Herbart

[254] Herbart, Joh. Friedrich, geb. 4. Mai 1776 in Oldenburg, wurde 1805 Professor der Philosophie in Göttingen, 1809 in Königsberg u. 1833 wieder in Göttingen, wo er 14. Aug. 1841 starb. Seine wichtigsten Schriften sind: Pestalozzis Idee eines A B C der Anschauung, Gött. 1802, 2. Aufl. 1804; Kurze Darstellung eines Planes zu philosophischen Vorlesungen, ebd. 1804; De platonici systematis fundamento, ebd. 1805; Allgemeine Pädagogik, ebd. 1806; Über das philosophische Studium, ebd. 1807; Allgemeine praktische Philosophie, ebd. 1808; Hauptpunkte der Metaphysik, ebd. 1808; Theoriae de attractione elementorum principia metaph., Königsb. 1812, 2 Thle.; Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, ebd. 1815, 4. Aufl. 1841; Lehrbuch der Psychologie, ebd. 1816, 2. Aufl. 1834; Psychologie als Wissenschaft, ebd. 1824 f., 2 Thle.; Allgemeine Metaphysik, ebd. 1828 f., 2 Bde., 2. Aufl. Halle 1841; Gespräche über das Böse, Königsb. 1817; Über die gute Sache (gegen Professor Steffens), Lpz. 1819; Über die Möglichkeit u. Nothwendigkeit, Mathematik auf Psychologie anzuwenden, Königsb. 1822; Encyklopädie der Philosophie, ebd. 1831, 2. A. 1841; Umriß pädagogischer Vorlesungen, Gött. 1835, 2. Aufl. 1841; Analytische Beleuchtung des Naturrechtes u. der Moral, ebd. 1836; Zur Lehre von der Freiheit des menschlichen Willens, ebd. 1836; Psychologische Untersuchungen, ebd. 1839 f., 2 Hste.; H-s kleine philosophische Schriften u. Abhandlungen, herausgeg. von Hartenstein, Lpz. 1841–43, 3 Bde.; von Demselben auch H-s Sämmtliche Werke, ebd. 1850–52, 12 Bde. H., zunächst in der Schule Kants u. Fichte's gebildet, aber auch durch das Studium der griechischen Philosophie angeregt, begründete ein eigenes philosophisches System, welches sich durch Scharfsinn, Strenge u. den Geist gewissenhafter Forschung vor den meisten Producten der nachkantischen Speculation auszeichnete. Die Herbartsche Philosophie gibt nicht zu, daß verschiedene Ansichten von verschiedenen Standpunkten gleich wahr sein können, sondern die Wahrheit ist ihm nur Eine, u. philosophisches Wissen ist ihr Ziel. Dabei läßt H. jedes Problem der Wissenschaft in seiner Sphäre u. behandelt es nach der demselben natürlichen Methode, u. daher kommt es, daß die Wissenschaft sich bei ihm nicht aus Einem Princip, sondern von mehreren coordinirten Anfangspunkten aus entwickelt, deren [254] Resultate in ihrer gegenseitigen Ergänzung das gesammte philosophische Wissen bilden. Ihm zerfällt die Wissenschaft in drei, nach der Beschaffenheit der, durch die eigenthümliche Natur der Begriffe selbst bestimmten Aufgaben des Denkens geschiedene Theile. I. Theoretischer Theil; in ihm wird gehandelt von der Erkenntniß dessen, was ist u. geschieht; die Grundwissenschaft dieses Theiles ist die Metaphysik; ihr Motiv liegt in den Widersprüchen, welche den, in der Erscheinungswelt sich unabweislich aufdringenden Begriffen anhaften (Problem der Inhärenz, Materie, Veränderung, Ich), auf ihre Auflösung bezieht sich die Methode der Beziehungen, als der Leitfaden für die Auffindung derjenigen Begriffe, durch welche die denkende Auffassung der Erfahrungswelt ergänzt werden müsse, damit die in der lückenhaften Auffassung derselben wurzelnden Widersprüche verschwinden. Dadurch kam H. zu der Annahme einer Vielheit von