Verantwortlichkeit

[443] Verantwortlichkeit, 1) überhaupt die civilrechtliche Verbindlichkeit für Rechtsverletzungen u. Schäden einzustehen, welche entweder durch eigene Handlungen od. durch Handlungen von Personen, die man zu vertreten hat, herbeigeführt worden sind. Über die Voraussetzungen u. das Maß dieser V. lassen sich bei der großen Verschiedenheit der Verhältnisse, unter denen die Rechtsverletzungen vorkommen, nur wenig allgemeine Regeln aufstellen. Als allgemeiner Grundsatz ist nur anzuführen, daß überall da, wo Jemand nur von seinem Rechte Gebrauch macht, auch wenn dadurch für Andere nachtheilige Folgen herbeigeführt weiden sollten, eine V. nicht erzeugt wird. Im Übrigen bestehen wesentliche Unterscheidungen, insofern die Rechtsverletzende Handlung innerhalb od. außerhalb Obligationsverhältnissen vor sich ging, ob sie in bösem Willen (Dolus, s.d.) od. nur m Mangel gebührender Sorgfalt u. Aufmerksamkeit (Culpa, s.d.), in einem positiven Thun od. blos in einem Unterlassen ihren Grund hatte; vgl. Schaden. Im engern Sinne spricht man von V. 2) bei der Verhaftlichkeit von solchen Personen, welche fremde Geschäfte führen. Die V, besteht alsdann darin, daß der Beauftragte verhaftet ist den übernommenen Auftrag genau u. sorgfältig mit Rücksicht auf die ihm ertheilten Anweisungen zu erfüllen u. überhaupt so zu handeln, wie es der Natur des aufgetragenen Geschäftes u. dem Vortheil od. dem muthmaßlichen Willen des Auftraggebers am besten entspricht. Über Alles, was ihm durch das aufgetragene Geschäft zugekommen ist, hat er dem Mandanten Rechnung zu legen u. am Schlüsse des Geschäftes das Erhaltene, so weit es nicht im Interesse des Geschäftes verwendet worden, herauszugeben, für den durch seine Schuld geursachten Schaden über Ersatz zu leisten. Hat der Mandatar dabei es vorgezogen die Ausführung des Geschäftes ganz od. theilweise einem Andern zu übertragen, so haftet er auch für dessen Verschulden, sofern ihm in der Anstellung des Substituten ein Versehen zur Last fällt, u. unbedingt, wenn er die Substitution gegen ausdrückliches Verbot od. der Natur des Auftrages zuwider vornahm. In einem ganz besondern Sinne gilt V. 3) bes. bei der Haftpflicht der in öffentlichen Stellungen befindlichen Personen, mit deren Geschäftsführung die Garantie der Gesetzlichkeit verbunden ist, daher namentlich der Haftpflicht des Staatsoberhauptes selbst, der öffentlichen Beamten, insbesondere der Minister, der Volksvertreter, ebenso der Herausgeber von Druckschriften, namentlich öffentlichen Blättern. a) Hinsichtlich der V. des Staatsoberhauptes macht die Regierungsform einen großen Unterschied. In Staaten mit republikanischer Verfassung besteht unbeschränkt der Grundsatz, daß auch die Häupter u. Mitglieder der Regierung verantwortlich seien. Dieselben können daher sowohl in Civilsachen persönlich, als auch wegen gemeiner Verbrechen nach dem regelmäßigen Proceßverfahren vor den gewöhnlichen Gerichten belangt werden. Nur insofern die V. auf die amtliche Stellung u. amtliche Pflicht Bezug hat u. getroffene Regierugsmaßregeln betrifft, pflegt selbst in republikanischen Staaten die V. der Beurtheilung durch die ordentlichen Gerichte enthoben u. so geordnet zu sein, daß die Regierungsmitglieder entweder nur den Repräsentantenversammlungen, welche mit ihnen gemeinsam das Gesetzgebungsrecht ausüben, od. besonders constituirten politischen Gerichtshöfen (s. Staatsgerichtshof) Rede zu stehen haben. So sind nach den schweizerischen Verfassungen die Regierungen für ihre Amtsführungen meist den Großen Räthen, in Nordamerika der Präsident auf Klage der Repräsentantenkammer dem Senate verantwortlich erklärt. In den monarchischen