Demokratie

[319] Demokratie, griech., diejenige Staatsform, wo die höchste Gewalt von allen Staatsbürgern, ohne Rücksicht auf Vermögen, Rang, Amt und Bildung, ausgeübt wird. Die D. findet ihre Verwirklichung in Volksversammlungen, welche die Staatsämter durch Wahl besetzen, Gesetze annehmen, besteuern, strafen, begnadigen, über Krieg u. Frieden, Verträge etc. entscheiden; diese Form galt in mehreren altgriech. Republiken, so namentlich in Athen; ihre Einführung bezeichnet aber bei allen ohne Ausnahme die Zeit des beginnenden Verfalls. Nicht anders ist es bei der röm. Republik; als die Volksversammlungen der Tribus souverän wurden, begann die Demagogenwirthschaft, die in der Militärdespotie endigte; bei den italien. Republiken des Mittelalters trat der ähnliche Fall ein. Die Landsgemeinde-D. einzelner schweizerischen Kantone ist politisch bedeutungslos u. deßwegen keiner Feuerprobe unterworfen, durch die neue Bundesverfassung ohnedies der wichtigsten Rechte [319] beraubt. Eine andere Form der D. ist die repräsentative, die in der nordamerikan. Union ihre bedeutendste Entwickelung gefunden hat; in ihr gibt der Einzelne seine Rechte zur Ausübung der höchsten Staatsgewalt an einen andern, den Mann seiner Wahl, einen Repräsentanten ab u. übt also seinen Antheil an der allgemeinen Volkssouveränität nur mittelbar. Diese repräsentative D. befriedigte die neuesten Republikaner nicht; sie verlangten reelle Gleichheit, d.h. denselben Lebensgenuß, den sonst Rang, Reichthum und Bildung geben; folgerichtig müßte diese D. zur Beraubung des Vermöglichen, zur Aechtung der Gebildeten, u. durch das Wegfallen des Triebs zum Erwerbe und höherer Erkenntniß zur allgemeinen Fäulniß führen. An eine Ausführung dieser demokratischen Idee ist nicht zu denken; das ihr zu Grunde liegende Gelüsten kann sich aber gelegentlich bei einer Revolution durch Mord und Raub äußern und wahrscheinlich hätten wir ohne Cavaignacs Sieg in der Junischlacht 1849 davon ein Beispiel im großen Maßstabe erlebt. – Demokratische Elemente finden sich in jeder Verfassung, ohne daß diese deßwegen eine D. ist; wo z.B. für alle Staatsbürger dasselbe Recht ist, alle zu den Staatsämtern befähigt sind, insofern sie die gesetzlichen Bedingungen erfüllen können, verhältnißmäßig die gleichen Lasten tragen u.s.w.; ebenso in den Corporationen, denen die Gleichberechtigung aller Mitglieder zu Grunde liegt; aber auch sie stellen gewisse Bedingungen, weil unter tüchtigen Menschen nur der die gleiche Berechtigung empfangen kann, der seine eigene Tüchtigkeit beweist, od. hinlängliche Bürgschaft für sich leistet. – Demokrat, Anhänger der demokratischen Staatsverfassung; demokratisch, was sich auf D. bezieht.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 2, S. 319-320.
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