Vermögen

[496] Vermögen, 1) im Allgemeinen die Ursache eines möglichen Geschehens, insofern sie auch unabhängig von dem wirklichen Geschehen u. Wirken als den Dingen inwohnend gedacht wird. Der Begriff des V-s unterscheidet sich daher von dem der Kraft dadurch, daß die letztere als die thätig hervortretende Ursache des wirklich eintretenden Geschehens, das V. als eine auf die Gelegenheit zu ihrer Thätigkeit gleichsam wartende Kraft angesehen wird. Die an der Oberfläche der Dinge hinstreifende Auffassung stattet nun die gegebenen Dinge mit so vielem V. aus, als die Erfahrung Ereignisse kennen lehrt, welche von den Dingen auszugehen scheinen; der Sonne wird eben so gut das V. zu wärmen od. das Wachs zu bleichen beigelegt, als dem Magen das V. zu verdauen, einem Heilmittel das V. zu heilen, einem Gifte das V. das Leben zu zerstören etc. Auch die ökonomische u. rechtliche Bedeutung des Wortes, in welcher V. die Summe gewisser äußerer Güter bedeutet, hängt hiermit zusammen, weil diese Güter als Mittel der möglichen Befriedigung mannigfaltiger Bedürfnisse angesehen werden. Je nachdem die Dinge, welchen die V. zugeschrieben werden, u. die Ereignisse, deren Ursache die V. sein sollen, in das Gebiet der äußeren od. der inneren Erfahrung fallen, unterscheidet man physische u. psychische V. (s. Seelenvermögen u. Psychologie); unter den letzteren nennt man moralische die, welche den Grund des sittlichen Verhaltens des Menschen enthalten sollen. Insofern die Existenz u. Wirksamkeit des einen V-s abhängig erscheint von der Existenz u. Wirksamkeit eines andern, hat man ursprüngliche u. abgeleitete, Haupt- u. Nebenvermögen unterschieden; ja insofern man nicht nur für das, was die Dinge zu thun scheinen, sondern auch für die Art ihrer Bestimmbarkeit durch andere Dinge (ihr Leiden) besondere V. annehmen zu müssen glaubte, hat man von activen u. passiven V. gesprochen. Diese Vorstellungsarten haben die Philosophie u. die Naturwissenschaften lange Jahrhunderte hindurch beherrscht; die letzteren haben sich aber längst entwöhnt von dem Begriffe des V-s einen wissenschaftlichen Gebrauch zu machen; sie denken sich die Kräfte, welche sie zur Erklärung der Ereignisse annehmen, nicht so, als ob eine Kraft auf die Gelegenheit zu ihrer Thätigkeit erst wartete, sondern so, daß jede Kraft in jedem Augenblicke die Wirkung ganz u. vollständig ausübt, die durch sie bedingt ist. Am längsten hat sich der Begriff des V-s in der Psychologie behauptet; nachdem schon Locke auf seine Unfruchtbarkeit auf diesem Gebiete hingewiesen hatte, hat Herbart seine gänzliche Unbrauchbarkeit dargethan. Besondere V. jeder besonderen Klasse von Ereignissen annehmen, heißt in der That nichts Anderes, als dem beobachteten Thatbestande ein besonderes Wesen unterlegen, welches den Grund der Möglichkeit dieses Thatbestandes darbieten soll. Die Entscheidung über die wissenschaftliche Gültigkeit des Begriffes V. hängt überhaupt mit den allgemeinen metaphysischen Untersuchungen über den der Causalität zusammen; wie jedoch auch die Metaphysik darüber entscheide, der Gebrauch desselben wird in der Sprache des gewöhnlichen Verkehrs nicht verschwinden. 2) Die ganze Masse von geistigen (geistiges, inneres V.) u. körperlichen Gütern (körperliches, äußeres V), welche ein Mensch als Mittel für seine Zwecke rechtlich erworben hat. Das geistige V., bestehend in Fähigkeiten, Talenten, Kenntnissen, ist immer nur ein solches V., welches man zwar benutzen (Gebrauchsvermögen), aber nicht wie das körperliche V., bestehend in Grundstücken, Geld, Forderungen, Mobilien etc. vertauschen kann (Tauschvermögen), u. so hat es auch nur einen Gebrauchs- aber keinen Tauschwerth. Ist übrigens das V. ein solches, durch dessen Benutzung der Eigenthümer desselben sich Einkommen verschafft, so ist es ein werbendes, außerdem ein ruhendes od. todtes V.; 3) Inbegriff alles körperlichen Besitzthums eines Menschen, bes. insofern es zu Geld angeschlagen werden kann. Wenn das V. Jemand die Mittel gibt, seine Zwecke bei mäßiger Anstrengung zu erreichen, also dabei ein sorgenfreies, ihm Genüsse gewährendes Leben zu führen, so ist er bemittelt od. wohlhabend. Ist dies in der möglichsten Ausdehnung u. mit der größten Leichtigkeit der Fall, so ist er reich. Genügt aber seine Arbeit nur für die dringendsten Bedürfnisse des Lebens, so ist er dürftig; reicht sie nicht einmal dazu aus, so ist er arm. Das gesammte V. eines Hausvaters wird in den römischen Gesetzen mit dem Worte Familia bezeichnet u. begreift, in wiefern es aus beweglichen od. unbeweglichen Gegenständen besteht, das Mobiliar- u. Immobiliarvermögen. Renten, welche in der Eigenschaft eines dinglichen Rechtes auf unbeweglichen Gütern haften u. von jedem Besitzer jährlich entrichtet werden müssen, Realrenten, Grundzinsen (Reditus reales) gehören, rücksichtlich des Rechtes selbst, zu dem Immobiliarvermögen, hingegen derartige schon verfallene (betagte) Zinsen, welche rückständig sind, gehören eben so, wie Leibzinsen (Reditus personales), solche Renten, welche einer Person ohne Rücksicht auf unbewegliche Güter, zu gewissen Terminen, z.B. jährlich, zu zahlen sind, zu dem Mobiliarvermögen. Wenn Jemand sein ganzes V. mit dem Zusätze: bewegliches u. unbewegliches V. verpfändet hat, so wird auch das Capitalvermögen als mitverpfändet angesehen. Wenn aber nicht als Zusatz, sondern als alleiniger Verpfändungsgegenstand, Mobiliar- u. Immobiliarvermögen genannt ist, so nimmt man das Capitalvermögen nicht als mitverpfändet an. Ist Jemand der Nießbrauch am ganzen V. vermacht, so erstreckt dieser sich nicht blos auf das V. des Testators zur Zeit der Testamentserrichtung, sondern auf alles auch nach dieser Zeit Erworbene; ist der Nießbrauch von einem Theile des V-s, ohne nähere Bestimmung desselben vermacht, so erstreckt er sich auf das halbe V. nach Abzug der Schulden. Die Masse vorhandener Güter im Besitze einzelner Staatsbürger heißt Privatvermögen. Der Inbegriff der Güter, welche einem Volke gehören, ist das Nationalvermögen, worunter das der National- od. Volksgesammtheit gehörige V. das Staatsvermögen, u. das den Unterthanen gehörige das Nationalvermögen in engerer Bedeutung begriffen sind. Über die Mittel das Nationalvermögen u. damit den Nationalwohlstand eines Volkes zu heben, vgl. Volkswirtschaft u. Volkswirthschaftssysteme.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 496.
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