Staaten dagegen gilt zunächst in strafrechtlicher Beziehung der Grundsatz, daß der Souverän wegen von ihm verübter Verbrechen nicht vor die Gerichte gezogen werden kann, indem es als der Ehre der Krone u. dem Staatsinteresse zuwiderlaufend erachtet wird, daß die Person, welche die Machtvollkommenheit des Staates zu repräsentiren hat, vor ein ihr untergeordnetes Gericht gezogen werde. Ebenso besteht für solche Staaten als ein allgemein anerkannter Grundsatz die Unverantwortlichkeit des Staatsoberhauptes für alle Regierungsangelegenheiten, zwar nicht in der Weise, daß, wie in despotisch regierten Staaten, der Regent gänzlich nach Willkür regieren dürfte, aber doch so, daß, wenn er auch verpflichtet ist die Verfassung u. die Gesetze zu achten, ja zu diesem Zwecke von ihm vielleicht ein eigener Verfassungs- u. Krönungseid zu leisten ist, diese Pflicht ihn doch nur als ein moralisches Gebot trifft, wegen dessen Verletzung er keinem weltlichen Richter, sondern nur Gott u. der Weltgeschichte Rechenschaft zu stehen hat. In der constitutionellen Monarchie ist jedoch auch dieser Grundsatz noch dadurch beschränkt worden, daß alsdann die obersten Räthe u. Minister verantwortlich gemacht werden können, mittelst deren die Verletzungen der Verfassung in das Werk gesetzt wurden; vgl. Minister. Auf dem Gebiete des Privatrechts aber erkennt auch die Monarchie den Grundsatz unbeschränkter V. in der Weise an, daß das Staatsoberhaupt[443] wegen sich zu Schulden gebrachter Rechtsverletzungen mit seinem Privatvermögen gerade so wie ein Privatmann zu haften hat. Nur persönliche Executionsmittel sind auch hier ausgeschlossen, so daß z.B. eine Wechselhaft nicht vollstreckt werden kann, auch der Regent nicht persönlich vor Gericht zu erscheinen hat. b) Die V. der Staatsbeamten wild zunächst durch die Stellung u. den Kreis der Pflichten bestimmt, welcher ihnen mit ihren Amtsbefugnissen übertragen ist. Hierüber hat das Anstellungspatent u. die ertheilte Dienstinstruction zu entscheiden. Innerhalb dieses Pflichtenkreises hat der Beamte nach allen Seiten den höchsten Fleiß in sorgsamer u. getreuer Ausübung seiner Dienstfunctionen anzuwenden. Unterlassungen dieses höchsten Fleißes od. Mißbrauch der mit dem Amte verbundenen Gewalt können nach Befinden entweder die Anwendung von disciplinaren Correctionsmitteln od., insofern das Verhalten den Thatbestand wirklicher Amtsverbrechen (s.d.) in sich schließt, Criminalstrafen nach sich ziehen. Hiernächst ist der Beamte aber auch nicht zu unbedingtem, wohl aber zu verfassungsmäßigem Gehorsam verpflichtet, u. hierin beruht seine staatsrechtliche V. Der Beamte hat hiernach einerseits die Pflicht die Verfassung nicht zu verletzen u. sich auch nicht von Andern, namentlich nicht von den ihm Vorgesetzten, zur Verletzung u. zum Umsturz der Verfassung gebrauchen zu lassen; er hat daher sowohl bei Erlassung, als bei der Ausführung von Befehlen die Verfassungsmäßigkeit derselben immer nöthigenfalls zu prüfen u. unterstellt sich, wenn sie der Verfassung widersprechen, auch durch bloße Vollziehung eigener Verantwortung. Andererseits ist es ebenso seine Pflicht den Befehlen der Vorgesetzten nicht durch unbegründeter Widerspruch entgegenzutreten. Um die mögliche Collision dieser beiden Pflichten mit einander möglichst zu verhüten u. Vorsorge zu treffen, daß nicht der Widerspruch unterer Behörden die nothwendige Kraft der Regierung lähmen u. den geregelten Gang des Staatsorganismus hemmen könne, haben neuere Verfassungs- u. Dienstgesetze wenigstens hinsichtlich der Verwaltung od. Administration im engern Sinne den Grundsatz aufgestellt, daß in gehöriger Form erlassene Befehle vorgesetzter Behörden den