Monaden, die das Reale der Natur sind, als nothwendiger Voraussetzung für jeden Versuch einer Naturphilosophie; von den Verbindungen dieser Realen u. von deren Verhältnissen müssen sich sowohl die Form der Erscheinungswelt (Zeit, Raum etc.) als auch das wirkliche Geschehen (d.i. Alles, was zum Begriffe sowohl der im Reiche der Natur, als auch des Geistes wirkenden Kräfte u. der Einsicht in ihre Gesetze gehört) ableiten lassen. Der angewandte Theil der Metaphysik ist die Naturphilosophie, von deren Theilen H. am weitesten die Psychologie verfolgt hat. Den Mittelpunkt der letzteren bildet der Satz, daß die Vorstellungen selbst, u. nicht verschiedene Seelenvermögen, als diejenigen Kräfte anzusehen sind, welche die wahren Ursachen der verschiedenen psychischen Ereignisse enthalten. II. Ästhetisch-praktischer Theil, worunter H. den logisch allgemeinen Ausdruck für jedes Urtheil versteht, welches eine, in bestimmter Weise absolute Werthschätzung enthält; ästhetisch nennt er diese Urtheile, weil sich in der unmittelbaren Anerkennung des Schönen die Natur der Urtheile am bestimmtesten erkennen lasse. In diesen Theil ist die Ethik eingeschlossen, die bei H. wieder als strenge Tugend- u. Pflichtenlehre auftritt, durch die fünf sittlichen Ideen: innere Freiheit, Vollkommenheit, Wohlwollen, Recht u. Vergeltung, die unwillkürlich od. unvermeidlich über den menschlichen Willen ein ästhetisches, d.h. sittliches, praktisches Urtheil nothwendigen Wohlgefallens od. Mißfallens ergehen lassen u. vereinigt dem Begriff des sittlich Guten seinen Inhalt geben. Auf gesellschaftliche Verhältnisse angewendet, erscheinen die ethischen Ideen als Rechtsgesellschaft, Lohnsystem, Verwaltungs- u. Cultursystem, endlich als beseelte Gesellschaft, u. in der Darstellung dieser Ideen liegt die sittliche Aufgabe des Staates, insofern er die blosen Naturformen seines Daseins überschreitet. Auf dem Gebiete der Religion verzichtet H. auf ein speculatives Wissen von Gott u. göttlichen Dingen, u. verweist in dem Bewußtsein des Mangels an hinreichenden Daten der allgemeinen menschlichen Erfahrung u. Anschauung diese Erörterungen aus der Philosophie hinaus auf das Gebiet des religiösen Glaubens, dem er, gestützt auf die teleologische Ansicht der Natur, eine höchste Intelligenz, Gott, als Weltursache rettet, dessen Eigenschaften, den fünf ethischen Ideen entsprechend, Heiligkeit, Allmacht, Liebe, richtende u. vergeltende Gerechtigkeit sind u. welcher der Gegenstand der Anbetung, Liebe, Dankbarkeit sein kann. III. Formaler Theil, welcher die Logik begreift. Die Herbartsche Philosophie, welche der herrschenden idealistischen Denkweise des Zeitalters fremdartig gegenübertrat, ist vielfachen Mißverständnissen ausgesetzt gewesen; gleichwohl hat sie allmälig einen wachsenden Einfluß gewonnen, der sich namentlich auf dem Gebiete der Psychologie u. der Pädagogik zu erkennen gibt. Unter den Vertretern derselben sind außer Röer, Griepenkerl, Taute, Allihn u. A., bes. Drobisch, Hartenstein, Strümpell, Exner, Thilo, Volkmann, Weitz zu nennen. Vgl. die Biographie H-s in Hartensteins Ausgabe seiner kleinen philosophischen Schriften, Bd. 1, u. Volgdt, Zur Erinnerung an H., Königsb. 1841.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 254-255.
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