Rede [1]

[903] Rede, 1) das Vermögen, seine Gedanken u. Empfindungen auszudrücken; 2) die Darstellung der Gedanken für u. durch den mündlichen Vortrag; 3) die durch Worte ausgedrückten Gedanken selbst, bes. aber 4) (lat. Oratio), der zu einem verständlichen Ganzen geordnete kunstmäßige Vortrag, welcher den Zweck hat, auf die Anschauung u. den Willen eines Anderen bestimmend einzuwirken, meist ein größerer, zum mündlichen Vortrag vor einer Versammlung bestimmter Aufsatz in Prosa. A) Der Inhalt einer R. muß stets wichtig sein, damit der Zuhörer gefesselt wird; ist der Stoff gegeben u. er ist weniger erheblich, so ist es des Redners Sache, die Seite aufzugreifen, welche ein Interesse gewährt. B) Die Form anlangend, muß die R. als feierlicher Vortrag stets in einem edeln Styl, gewählten Ausdrücken u. zweckmäßigen Gedanken geschrieben sein u. mit Würde u. ausdrucksvoller Declamation vorgetragen werden. C) Die Theile einer R. sind: a) der Eingang (Exordium), in welchem auf die zu behandelnde Sache aufmerksam gemacht u. der Zuhörer auf deren Wichtigkeit vorbereitet wird, od. in der R. vorkommende Begriffe erklärt, od. Anderer Ansichten über die vorzutragende Sache mitgetheilt, od. die Veranlassung zur Abhandlung erörtert werden. Der Redner muß im Eingang das Interesse der Zuhörer für die Sache zu wecken suchen; doch muß eine ruhige u. einfache Sprache herrschen. b) Die Exposition, d.h. der Inbegriff der Gedanken, welche eine bestimmte, deutliche u. klare Vorstellung von dem Zweck u. der Absicht der R. geben sollen. Hier ist logische Ordnung nothwendig, u. die Eintheilung kann der Redner auch äußerlich hervorheben, wodurch er dem Gedächtniß des Zuhörers zu Hülfe kommt u. die Auffassung erleichtert. Die alten Rhetoriker unterschieden hier: Protasis (Propositio), die Aufstellung des Thema, u. Diäresis (Partitio), Angabe der einzelnen Theile, in denen der Zweck od. die Absicht der R. ausgeführt werden soll. Bei gerichtlichen R-n wird in diesem Theile die Thatsache erzählt u. die äußeren Verhältnisse dargestellt. c) Die Argumentation (Probatio, Confirmatio), Beweisführung, der Inbegriff der Gedanken, welche die Ausführung des durch die R. zu Erreichenden ausmachen. Es gibt hier eine doppelte Art: die analytische, wenn der Redner im Anfang seine Absicht verbirgt, bis er die Zuhörer allmälig zur bezweckten Schlußfolge hingeleitet hat; die synthetische, wo sogleich Beweis auf Beweis geführt wird, bis man die Zuhörer überzeugt zu haben glaubt. Seine ganze Kraft u. Stärke muß der Redner anwenden d) im Schluß (Peroratio), in welchem die bereits erreichte Absicht des Redners gesichert u. befestigt wird. In ihm wird auch das Vorgetragene noch einmal kurz in seinen Hauptmomenten u. Hauptbeweisen wiederholt (Recapitulation). D) Die Alten unterschieden drei Gattungen der R. (Genera orationis): a) die demonstrative, welche sich mit der Abgabe eines Urtheiles über einen Gegenstand od. bestimmten Fall beschäftigt; b) die deliberative, wo durch Zurathen od. Abrathen auf den Zuhörer gewirkt werden soll; c) die gerichtliche, welche Anklagen u. Vertheidigungsreden umfaßt. Jetzt pflegt man die R-n einzutheilen in: a) geistliche, als Abendmahls-, Beicht-, Confirmations-, Einführungs-, Einweihungs-, Tauf-, Trau-, Grabreden (Casualreden); b) in weltliche; u. zwar gerichtliche R-n, welche von Klägern u. Beklagten, od. von deren Anwalten vor Gericht gehalten werden; sie finden sich nur da, wo die Gerichtsbarkeit öffentlich ist; Politische (Staats-) R-n haben zu ihrem Gegenstand das öffentliche u. bürgerliche Leben, Staatsangelegenheiten, neue Einrichtungen, Abschaffungen u. Einführungen von Gesetzen etc., bes. bei Ständeversammlungen; Lobreden (Panegyrici), bes. beim Ableben großer u. um den Staat verdienter Männer; Gedächtnißreden, zur Erinnerung an die Verdienste, Stiftungen etc. einer Person; Akademische R-n, welche auf Universitäten von Professoren (bes. dem Professor eloquentiae), z.B. bei Preisvertheilungen, wichtigen, die Universität angehenden Gelegenheiten, Jubelfeiern etc., in der akademischen Aula od. in der Universitätskirche gehalten werden; Schulreden, welche bei Entlassung der Abiturienten od. bei anderen, die Schule betreffenden Gelegenheiten u. Feierlichkeiten gehalten werden. Die Geschichte der Beredtsamkeit bei den einzelnen Völkern s. u. den bezüglichen Nationalliteraturen; 5) so v.w. Gerücht; 6) so v.w. Rechenschaft, z.B. Jemand R. stehen.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 13. Altenburg 1861, S. 903.
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