gehorchenden Subalternen von der V. befreien u. nur den Befehlenden verantwortlich machen. Ausgeschlossen sind hierbei dagegen überall die Verfügungen, welche die Leitung u. Entscheidung von eigentlichen Rechtssachen betreffen, hinsichtlich deren der Richter vermöge des Verbotes jeder Cabinetsjustiz nur an die strenge Beobachtung des vorgeschriebenen Proceßganges u. der bestehenden Justizgesetze gebunden ist. Auch ist im Zweifel der Wegfall der V. doch nur auf die politische u. strafrechtliche V. wegen einer einfachen Verfassungsverletzung, nicht aber auch auf die criminelle V. wegen eines gemeinen Verbrechens od. auf die Privatansprüche des Verletzten zu beziehen. Die letzteren können bei vorkommenden Rechtsverletzungen sowohl den Privatpersonen, als dem Staat gegenüber, z.B. wegen unterschlagener öffentlicher Gelder, begründet werden. Bei Kassenbeamten Pflegen deshalb entweder in den Dienstinstructionen od. durch besondere Patente (Malversationspatente) genaue Vorschriften über das Gebahren mit den vereinnahmten Summen, Ausstellung der Quittungen etc. zu bestehen. Der Richter haftet jeder Partei für den ihr durch Arglist od. grobes Versehen in Ausübung des Richteramts, auch der freiwilligen Gerichtsbarkeit, z.B. durch unterlassene Benachrichtigung u. Belehrung in Grund- u. Hypothekensachen, od. durch Ausstellung eines falschen obrigkeitlichen Zeugnisses, zugefügten Nachtheil, wozu die sogenannte Syndicatsklage dient. Auch der öffentlich angestellte Feldmesser ist verhaftlich, wenn er aus Arglist od. grobem Versehen durch falsche Messung Jemanden beschädigt, u. analog trifft diese V. auch andere Kunstverständige, welche durch falsche Berechnung od. Maßangabe Jemanden in Schaden bringen. Sehr bestritten ist aber die Frage, inwiefern der Staat selbst dritten Personen aus den Handlungen seiner Beamten verantwortlich werde. Man hat hier verschiedene Fälle von einander zu trennen. Bei rein privatrechtlichen Geschäften, welche der Beamte für den Staat mit dritten Personen abgeschlossen hat, wobei es nur von der Willkür der Contrahenten abhing, ob sie sich auf das Geschäft einlassen wollten od. nicht, kommen die privatrechtlichen Grundsätze über die Haftungsverbindlichkeit des Geschäftsherrn aus den Handlungen seines Bevollmächtigten zur Anwendung. Die Beamten befinden sich dabei ganz in der Stellung von Institoren, u. der Staat haftet hier nach den Grundsätzen der Actio institoria u. A. exercitoria (s.u. Actio), unter der Voraussetzung, daß die für die Vollziehung der fraglichen Geschäfte vorgeschriebenen gesetzlichen Formen u. Bedingungen (z.B. bei Staatsanleihen) beobachtet worden sind u. der Beamte seinen Geschäftskreis nicht überschritten hat. Wo dagegen die staatsrechtliche Stellung der Beamten zu den Unterthanen als solchen, d.h. die Ausübung der den Beamten übertragenen Amtsgewalt, welcher der Einzelne sich zu fügen, u. die öffentliche Glaubwürdigkeit, welcher er zu vertrauen verpflichtet war, in Betracht kommt, da muß der Staat aus staatsrechtlichen Gründen der Garant für die Handlungen u. pflichtwidrigen Unterlassungen seiner Beamten sein u. kann sich daher nicht der Verpflichtung entziehen den von seinen Beamten absichtlich od. fahrlässiger Weise mit Verletzung einer amtlichen Pflicht angerichteten Schaden zu ersetzen. Diese Verpflichtung ist auch der Regel nach nicht als eine blos subsidiäre zu betrachten, sondern tritt sofort, auch ohne vorherige Ausklagung des betreffenden Beamten ein, insofern nicht das Landesgesetz ein Anderes bestimmt. Eine Ausnahme machen hiervon nur die durch Entscheidungen der Richter als solche in streitigen Rechtssachen zugefügten widerrechtlichen Verletzungen, theils