihnen gewöhnlichen Königthums, auf dem Princip der D. (s. Deutschland, Ant.), welche alle Freien ausmachten. Da auf dem platten Lande nur die Besitzenden Freie waren, so kam es, daß Adel u. Clerus die D. repräsentirten; während in den Städten, wo sich seit dem 10. Jahrh. ein Stand von besitzlosen Freien bildete, die D. aus diesen bestand, gegenüber den alten Geschlechtern od. Vollbürgern, welche die Aristokratie bildeten (vgl. Bürger). B) Die repräsentative od. moderne D. unterscheidet sich von der absoluten D. wesentlich dadurch, daß die freien Staatsbürger nicht direct ihr Regierungsrecht ausüben, sondern dasselbe an Repräsentanten, welche aus Urwahlen hervorgehen, übertragen; auch entscheidet über die Besetzung der Staatsämter nicht das Loos, sondern die freie Wahl. Also nicht der Masse des Volkes ist die Führung des Staates überlassen, sondern einer auserlesenen Anzahl von Bürgern, welche so lange herrscht, als der Wille der Mehrheit der Staatsbürger sie dazu autorisirt hat. Die übrigen Eigenthümlichkeiten der antiken D. finden sich nicht nur in den modernen D-n wieder, sondern haben auch seit der Entwickelung des Constitutionalismus in allen civilisirten Staatsverfassungen Aufnahme gefunden. Dahin gehört die Gleichheit aller freien Bürger vor dem Gesetz, die Verantwortlichkeit der Beamten, mit Ausnahme des Monarchen, u. die Verwerfung jeder Willkührmacht, so daß auch der Monarch sich nicht willkührlich über die Gesetze u. die Verfassung des Staates hinwegsetzen darf. Den reinsten Ausdruck findet die moderne D. in der Verfassung der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Die Entstehung derselben ist eine wesentlich andere als die der antiken D-n; sie war die erste staatliche Organisation freier Ansiedler, welche sich dem aristokratischen Druck des englischen Mutterlandes entzogen hatten. Von dortnahmen sie ein starkes Freiheitsgefühl u. den Sinn für Gesetzlichkeit mit sich in die neue Heimath; auf weiten Landesstrecken, deren Nutzbarmachung ihre ganze Arbeitskraft anspannte, bedurften sie des gegenseitigen Schutzes gegen die feindlichen Indianer, während ihre eigenen Interessen fast gar nicht collidirten. Der gleiche Lebenszweck, die gemeinsame Abstammung, in gewisser Beziehung auch die puritanische Anschauung von der Gleichberechtigung aller Glieder der religiösen Genossenschaft u. die freie Selbstbestimmung der Colonisten, welche sich durch keine Lehnsordnung u. keine Privilegien behindert sah, waren Elemente, welche in ihrer Zusammenwirkung dem neu zu begründenden Staate nothwendiger Weise eine demokratische Basis verleihen mußten. Der demokratischen Richtung war die Einführung der Sklaverei in den südlichen Staaten eher förderlich als nachtheilig. Dem Sklaven gegenüber empfand, wie ehedem der Athener, so auch der amerikanische Pflanzer um so lebhafter den Werth der Freiheit, u. wenn die demokratische Partei der Vereinigten Staaten der Aufrechterhaltung derselben das Wort redet, so hat dieses Streben seine Berechtigung, so sehr es auch den humanen Tendenzen der Neuzeit widerspricht. Die wichtigsten Institutionen der ausgebildeten modernen D. sind, außer den repräsentativen Versammlungen, die Wahl des Staatsoberhauptes (welche in Amerika eine directe ist, während in den demokratischen Verfassungen der Schweiz die Wahl des ersten Beamten des Staates von den Repräsentanten [Großem Rath] ausgeht), die Abstimmung über die Grund- u. Verfassungsgesetze, bei denen die Mehrheit aller Staatsbürger die Sanction od. das Veto ertheilt, die Betheiligung einzelner Bürger an den Gemeindeangelegenheiten, am Gerichtswesen u. an der Verwaltung u. endlich die Ausübung der, jedem Einzelnen zugestandenen Freiheitsrechte, als Preß-, Rede-, Glaubensfreiheit, Freizügigkeit, Vereinsrecht etc. Unter den europäischen Staaten hat nur die Schweizer Eidgenossenschaft seit der Umwandelung des Staatenbundes in einen Bundesstaat (1849) die demokratische Staatsform unter gewissen aristokratischen Modificationen angenommen; vordem bestanden namentlich auf dem Lande absolute D-n neben städtischen Aristokratien, welche allmälig in repräsentative D-n zusammenschmolzen. 2) Die D. als Inbegriff aller Anhänger demokratischer Ideen (Demokraten). im Gegensatz zu denen, welche einzelne Vorzüge für Gesammtheiten von Staatsbürgern auf dem Grunde historischer Rechte in Anspruch nehmen. In diesem Sinne ist die D. nicht Gegensatz der Monarchie u. sie findet auch Platz in aristokratischen Verfassungen, wie die der Freien Städte Deutschlands. Die demokratische Richtung aber, welche den Schwerpunkt der Staatsgewalt in die ungebildete Masse verlegen will, der sogenannte Radicalismus, welcher in den Jahren 1848 u. 1849 auch in Deutschland zur Geltung zu gelangen strebte, hat bis jetzt nur wenig Terrain gewinnen können, weil er von den historischen Grundlagen absieht, auf denen jede Staatsverfassung von Bestand u. Dauer basirt sein muß. Eine eigenthümliche Bedeutung hat das Wort D. 3) in dem Parteileben der Vereinigten Staaten. Man versteht darunter die Partei, welche die Souveränetät der Centralgewalt zu schwächen strebt, um den Einzelstaaten eine freiere politische Bewegung zu verschaffen. Ihr gegenüber steht die republikanische Partei (vgl. Nordamerikanische Freistaaten).

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 4. Altenburg 1858, S. 835-836.
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