weil hierbei dem Verletzten ordentliche u. außerordentliche Rechtsmittel dagegen zu Gebote stehen, theils weil hier die Haftungspflicht des Fiscus durch die nothwendige Unabhängigkeit des richterlichen Amtes ausgeschlossen wird. Dagegen hat es da bei der Regel zu verbleiben, wo der Richter nicht als solcher, sondern als Diener der Administration od. der öffentlichen Glaubwürdigkeit in Betracht kommt, wie z.B. bei dem öffentlichen Depositen-, dem Pfand- u. Hypothekenwesen. Manche Landesgesetze schränken jedoch die V. des Staates in der Weise ein, daß die vorgesetzte Behörde die Widerrechtlichkeit der Handlung des Beamten vorerst anerkannt, od. daß der Verletzte wenigstens erst bei dem Vorgesetzten vergebens um Remedur nachgesucht haben muß. Bei Patrimonialgerichten[444] trifft die V. in diesen Fällen zunächst den Gerichtsherrn, bei städtischen Beamten die Kämmereikasse. Auf Notare erstreckt sich aber die V. des Staates deshalb nicht, weil diese in eigenem Namen handeln u. Jeder hier die freie Wahl hat den einen od. andern zu wählen. Vgl. Sundheim, Von der Haftungsverbindlichkeit des Staates für Schadensstiftung seiner Beamten, Gießen 1827. c) Die V. der Volksvertreter kommt in einer doppelten Beziehung, einmal gegenüber den Wählern, u. sodann gegenüber dem Staat od. Privatpersonen insofern in Betracht, als es sich um Äußerungen eines Volksvertreters handelt, bes. um solche, welche unter den Begriff eines Verbrechens fallen, z.B. wegen Hochverraths, Majestätsbeleidigung, Injurie etc. In der ersten Beziehung erkennen alle neueren Verfassungen die völlige Unabhängigkeit der Deputirten von ihren Wählern u. die gänzliche Unzulässigkeit der Ertheilung u. Annahme von Instructionen als Grundsatz an; es ist dieser Satz eine Folge der Bestimmung, daß nach dem Repräsentativsystem die Volksvertreter nur das allgemeine Wohl, nicht particuläre Rechte u. Interessen vertreten sollen. Eben deshalb galt aber dieser Grundsatz nicht unbedingt bei den älteren Landständen, bei denen auch Instructionsertheilungen vorkamen. In der zweiten Richtung ist zwar so viel unbestritten, daß die Volksvertreter hinsichtlich ihrer Meinungsäußerung u. Beschlußfassung in ihrer Sphäre durchaus frei u. unabhängig von der Regierung u. daher insoweit weder nach Oben, noch nach Unten rechtlich verantwortlich sind; dagegen läßt sich ohne besondere positivrechtliche Bestimmung nicht annehmen, daß sich die Freiheit dieser Meinungsäußerung auch soweit erstreckt, daß sie die V. für wirklich verbrecherische Äußerungen aufhebe. Doch haben Manche auch schon aus dem Wesen der constitutionellen Verfassungen eine solche Unverantwortlichkeit ableiten wollen. Die Verfassungsurkunden enthalten darüber verschiedene Grundsätze. Mehre derselben, z.B. die Königlich Sächsische, erkennen ausdrücklich an, daß das Kammermitglied wegen Äußerungen, welche ein besonderes Verbrechen od. eine persönliche Beleidigung enthalten, auch vor dem ordentlichen Richter belangt werden könne; andere (z.B. die Preußische, Baierische) entziehen alle in der Kammer gethanen Äußerungen ohne Unterschied der gerichtlichen Verfolgung u. unterwerfen sie nur der Disciplin der Kammer selbst; noch andere (z.B. die Oldenburgischen) bestimmen, daß nur der Beschluß der Kammer eine Äußerung zur strafrechtlichen Erledigung an das Gericht verweisen kann, od. nehmen nur gewisse Arten von Äußerungen, z.B. nur Injurien u. Verleumdungen Einzelner, von der sonst als Regel angenommenen Unverantwortlichkeit aus. d) Über die V. der Redacteure u. Drucker von Zeitschriften etc. vgl. Presse.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 443-445.
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